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Es gilt, die großartigen Chancen des Föderalismus zu nutzen - zu oft geschieht das Gegenteil.
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Eine informelle Umfrage, was denn der Begriff Föderalismus bedeutet, brachte vielfältige, teils kuriose Antworten: Etwas Kompliziertes; etwas, das Ärger macht; es gibt den Föderalismus nur, damit die Politiker etwas zum Streiten haben; etwas Unnötiges; etwas, das die Politik seit einem halben Jahrhundert reformieren will und es nicht schafft. Positive Bewertungen? Fehlanzeige. Wissen über Föderalismus - zu oft nahe bei null.
Föderalismus bezeichnet ein staatliches System, in dem die Gebietskörperschaften - im Fall Österreichs die Gemeinden, die Bundesländer und der Bund - zwar nicht formal-, aber realpolitisch gemeinsam mit den Sozialpartnern (den gesetzlichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen wie etwa ÖGB, Ärztekammer oder Wirtschaftskammer) die Verwirklichung der in der Bundesverfassung definierten Staatsaufgaben sichern.
Derzeit ist der Föderalismus hinsichtlich des Gesundheitssystems, des Kindergartens und der Schulen ein heißes Thema. Die einfache Frage lautet auch in diesen drei sehr unterschiedlichen Bereichen: Welche Aufgaben können in den einzelnen Bereichen die Gemeinden, die Länder oder der Bund am besten und kostengünstigsten erledigen? Werthaltige, weil praxistaugliche Antworten sind im Interesse aller, besonders der steuerzahlenden Bürger, die das föderale System füttern - dies teils mit vergleichsweise sehr viel Geld.
Föderalismus oder Zentralismus?
Mit einiger Sicherheit würden die Antworten darauf hinweisen, dass in nicht wenigen Aufgabenbereichen die 2.093 österreichischen Kommunen ("communitas" heißt auf Latein "Gemeinschaft") und die in Gemeinden situierten 94 Bezirksverwaltungen, also die Bürgerebene, die am wirkungsvollsten agierende föderale Ebene darstellen. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist eine aufgabenorientierte, knappe und klare Gesetzgebung des Bundes, die vor allem auch die Verantwortlichkeiten klar positioniert und dadurch rasches, zielgerichtetes und auch pannenfreies (!) Handeln ermöglicht. Das engagierte Tun der Bürgerebene bei der Bewältigung der Fluchtbewegungen 2015 und von Covid hat die positive Wirkkraft der Kommunen eindrucksvoll bestätigt - wenn darüber auch wenig in die Medien gelangt. Warum dies? Weil medial meist das wahrnehmbar aufschlägt, was nicht funktioniert.
Die Antworten auf die den Föderalismus betreffenden Fragen fallen je nach Zeit und politischem System unterschiedlich aus. Zentralistisch, also stark Bund-orientiert organisierte Schulsysteme bringen in Diktaturen in der Regel in den messbaren Bereichen - also in den Grundkompetenzen - sehr gute Lernleistungen. Dass in vielen dieser Länder der Geschichte-Unterricht jahrzehntelang nach dem Prinzip "Wir verdrehen Geschichte so, wie es uns politisch genehm ist" praktiziert worden ist, steht auf einem anderen Blatt und trägt definitiv mit Schuld daran, dass Wladimir Putins Krieg in der russischen Bevölkerung eine hohe Akzeptanz besitzt.
Opfer des Föderalismus: Bildung und Gesundheit
In Demokratien scheitert der nur schwach mit Scheinautonomie verbrämte Zentralismus oft auf verheerende, Menschen schädigende Weise - siehe Österreich mit seiner Spitzenposition bei den finanziellen Aufwendungen pro Schülerkopf und seinem blamablen Anteil an teils kaum lese-, schreib- und rechenkundigen Pflichtschulabgängern und Maturanten. "Ich habe verstanden, dass man die 6.000 österreichischen Schulen nicht wie Filialen des Bildungsministeriums führen kann", bilanzierte ein früherer Bildungsminister. Filialen verfügen nie über umfassende Autonomie. Die jüngst publizierte, teils verheerend ausgefallene Prüfung der Bildungsdirektionen - in ihnen materialisiert sich das Gesamtkonstrukt des derzeitigen Schulföderalismus - spricht eine klare Sprache.
Ähnliches trifft auch im Gesundheitswesen zu. Das aus der Zeit gefallene föderale Kompetenz-Wirrwarr überfordert einen erheblichen Teil des Gesundheitspersonals, das verstärkt aus den Gesundheitsberufen flüchtet, verschlingt Finanzmittel in exorbitanter Höhe und - was verheerend ist - fordert jährlich eine vierstellige Zahl an Todesopfern, die wegen unnötiger stationärer Krankenhausaufenthalte den berüchtigten, immer schwerer beherrschbaren Krankenhauskeimen zum Opfer fallen.
Auch im Kindergartenbereich verursacht das föderale Zuständigkeiten-Wirrwarr frustriertes Personal, das aus dem Beruf flüchtet, und schädigt Kinder, denen aufgrund der massiven Personalfluktuation und wegen des generellen Pädagoginnenmangels oft nicht jene stabilen Bezugspersonen geboten werden können, die eine zentrale Essenz der Bildungseinrichtung (!) Kindergarten ausmachen.
Um es klar zu sagen: Die Debatte um die Föderalbereiche Gesundheit, Kindergarten und Schule ist keine abstrakte, akademische oder wirklichkeitsfremde, denn in allen drei Bereichen werden Menschen geschädigt und um Lebenschancen betrogen - definitiv auch im Kindergarten, der heute das Fundament von Bildung darstellt und der mehr denn je aus gesamtgesellschaftlichen Gründen die Eltern als Erzieher ersetzen muss! Die Wechselwirkungen zwischen Schulbildung und Gesundheit kann man heute überall nachlesen - von der U-Bahn-Zeitung bis hin zu den Qualitätsmedien.
Grundlage für das Gelingen notwendiger Reformen
Ist Föderalismus schlecht? Nein! Er kann ein Segen für alle sein, wenn die politisch Verantwortlichen sich konsequent die Frage stellen, welche Aufgaben in welchem Bereich welche Ebene - Gemeinden, Bundesländer, Bund - am besten und kostengünstigsten leisten kann und wo genau welche Verantwortlichkeiten liegen. Die Wissensbeschaffung für werthaltige Antworten und faktenbasiertes politisches Reformieren ist im digitalen Zeitalter eine Frage von Sekunden.
Das Zusammen- und Überblicksdenken hinsichtlich der drei föderalen Ebenen ist eingestandener Weise mühsamer und verlangt konsequent trainierte Intelligenz. Die praktische Verwirklichung der als zweckmäßig erkannten föderalen Strukturen braucht orientiertes, agiles und resilientes politisches Handeln statt Jammern, Schimpfen oder Beschuldigen, die in den vergangenen Jahren zu omnipräsenten, aber verheerenden politischen Tools geworden sind - mit steigendem Vertrauensverlust der Politik als evidentem Ergebnis. Dieses orientierungsfreie politische Handeln verschwendet Ressourcen, die im gezielten, plangeleiteten Tun besser angelegt wären. Stoppen wir das Jammern - kommen wir zum orientierten Tu, und zwar raschestmöglich!
Österreich verfügt über föderales Best Practice
Die Republik Österreich braucht sich zudem lediglich an ihrem eigen Best Practice zu orientieren - das gibt es! Auf Initiative eines einzelnen engagierten Ministerialbeamten (!) ist vor mehr als vier Jahrzehnten ein exakt den hier dargestellten Prämissen folgendes föderal-subsidiäres Kulturförderungsgesetz entstanden, das bis heute seine positive Wirkung entfaltet. Warum ist dieses Gesetzeswerk weitgehend unbekannt? Weil es perfekt gelungen ist, Transparenz sichert, alle zufriedenstellt, keine negativen Schlagzeilen macht und keinen Stoff für Untersuchungsausschüsse liefert - und dies im Kulturbereich, der von sehr aufmerksamen, kritischen und oft überaus politikskeptischen Persönlichkeiten geprägt ist.
Oft wird Österreichs Umgang mit dem Föderalismus als "patschert" bezeichnet. Was bedeutet dieser Begriff? Er meint eine Melange aus gutem Willen, fehlendem Wissen und optimistischer Sorglosigkeit à la "Es wird schon irgendwie funktionieren, es ist letztendlich immer irgendwie gegangen!" Vorsicht! Dass gar nichts mehr geht, kann rascher eintreten, als wir es uns vorstellen können! Die Lösungen gibt es aber. Verwirklichen wir diese ohne weiteres Zögern.