Die jetzige Situation um die Ukraine zeigt wieder einmal die militärische Hilflosigkeit der EU.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Allerorten rücken seit der Geburt des europäischen Einigungsprozesses Politiker (keine Staatsmänner!) aus, um dem Prinzip Hoffnung zu huldigen. Schöne Abkürzungen gestarteter Prozesse - GASP, ESVP, PESCO -, alle denkbaren Arten von Stäben und Führungsgremien auf höchster EU-Ebene sollen uns seit Jahrzehnten glauben machen, dieses Europa spiele auf der Weltbühne eine bedeutende Rolle. Das dabei eingesetzte Schlüsselargument: "Wir haben Werte!"
Nun weiß selbst jeder (aufmerksame und nicht indoktrinierte, also denkende) Student der Politikwissenschaft, dass zwei der Schlüsselkriterien des globalen Machtspiels Interessen und Macht (Hard Power, verfüg- und einsetzbares militärisches Potenzial) sind. Bis in die späteren 1980er stellten die EU-Staaten einen gewissen Verteidigungswillen und die dazugehörige Hard Power unter Beweis. Nato und USA hatten die atomare wie konventionelle Hauptlast der europäischen Verteidigung zu tragen. Die in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte (rund 300.000 Mann, einsatzbereit und voll kampffähig) erzeugten nicht nur psychologischen, sondern auch realen Druck auf Europa. Mit der Implosion der UdSSR und dem darauffolgenden Wegfall des militärischen und politischen Drucks begann die Zeit der sogenannten Friedensdividende und starker Reduktionen bei den Sicherheitsausgaben (außer in Frankreich und Großbritannien), einer der Hauptgründe der heutigen verteidigungspolitischen Hilflosigkeit der EU. Die jetzige Situation um die Ukraine zeigt wieder einmal das Dilemma auf.
Wie immer setzt in Demokratien bei Misserfolgen oder großen Problemen sofort die Suche nach den Schuldigen ein. Den Schwarzen Peter darf man dabei nicht jenen Politikern zuschieben, welche die Geschicke dieser Union von Nationalstaaten lenken - sie tun dies in unser aller Namen und Auftrag. Nur wenige der 447 Millionen EU-Bürger sind sich bewusst, dass sie alle es sind, die für dieses unser aller Zukunft entscheidende Problem verantwortlich sind. Alle EU-Mitgliedstaaten haben repräsentative Demokratiesysteme, zwar verschiedener Ausprägung, aber immer liegt die Macht beim Volk - und damit auch die Letztverantwortung.
Wir haben jahrzehntelang zugesehen und zugestimmt, dass die Politik der Friedensdividende nach dem Zerfall der Sowjetunion praktiziert wurde, fast alle nationalen Verteidigungsbudgets heruntergefahren wurden und die Notwendigkeit einer militärische Verteidigung Europas schlicht und einfach ignoriert und abgelehnt wurde. Heute beschleicht Europas Bürger Unbehagen und auch Furcht. Zu nahe sind Krieg und Zerstörung spürbar.
Europa beziehungsweise die EU ist keine Macht, und in unser eigenes Stammbuch ist der uralte Satz zu schreiben, dass Sicherheit im Sinne von militärischen Kräften (einsetzbar, ausgerüstet und bereit) zwar rasch abgebaut werden kann (und wurde), aber eben bei Bedarf, so nicht vorhanden, auf Knopfruck nicht zur Verfügung steht. Wladimir Putin weiß das. Wir lernen es gerade wieder, leider zu spät. Wer aber zu spät kommt, den bestraft bekanntlich die Geschichte.