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Wenig Jubel über neue Zeiten

Von Klaus Faißner

Wirtschaft

Die Ladenöffnungszeiten wurden in der Vergangenheit immer wieder liberalisiert - zuletzt im Sommer dieses Jahres. Jetzt haben in manchen Bundesländern die Geschäfte die Möglichkeit, unter der Woche bis 21 Uhr und am Samstag um eine Stunde länger, bis 18 Uhr, offen zu halten. Während dies vielen Politikern, Betreibern von Einkaufszentren, Chefs von Großkonzernen und auch Kunden noch nicht weit genug geht, kommt von Handelsangestellten zum Teil heftige Kritik.


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"Die ÖBB und die AUA streiken, doch um uns kümmert sich niemand", meint etwa eine Verkäuferin, die in einem Geschäft der Lugner-City in Wien arbeitet.

Seit August dieses Jahres wird hier an einem Wochentag bis 21 Uhr und am Samstag bis 18 Uhr offen gehalten. Zwar habe sie sich inzwischen damit abgefunden, an manchen Freitagen bis in die späten Abendstunden hinein zu arbeiten, dass aber ab dem 27. November der Betrieb auch am Donnerstag bis 21 Uhr ausgeweitet werden soll, sei ihr zuviel. "So spät in der Nacht fürchte ich mich, allein unterwegs zu sein. Deshalb lasse ich mich von meinem Mann abholen", erzählt sie von ihrem zehnminütigen Fußmarsch von der Arbeit nach Hause. "Wenn ich aber um 19 Uhr Arbeitsschluss habe, kann ich noch beruhigt alleine gehen." Eine Verkäuferin eines anderen Geschäftes beklagt eine weitere Belastung des Familienlebens: "Es wird immer schwieriger. Auch stellt sich die Frage, wo man Kinder unterbringen kann, denn am Abend hat kein Kindergarten offen."

Wie viele andere Einkaufszentren auch, hat die Lugner-City nach Inkrafttreten des Öffnungszeitengesetzes (siehe Kasten) die Öffnungszeiten für alle angesiedelten Geschäfte ausgeweitet. "Begeisterungsstürme darf man von den Handelsangestellten nicht erwarten", zeigt Zentrumsleiter Gerald Friede für Beschwerden Verständnis. Allein im Hinblick auf die bevorstehende EU-Osterweiterung und die höchst liberalen Ladenschlusszeiten in den Beitrittsländern sei es aber notwendig, länger offen zu halten. "Letztendlich entscheidet der Kunde, denn das Ganze muss sich auch rechnen." Und nach den ersten Monaten haben laut Friede die Geschäfte vom längeren Offenhalten profitiert: "Gegenüber dem Vorjahr verzeichnet die Lugner-City an Freitagen ein Umsatzplus von 20 Prozent, und insgesamt gibt es einen Zuwachs von 5 Prozent."

"Weniger Beratung"

Mehrere Filialleiter des Einkaufszentrums wollen jedoch nicht von einem Erfolg sprechen. "Der erhoffte wirtschaftliche Aufschwung ist nicht eingetreten. Die Einkommen der Kunden können einfach nicht schlagartig so schnell gestiegen sein, dass sie auch mehr ausgeben", meint einer von ihnen. Generell sei eine Verlagerung des Umsatzes feststellbar, sind sich einige Geschäftsleute einig. Auch wenn mancher Freitagabend mehr Geschäft bringe, so sinke zum Ausgleich beispielsweise des öfteren der Umsatz am Samstagvormittag.

"Der gravierendste Nachteil für den Kunden ist, dass er ein schlechteres Service bekommt", stimmen ebenfalls mehrere Filialleiter überein. Denn ohne große Umsatzsteigerungen könnten nicht mehr Beschäftigte eingestellt werden. Und da die Öffnungszeiten ausgedehnt werden, während die Arbeitsstunden der Angestellten gleich blieben, müsse die Beratungsqualität abnehmen. "Und ich selbst verliere zusätzlich noch an Lebensqualität", beklagt sich ein Geschäftsführer über die für ihn zunehmende Arbeitszeit. "Außerdem steigt in den späten Abendstunden der Ladendiebstahl sprunghaft an."

Aber auch dort, wo die Geschäfte nicht bis in die Nachtstunden offen halten, sind die Befürchtungen ähnlich. "Für mich war es immer eine wunderbare Sache, für den Kunden da zu sein und ihn zufrieden zu stellen. Mir tut es leid, dass immer weniger Zeit für die Betreuung bleibt", erklärt beispielsweise ein Filialleiter eines Baufachmarktes im niederösterreichischen Tulln. "Die großen Ketten haben es leichter. Dort regt sich niemand auf, dass es keinen Ansprechpartner gibt." Eine Verkäuferin dieses Geschäftes sieht möglichen späteren Diensten gelassen entgegen: "Mich persönlich würde das nicht stören, denn ich habe keinen kleinen Kinder mehr. Vor etlichen Jahren wäre es schwieriger gewesen."

Ganz anders die Meinung von zwei Verkäuferinnen eines Juweliergeschäftes: "Mein letzter Zug am Abend fährt kurz nach 19.30 Uhr - den würde ich dann nicht mehr erreichen", sagt Elisabeth Niederberger. Ihre Kollegin Christine Töpfer prangert die "Familienfeindlichkeit" der Liberalisierung an, und ihr Ehemann Günther, ebenfalls im Handel tätig, glaubt nicht, dass längere Öffnungszeiten am Einkaufsverhalten der Österreicher etwas ändern würden: "Diejenigen, die jetzt schon nach Ungarn fahren, werden dies auch zukünftig tun, denn ausschlaggebend ist der Preis."

Was wollen die Kunden?

In Tulln sperren die Geschäfte fast einheitlich von Montag bis Freitag um 18 Uhr und am Samstag um 17 Uhr zu. In der Weihnachtszeit wird auf Empfehlung des Stadtmarketingclubs Tulln am Donnerstag bis 19 Uhr offen gehalten. Monika Resch, Inhaberin eines Trachtengeschäftes, ist mit dieser Regelung einverstanden, schränkt aber ein: "Sollten sich in Zukunft generelle Öffnungszeiten bis 19 oder 20 Uhr durchsetzen, würde das Familienleben auf der Strecke bleiben."

Sie glaubt nicht, dass sich die Bevölkerung wirklich längere Öffnungszeiten wünscht: "In unserer Gegend hat Familienleben und abendliches Zusammensein einen hohen Stellenwert." Eine Befragung unter Passanten in Tulln ergibt jedoch ein anderes Bild: "Es wäre angenehm, zumindest einmal pro Woche gemütlich am Abend einkaufen gehen zu können", meint etwa eine Krankenschwester, die darauf hinweist, selbst auch Nachtdienste verrichten zu müssen.

"Die Liberalisierung frisst die Kleinen"

"Ich unterstelle, dass es bei der Öffnungszeitenproblematik nicht um eine bessere Dienstleistung für die Kunden geht, sondern dass es sich um eine weitere Waffe handelt, die kleinen Handelsunternehmen ins Eck zu drängen", meint hingegen Manfred Wolf von der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA). Bisher habe es bei jeder Liberalisierung der Öffnungszeiten einen Schub zugunsten der Großen gegeben und dementsprechend komme jeder diesbezügliche Vorschlag auch von Seiten dieser Handelskonzerne.

Das oft gebrachte Argument, dass bei ausgedehnten Rahmenöffnungszeiten Kleinbetriebe die Möglichkeit hätten, Nischen auszunützen, lässt Wolf ebenfalls nicht gelten: Die großen Handelsunternehmen hätten auch das Kapital, unrentable Öffnungszeiten besser durchzustehen. Stolz zeigt sich Wolf hingegen über den Umstand, dass bei den jüngsten Kollektivvertragsverhandlungen ein Mindestlohn von 1.000 Euro erreicht werden konnte.

Problematisch sei hingegen, dass der Trend zu immer kürzeren Arbeitszeiten hingehe. "Ich muss immer mehr Teilzeitkräfte anstellen, um die Leute besser für die Zeiten einteilen zu können, in denen ich sie auch wirklich brauche", bestätigt auch ein Filialleiter eines zentral gelegenen Wiener Supermarktes diese Aussage.

Kritik am Ladenöffnungszeitengesetz übt auch Maria Wunderl von Rewe Austria (Billa, Merkur, Mondo, Bipa). Allerdings geht ihr das Gesetz nicht weit genug: "Da die maximalen Gesamtöffnungszeiten weiterhin bei 66 Stunden pro Woche geblieben sind, nützt uns die Liberalisierung, die deshalb in Wahrheit gar keine ist, gar nichts." Die jetzige Regelung mit der Ausweitung der Rahmenöffnungszeiten komme Einkaufszentren verstärkt zugute, da diese mehrheitlich erst später aufsperren. Hauptanliegen für Rewe Austria sei es, zumindest auf 72 Stunden zu erhöhen. Ziel müssten jedoch 78 Stunden sein, um wenigstens in grenznahen Gebieten im Sommer bis 21 Uhr offen halten zu können. Den oft erhobenen Vorwurf, dass längere Öffnungszeiten für Handelsangestellte mehr Nachteile als Vorteile bringen, weist Wunderl zurück: "Wir haben stoßweise Bewerbungen von Leuten, die nur an Freitagen und Samstagen arbeiten wollen, weil sie an diesen Tagen mehr verdienen. Gerade junge Familien lechzen danach." Momentan kein Thema sei hingegen ein offener Sonntag.

Thema offener Sonntag

Sehr wohl ein Thema ist der Sonntag für Christoph Adamek, Chef der SCS in Vösendorf. Er streicht die Wichtigkeit hervor, auf die Kundenwünsche einzugehen. "Viele Studien haben gezeigt, dass die Kunden Einkaufsqualität haben wollen." Adamek plädiert jedoch nicht für längere Öffnungszeiten, sondern dafür, vermehrt in der Freizeit aufzusperren. "Ich kann mir beispielsweise vorstellen, dass teilweise am Sonntag von 14 bis 18 Uhr mehr Geschäft zu machen wäre als an manchen Montagen und Dienstagen zusammen. Dann müsste man auch nicht so viel über den Abendverkauf reden." Der SCS-Chef glaubt, dass viele Frauen - nicht zuletzt aufgrund der in diesem Falle zu erwartenden hohen Zuschläge - gerne am Sonntag Nachmittag arbeiten würden.

Zurück zur Gegenwart: In Niederösterreich, dem Bundesland mit den liberalsten Öffnungszeiten, gebe es unterschiedliche Umsetzungsstrategien des neuen Gesetzes, erzählt Karl Ungersbäck, Geschäftsführer der Sparte Handel der Wirtschaftskammer Niederösterreich. Viel wichtiger als beispielsweise am Donnerstag bis 21 Uhr offen zu halten sei jedoch, möglichst einheitliche Öffnungszeiten zu bieten, damit sich der Konsument darauf einstellen könne. Von zu engen Rahmenbedingungen hält er nichts: Diese würden zu vermehrtem Einkaufstourismus und zu Konsumzurückhaltung führen. Die Problematik des Kaufkraftabflusses ins Ausland relativiert Ungersbäck mit dem Fakt, dass Kunden aus den Nachbarländern noch mehr Geld in Niederösterreich ausgeben als umgekehrt.