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Im Nordatlantik kreisen enorme Mengen von Plastikmüll. | Menge an Kunststoff ist jedoch offenbar konstant. | Berlin. Windstilles Wetter mit glatter See ist im Atlantik, östlich von Florida und nordöstlich von Kuba, zwar nicht an der Tagesordnung. Doch es gibt immer wieder Momente, in denen man von einem kleinen Boot aus winzige, weiße oder farbige Teilchen auf dem Wasser schwimmen sieht.
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Die kleinen Dinger sind aus Plastik, berichten Kara Lavender Law von der Sea Education Association (SEA) in Woods Hole im US-Bundesstaat Massachusetts und ihre Kollegen vom Woods Hole Meeresforschungsinstitut und der Universität von Hawaii im Fachjournal "Science".
Seit 1986 fährt SEA immer wieder in diese Meeresregion, die sich vom sogenannten Bermuda-Dreieck im Atlantik ein paar Hundert Kilometer nach Osten zieht. Dort werfen die Forscher ein feines Netz mit einem Meter Durchmesser aus und schleppen es eine halbe Stunde neben dem Boot her. Anschließend holt die Besatzung alle Plastikstücke, die sie mit bloßen Augen entdecken, aus dem Netz und zählt sie. In einem Quadratkilometer Meer schwimmen bis zu einer halben Million solcher Plastikreste, so die Forscher.
Es ist Zivilisationsmüll, den die Besatzung dort aus dem Netz fischt. Im Meer landen nicht nur Plastikflaschen oder Joghurtbecher, die über die Reling von Schiffen fliegen. Auch Flaschen und Verpackung, die Badeurlaubern am Strand liegen lassen, landen im Wasser. Noch mehr Plastikabfall steuern Städte und Dörfer an der Küste bei, wenn sie nicht mehr gebrauchte Plastik-Gegenstände im Meer entsorgen.
Auch Plastikhersteller und -Verarbeiter mögen an der Müllmenge im Wasser nicht unschuldig sein. Auch illegal in der Landschaft entsorgter Müll gelangt mit dem Regen über Bäche und Flüsse in die Ozeane.
Die Strömungen verteilen den Müll weiter. So zirkuliert etwa im Nordostpazifik zwischen Hawaii und dem US-Festland ein riesiger Wasserwirbel, in dem rund 100 Millionen Tonnen Kunststoffmüll schwimmen. Einen ähnlichen Wirbel beschreibt Kara Lavender Law nun im Atlantik. Allerdings zerlegen die Wellen den meisten Müll rasch in seine Einzelteile.
Auch das ultraviolette Licht der Sonne lässt Plastik zerbröseln. Übrig bleiben winzige Reste, die oft nur unter dem Mikroskop sichtbar sind. Der Großteil der 100 Millionen Tonnen Müll im Nordpazifikwirbel besteht aus Partikeln aus Poly-Acrylsäure, Poly-Ethylen, Polyamid oder Polyester - Materialien, aus denen gebräuchliche Kunststoffe hergestellt werden.
Als die Forscher jedoch die Plastikzählungen im Atlantik aus den Jahren 1986 bis 2008 miteinander verglichen, waren sie verblüfft: In dieser Zeitspanne hat sich nämlich die Menge an Plastikmüll im Untersuchungsgebiet kaum verändert. Dabei hat genau in dieser Zeit die Plastik-Produktion weltweit stark zugenommen. Und da die Recyclingquote bei drei bis fünf Prozent verharrt, sollte an sich auch mehr Plastikmüll im Meer landen.
Finden die Forscher ihn nicht in ihren Netzen, muss er irgendwo anders sein. Möglicherweise zerlegen die Elemente den Abfall mit der Zeit in derart kleine Teilchen, dass sie ihn mit bloßen Augen nicht erkennen und daher auch nicht zählen können. Oder sinken die Teilchen mit der Zeit ganz in die Tiefe? Tragen die Strömungen nur einen einzigen, immer gleichen Teil des Mülls ins Untersuchungsgebiet? Oder vertilgen die Organismen im Meer immer mehr Plastik, sodass der Anteil im Wasser gleich bleibt?
Viele Vorschriften, die aber nicht am richtigen Ort greifen
Der Verbleib des zusätzlichen Plastik-Abfalls ist den Forschern ein Rätsel. Sicher ist nur, dass der Müll irgendwo sein muss. Und dass Plastik für die Meeresorganismen gefährdet. So verstopft der Müll die Verdauungsorgane von Schildkröten, Delfinen und Fischen, die daran jämmerlich zugrunde gehen.
Längst gibt es Vorschriften, um das Müllproblem in den Ozeanen einzudämmen: Kommerzielle Schiffe dürfen seit 1988 keinen Plastikmüll mehr ins Meer entsorgen. Schiffe sind aber der kleinste Teil des Problems. In vielen Ländern ist die Behandlung von Plastikabfall unzureichend geregelt. Von dort gelangen große Plastikmengen am Ende ins Meer. Der Schutz des Meeresökosystems muss also an Land beginnen.