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Weltgrößter Beschleuniger LHC startet in die nächste Runde, um die Rätsel des Universums zu lösen.
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Genf/Wien. Er ist die wohl komplexeste Maschine der Welt: Der größte Teilchenbeschleuniger, der Large Hadron Collider (LHC), soll Ende März wieder hochfahren. Nach zwei Jahren der Aufrüstungsarbeiten wollen die Physiker des Kernforschungszentrums Cern in Genf Elementarteilchen 1000 Mal stärker beschleunigen als bisher. Aus den Zerfallsprodukten der Kollisionen erhoffen sie sich neue Erkenntnisse über die Entstehung unseres Universums.
In der 27 Kilometer langen, ringförmigen Vakuumröhre zwischen der Schweiz und Frankreich werden Teilchen bei minus 271,5 Grad Celsius aufeinander losgejagt. Neue, supraleitende Magnete sollen sie auf Kurs halten. Mit dem Energieschub von acht auf 14 Teraelektronenvolt soll eine größere Bandbreite an Zuständen so wie kurz nach dem Urknall nachgebildet werden. Beim Urknall vor rund 13,8 Milliarden Jahren entstand das Universum aus purer Energie. Aus dieser Energie bildeten sich die Elementarteilchen, die Bindungen zu Atomkernen und weiter zu Atomen eingingen. Der nun vollzogene Energieschub schaffe Möglichkeiten, "fundamentale Fragen der Menschheit nach dem Wesen des Universums zu beantworten", betonte die italienische Experimentalphysikerin Fabiola Gianotti, die zu Jahresende die Leitung des Cern übernimmt, im Interview mit der Austria Presse Agentur.
Im Jahr 2012 hatten die an der "Weltmaschine" tätigen Forscher die Existenz des Higgs-Teilchens nachgewiesen. Der letzte Puzzlestein im sogenannten Standardmodell der Physik verleiht den anderen Elementarteilchen Masse. Ohne Higgs-Boson könnten sich Teilchen nicht an Atome binden. Es gäbe keine Materie, keine Himmelskörper und kein irdisches Leben. Die Physiker Peter Higgs und Francois Englert, die seine Existenz vorhergesagt hatten, erhielten nach dem Nachweis den Nobelpreis für Physik 2013.
Allerdings erklärt das Standardmodell bisher bloß vier Prozent unserer Existenz. Es gibt erste Hinweise auf Teilchen, die es nicht vorhersagt. Die Cern-Forscher wollen daher nun untersuchen, ob das Higgs-Boson auch auf unerwartete Weise zerfallen kann. Wenn ja, müsste das Standardmodell erweitert werden.
Suche nach dem Neutralino
Eine andere Theorie, die Supersymmetrie oder "Susy", erweitert das Standardmodell, indem sie jedem Elementarteilchen ein schwereres Partnerteilchen zuweist. Jedoch hat sich bei bisherigen Beschleunigungsgeschwindigkeiten noch keines manifestiert - vielleicht gelingt dies aber in höheren Energiebereichen. Gesucht wird außerdem ein ebenfalls von der Supersymmetrie postuliertes Elementarteilchen namens Neutralino. Dieses hochstabile Partikel gehört nach Ansicht der Physiker zur rätselhaften Dunklen Materie, aus der das Universum zu 26 Prozent bestehen soll (der Rest sei eine rätselhafte Dunkle Energie), und deren Nachweis die Tatsache erklären würde, dass Galaxien das Unmögliche möglich machen.
Galaxien rotieren mit einer derart hohen Geschwindigkeit, dass die Schwerkraft ihrer sichtbaren Materie sie nicht zusammenhalten könnte. Physiker gehen daher davon aus, dass etwas Unsichtbares am Werk ist, das den Galaxien zusätzliche Masse und somit genug Schwerkraft verleiht. Demnach durchzieht ein Netz aus unsichtbarer (daher dunkler) Materie das All. Anders als die normale geht die Dunkle Materie mit der elektromagnetischen Kraft keine Wechselwirkung ein, leuchtet daher nicht und ist mit elektronischen Geräten nicht messbar. Wodurch sie sich schwer nachweisen lässt.
Die Physiker wollen nun Dunkle Materie im LHC erschaffen und sie unter Laborbedingungen studieren. "Jedoch wissen wir nicht, ob die Antworten im derzeit untersuchbaren Energiebereich liegen", warnt Gianotti. Daher sei bereits ein Konzept für einen künftigen Beschleuniger in Arbeit, das in etwa fünf Jahren stehen soll.
Um es umzusetzen, müsste der Steuerzahler Beträge in Milliardenhöhe aufbringen. Einige fragen sich, ob es angesichts dringender globaler Probleme dafürsteht, so viel Geld für Grundlagenforschung auszugeben. "Physiker sind geniale Akquisiteure, um Milliarden verbrauchen zu können für Dinge, die nicht immer viel bringen", hob jüngst etwa der Vorstand des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Gert Wagner, bei einer Diskussion in Wien hervor. Für Gianotti ist Grundlagenforschung dagegen eine "Pflicht und ein Recht" und ein "fundamentaler Ausdruck des Menschen als intelligentem Wesen, wie die Allgemeinbildung oder die Kunst".