Washington - Die Wagenkolonne des Präsidenten wartete schon. Das Gepäck war eingeladen, "wir waren zur Abfahrt bereit", schilderte Bill Clintons Pressesprecher Joe Lockhart die dramatische Wende beim Nahost-Gipfel in Camp David in der Nacht auf Donnerstag. In eineinhalb Stunden wurde aus einem Scheitern der Verhandlungen zwischen Israels Ministerpräsident Ehud Barak und Palästinenserpräsident Yasser Arafat ein Weitermachen.
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"Keiner wollte aufgeben", sagte Clinton, bevor er endgültig zum Gipfel der führenden Industriestaaten nach Japan aufbrach. "Die Gräben sind nach wie vor tief, aber es gibt Fortschritte, und wir sollten jetzt die zusätzlich Meile gehen."
Der US-Präsident überließ es seinem Sprecher, zu erklären, wie es zu der Umkehr bei den schon als gescheitert bezeichneten Gesprächen kam. Schließlich war es Lockhart gewesen, der am späten Mittwochabend die Nachricht verkündet hatte, der Gipfel sei ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Seinen Angaben zufolge wurden sich die Konfliktparteien der Kosten eines Scheiterns erst in dem Moment bewusst, als sie Clintons Abreise vor Augen hatten. "Die Verhandlungen zu verlassen, hätte bedeutet, alles schon Geleistete zu verneinen und sogar einen Schritt zurück zu machen", meinte Lockhart.
Einen Vorgeschmack auf die Nachwehen eines möglichen Scheiterns hatten die beiden Streitparteien schon im Laufe des neunten Gipfeltages gegeben. Israelis und Palästinenser überschlugen sich mit gegenseitigen Schuldzuweisungen. Barak habe die Mentalität eines jüdischen Siedlers an den Tag gelegt, wetterte Hassan Abdel Rahman, der PLO-Vertreter in Washington, eine Dreiviertelstunde vor der Nachricht von der Fortsetzung der Gespräche. Der israelische Ministerpräsident sprach den Palästinensern seinerseits in einem Brief an Clinton, der trotz Nachrichtensperre an die Öffentlichkeit gelangte, den ernsthaften Willen zum Frieden ab. Am Ende schien die Angst der Kontrahenten vor einer Heimkehr mit leeren Händen größer zu sein als die Gewissheit über die verbleibenden Differenzen. Auf Barak wartet in Jerusalem eine zerbrochene Regierungskoalition und der Zwang, mindestens 60 Prozent der Bevölkerung von seiner Nahost-Linie zu überzeugen. Auf palästinensischer Seite wollen radikale Gruppen wie Hamas lieber eine neue Intifada als einen Kompromiss. Arafat wisse, dass Zugeständnisse in Camp David das Ende seiner politischen Laufbahn wären, drohte vor wenigen Tagen der geistliche Führer von Hamas, Scheich Ahmed Yassin. Sowohl Arafat als auch Barak können ihre Haut nur mit Hilfe der kleinen Leute retten - in Israel wie in den palästinensischen Autonomiegebieten sehnt sich die schweigende Mehrheit nach Frieden.
Doch von der Erkenntnis, wie kostspielig ein Scheitern wäre, bis zu einer Einigung ist es noch ein großer Schritt. Er warne vor Illusionen, mahnte Clinton, der nach seiner Rückkehr aus Okinawa wieder zu den Verhandlungen stoßen will. Die Delegationen wollen in den kommenden Tagen ein bisschen Schlaf nachholen und unter Aufsicht von US-Außenministerin Madeleine Albright die Verhandlungen fortsetzen. "Wir buddeln weiter", sagte Clinton, der gerne als Nahost-Friedensstifter in die Geschichte eingehen würde. "Aber dies sind die schwersten Friedensfragen, mit denen ich es je zu tun gehabt habe."