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Belgrad - Bei den Parlaments- und Präsidentenwahlen in Jugoslawien am 24. September steht viel auf dem Spiel. Das Volk hat die Wahl: Entscheidet es sich für die Wende oder kommt es zum weiteren Zerfall des Staates? Bleibt nämlich Präsident Slobodan Milosevic an der Macht, dürfte der Bruch mit Montenegro unvermeidlich sein. Allem Anschein nach könnten in Belgrad aber tatsächlich bald neue Signale zu hören sein. Vertraut man den Meinungsforschern, muss Milosevic erstmals um seine Machtposition bangen. Der Kandidat der "Demokratischen Opposition Serbiens", Vojislav Kostunica, liegt bei Umfragen klar auf Platz 1.
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Dass damit aber noch nichts gewonnen ist, machte neulich die renommierte "Neue Zürcher Zeitung" deutlich: "Am Schluss kommt es auf das Wahlresultat an", schrieb die "NZZ", "und dieses lässt sich bei Bedarf ändern." Milosevic jedenfalls gibt sich demonstrativ siegessicher. Während sich die Analytiker noch die Köpfe zerbrechen, ob sich der Präsident möglicherweise doch zu seinen Ungunsten verrechnet hat, als er die Wahlen zehn Monate vor dem eigentlichen Datum (Juli 2001) ansetzen ließ, macht sich dieser gar nicht die Mühe, einen eigenen Wahlkampf zu führen. Mindestens genauso groß wie der Wunsch nach Veränderungen ist die Überzeugung, dass Milosevic eine Niederlage ohnehin nicht akzeptieren werde. Ivan Markovic, ein führender Kopf der JUL-Partei ist sich jedenfalls sicher: "Unser Kandidat wird hundertprozentig siegen."
Das Programm der Sozialistischen Partei und ihres Bündnispartners JUL basiert auf fünf Säulen: "Frieden, Freiheit, Unabhängigkeit, Integrität und Identität". Nur das Regime könne die "Fortsetzung des Wiederaufbaus" garantieren, so die Meinung der JUL-Partei. Um die Wählergunst wird mit dem Versprechen geworden, 10.000 neue Wohnungen zu errichten. Wenige Tage vor den Wahlen soll auch eine der drei im Vorjahr von der NATO zerstörten Brücken wiedereröffnet werden. Der Festakt könnte zum wichtigsten Wahlkampfauftritt werden.
Im Dienste der Propaganda steht auch die spektakuläre Inszenierung einer Verhandlung, die heute in einem Belgrader Kreisgericht über die Bühne gehen soll. Angeklagt sind 14 hochrangige NATO-Vertreter. Ihnen soll wegen der vorjährigen Luftangriffe der Prozess gemacht werden. Das Regime lässt keinen Zweifel aufkommen: Die einzigen Gegner von Milosevic sind die Politiker der NATO-Staaten, die heimischen Oppositionsführer sind dagegen ohnehin nur deren "Söldner". Nach den Wahlen, versichert in diesem Zusammenhang Informationsminister Goran Matic, wird die Regierung auch verstärkt gegen die "globalen Lügen" auftreten , die über Jugoslawien verbreitet würden. Dafür soll in Belgrad ein "Pool der Blockfreien" ins Leben gerufen werden.
Der gemäßigte Nationalist Kostunica wiederum kann für sich beanspruchen, dass nur seine Wahl eine Normalisierung der Beziehungen mit der internationalen Staatengemeinschaft, vor allem mit der EU, herbeiführen kann. Kostunica garantiert die Aufhebung der Sanktionen gegen Jugoslawien und glaubt, die zunehmenden Abwanderungsgelüste der Teilrepublik Montenegro einbremsen zu können. Er will die gestörte Beziehung zu Montenegro retten und in der Verfassung neu regeln lassen. Angst brauche aber niemand haben, schlägt Kostunica eher leise Töne an: "Es wird keinen Revanchismus geben". Sogar Milosevic selbst soll geschont werden, eine Auslieferung an das UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag lehnt Kostunica ab.
Sollte der 56-jährige Jurist tatsächlich der große Coup gelingen, würde er jedoch sehr rasch mit der Realität konfrontiert werden. Im Gegensatz zum Parlament, das aller Erwartung nach auch nach den Wahlen von den Regimeparteien dominiert werden dürfte, sind die Befugnisse des Präsidenten ziemlich beschränkt.