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Ex-UCK-Führer "nicht direkt verwickelt". | Prishtina/Belgrad. Der Fall um mutmaßlichen illegalen Organhandel durch Teile der heutigen Führung im Kosovo wird immer mysteriöser: Wie am Mittwoch bekannt wurde, hat der Sonderberichterstatter des Europarats, Dick Marty, seine Vorwürfe gegen Kosovo-Premier Hashim Thaci zumindest entschärft. Im Gespräch mit dem kosovarischen TV-Sender RTK erklärte der Schweizer, dass in seinem Aufsehen erregenden Bericht für den Europarat "nirgends von einer direkten Verwicklung Thacis in den Organhandel die Rede" gewesen sei.
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Allerdings seien an dem Verbrechen Personen beteiligt gewesen, die zum Kreis des Ministerpräsidenten gehörten. Zwar falle es schwer zu glauben, dass Thaci nie etwas davon gehört haben soll. Er könne sich jedoch auch schlecht vorstellen, dass der Premier persönlich an einer Organentnahme teilgenommen habe, meinte Marty - der außerdem betonte, nicht die ganze Kosovo-Befreiungsarmee UCK, die Thaci befehligt hatte, kriminalisieren zu wollen: Er habe nicht von "hunderten" gesetzwidriger Transplantationen gesprochen, sondern von einigen Fällen.
Mitte Dezember klang das noch anders: In dem Bericht hatte Marty Thaci als Chef einer kriminellen Gruppe aus der Region Drenica im Zentrum des Kosovo identifiziert. Die soll 1999 - rund um den Kosovo-Krieg - ein Netz von UCK-Gefangenenlagern in Albanien betrieben haben. In mindestens einem dieser Lager - so der Bericht - gab es eine zum Zweck des Organhandels gebaute Anlage mit angeschlossener Klinik. Darin sollen Gefangenen Nieren entnommen worden sein. Die Organe wurden nach Erkenntnissen von Marty im Ausland verkauft. 470 Personen verschwanden laut dem Bericht nach Ende des Kosovo-Krieges in der Region, davon 375 Nicht-Albaner, vorwiegend Serben.
Der Fall ist allerdings extrem mysteriös. Die Beweislage stützt sich bis jetzt großteils auf Aussagen anonymer Zeugen. Ein "gelbes Haus" in Nordost-Albanien soll Tatort gewesen sein: "Da ist unklar, wie in dieser gebirgigen, abgelegenen Gegend die Organe in der erforderlichen Schnelligkeit weggeschafft werden konnten", gibt der Grazer Südosteuropa-Experte Martin Prochazka zu bedenken. Es gibt allerdings auch Berichte über ein Haus in der Nähe des Flughafens der albanischen Hauptstadt Tirana.
Knickten Zeugen ein?
Was Marty zu seinem Schwenk veranlasst hat, gibt auch erfahrenen Beobachtern Rätsel auf: Schließlich galten die Strukturen der UCK als straff, sodass man sich - erst recht bei Verbrechen dieser Größenordnung - ein eigenmächtiges Handeln der Mitarbeiter Thacis ohne dessen Einverständnis nicht vorzustellen vermag. Und Marty selbst verdankt sein hohes Ansehen eben dem Umstand, dass er, wie im Falle der von ihm aufgedeckten illegalen CIA-Gefängnisse in Europa, auch bei Druck nicht einknickt.
Beobachter spekulieren daher bereits darüber, ob Marty seine Zeugen abhanden gekommen sind: In dem Bericht vom Dezember wurden die Quellen - noch - nicht preisgegeben, um deren Leben zu schützen. Da Martys Mitarbeiterstab begrenzt ist, ist im Zweifelsfall auch das Vertrauen in den Schutz der wichtigen Informanten eingeschränkt. So wurden etwa während des Prozesses gegen Ex-Kosovo-Premier Ramush Haradinaj in Den Haag die wesentlichen Belastungszeugen der Reihe nach umgebracht - von den ursprünglich zehn Zeugen, die gegen Haradinaj aussagen sollten, überlebte nur einer. Dieser zog seine Aussage zurück: Er hatte gerade noch knapp ein Attentat überlebt.