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Wende im Fall Politkowskaja?

Von WZ-Korrespondentin Inna Hartwich

Politik

Festgenommener Ex-Polizist trat als Zeuge in dem Fall auf. | Ob der Mord an der Journalistin jemals restlos aufgeklärt wird, bleibt fraglich.


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Moskau. Wenn es um ihre eigenen Leute geht, lässt die Redaktion der kremlkritischen russischen Zeitung "Nowaja Gaseta" nicht locker. Jahrelang suchen die Journalisten akribisch nach Hinweisen und befragen Zeugen. Russischen Ermittlern vertrauen sie nicht, sie ermitteln selbst. Sechs ihrer Kollegen haben sie mittlerweile verloren, sie wurden getötet - im Kampf ums Wort. Von wem, bleibt oft ungeklärt. Also ermitteln die Redakteure zuweilen selbst. Wie auch im Fall Anna Politkowskaja. Fast fünf Jahre nach dem Mord an der regierungskritischen Journalistin meldete die Online-Ausgabe der Zeitung bereits am Dienstagabend, der mutmaßliche Drahtzieher sei festgenommen worden. Am Mittwoch bestätigte die Ermittlungsbehörde in Moskau die Angaben.

Der Festgenommene Dmitri P., so heißt es in der offiziellen Stellungnahme der Behörde, sei ein ehemaliger Oberstleutnant. Angelockt durch eine Geldprämie soll er den Mord an Politkowskaja vor dem Fahrstuhl ihres Hauses im Zentrum der russischen Hauptstadt organisiert haben.

Kritikerin Putins

Zum Zeitpunkt des Mordes war Dmitri P. Leiter einer Ermittlergruppe in einer Moskauer Polizeistation. Er soll die Überwachung der Journalistin angeordnet, später die Pistole beschafft und die Killer angeheuert haben. "Wir haben auch neue Hinweise auf den mutmaßlichen Auftraggeber des Mordes", sagte ein Sprecher der Ermittlungsbehörde. Allerdings sei es noch zu früh, den Namen zu nennen.

Politkowskaja war am 7. Oktober 2006 im Treppenhaus ihres Moskauer Wohnhauses mit fünf Schüssen getötet worden. Die 48-Jährige galt als scharfe Kritikerin des früheren Präsidenten und heutigen Regierungschefs Wladimir Putin - und ist bis heute ein Symbol für die Verfolgung regierungskritischer Journalisten in Russland.

Häufig schrieb sie über Auftragsmorde, Folter und Entführungen im Krisengebiet Nordkaukasus, prangerte offen die Menschenrechtsverletzungen im Tschetschenien-Krieg an. Dafür bekam die in New York geborene Diplomatentochter mehrere internationale Preise.

Kein Unbekannter

Ex-Oberstleutnant P. ist kein Unbekannter im undurchsichtigen Mordfall - er hatte bereits als Zeuge der Staatsanwaltschaft ausgesagt. Unter den bisher gefassten Verdächtigen befindet sich auch der mutmaßliche Mörder Rustam M. Er war bereits Ende Mai in Tschetschenien gefasst worden. Der erste Prozess endete im Februar 2009 mit einem Freispruch für die drei Angeklagten, darunter auch zwei Brüder von M., aus Mangel an Beweisen. Nach einem Urteil des Obersten Gerichts Russlands muss der Fall nun neu aufgerollt werden.

Für Politkowskajas Anwältin Anna Stawizkaja ist die Festnahme ein "Wendepunkt" in den Ermittlungen. Die Redaktion der "Nowaja Gaseta" zeigt sich derweil weiterhin skeptisch. An die komplette Aufklärung des Falls wolle er noch nicht glauben, sagte der stellvertretende Chefredakteur Sergej Sokolow. Die Journalisten würden weiterhin nicht locker lassen.