Zum Hauptinhalt springen

Welthandel steuert in Sackgasse

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Erwartungen vor der Konferenz der Welthandelsorganisation "bescheiden".


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Genf/Wien. Auf dem Welthandel ruhen große Hoffnungen: Gerade in einer für Europa kritischen Phase sollte der Austausch mit boomenden Schwellenländern das Wachstum sichern. Allerdings stehen die Aussichten schlecht, dass die achte Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO), die am Donnerstag in Genf startet, der Konjunktur einen Anschub gibt. Dass Russland (mit Samoa und Montenegro) der Organisation nach jahrzehntelangen Querelen beitritt, dürfte der einzige Meilenstein bleiben.

Die Erwartungen in das Treffen, das in der Regel alle zwei Jahre stattfindet, sind minimal: Dazu trug ein durchgesickerter Entwurf des Abschlussdokuments bei. Darin wird das Scheitern der "Doha-Runde", die vor zehn Jahren begonnen wurde, eingeräumt: Diese liegt auf Eis, weil sich die USA und die starken Schwellenländer (allen voran Indien und China) nicht einigen können. Die Industrieländer verlangen besseren Marktzugang für Industrieprodukte, die Schwellenländer fordern dasselbe für Agrarprodukte.

Imageschaden für die WTO

Ein völliges Doha-Scheitern würde der WTO einen Imageschaden bringen, sagt Roman Stöllinger vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Für den globalen Handel habe es nur marginale Folgen: Die Zölle, die viele Länder untereinander vereinbart haben, seien niedriger als die von der WTO definierten Maximalwerte. Stöllinger sieht die WTO-Abkommen eher als Absicherung für den Krisenfall, wenn Nationalstaaten dazu tendieren, die Handelsschranken hochzufahren.

Die Erwartungen für die aktuelle Ministerkonferenz sind "bescheiden", sagt auch Sara Borella vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zur "Wiener Zeitung". Dennoch warnt die deutsche Industrie, den WTO-Ansatz multilateraler Abkommen zusammen mit Doha zu entsorgen: Die WTO regle weit mehr als nur das Zollregime. Und überdies seien Abkommen, die für die - künftig 157 - Mitgliedstaaten gelten, ein großer Vorteil: Andernfalls überwiege der Bürokratieaufwand, den einseitige Export-Abkommen für die Unternehmen verursachen, vielfach den Zollvorteil. Der DIHK plädiert dafür, vom "Alles-oder-Nichts"-Prinzip der Doha-Runde abzugehen und erfolgsversprechende Kapitel für einzelne Wirtschaftssektoren abzuschließen.

Vom russischen Beitritt verspricht sich Deutschlands Industrie unterdessen raschen Profit. Sie ist in einer starken Startposition: Heuer werden die Exporte nach Russland 70 Milliarden Euro ausmachen. Überraschenderweise steht dabei die Automobilindustrie, wo Russland bisher strikte Importschranken hochgezogen hatte, nicht an erster Stelle - sondern hochwertige Maschinenanlagen und Konsumgüter. Für die russische Industrie werde der Modernisierungsdruck durch den verstärkten Wettbewerb steigen.

Neuer Streit USA-China

China zieht eine rundum positive Bilanz aus seinen zehn WTO-Jahren. Kein Wunder: Die Asiaten sind zum Exportweltmeister und zur zweitgrößten Volkswirtschaft geworden - der Außenhandel ist seit 2000 von 500 Milliarden auf 3 Billionen US-Dollar gestiegen.

Dabei war der Beitritt damals höchst umstritten, schließlich musste sich Peking auf Regeln verpflichten. Beide Seiten hätten vom starken Wachstum Chinas profitiert, sagte Sun Zhenyu, erster Botschafter bei der WTO in Genf, zu "China Daily". Chinas Zölle auf Handelsgüter seien von 15,3 Prozent 2001 auf durchschnittlich 9,8 Prozent (2009) gesunken. Sun sieht dennoch die Industrieländer als Hauptprofiteure, weil sie bisher die Regeln diktierten. Das ändert sich aber mit dem Aufstieg Chinas und Indiens - Stöllinger sieht darin einen Grund für die Doha-Blockade.

Gerade die Volksrepublik ist international viel Kritik ausgesetzt: China subventioniere seine Unternehmen mit Billigkrediten, errichte Hürden für ausländische Investoren, sauge Know-how ab, beschränke die Ausfuhr wichtiger Industriemetalle ("Seltene Erden") und betreibe Exportförderung über den niedrigen Renminbi-Währungskurs. Nicht alles davon regelt die WTO, gibt Stöllinger zu bedenken. "Ich wäre überdies vorsichtig, aus den USA und Europa den ersten Stein zu werfen, wenn ich mir die Subventionen für die Autoindustrie oder Banken ansehe." Trotz aller WTO-Mängel sei Chinas Beitritt positiv gewesen, sagt Stöllinger: "Streitigkeiten würde es trotzdem geben, so gibt es Mechanismen, um diese zu glätten."

Speziell die USA und China kämpfen mit harten Bandagen: Seit Chinas Beitritt haben die Amerikaner zwölf Handelverfahren eingeleitet - davon fünf unter Präsident Barack Obama. Peking revanchiert sich aktuell mit Anti-Dumping-Zöllen von bis zu 21,5 Prozent für Autoimporte. Diese treffen vor allem US-Fahrzeuge mit großem Hubraum.