Saudis für Attacke auf den Iran. | Experte: Wenig politischer Schaden. | Wien/Washington. Im Department of State, dem amerikanischen Außenamt, ist wahrscheinlich der nackte Wahnsinn ausgebrochen. Händeringend hatte Chefdiplomatin Hillary Clinton noch vor wenigen Tagen versucht, die Veröffentlichung brisanter Dokumente ihrer Angestellten zu verhindern - ohne Erfolg. Die Internetplattform Wikileaks stellt die teils als "Geheimsache" eingestuften Berichte aus amerikanischen Botschaften am Wochenende online. Seither durchforsten Journalisten intensiv die Archive und bringen im Stundentakt neue Enthüllungen ans Tageslicht.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Wir sind Diplomaten. Das heißt: Wenn wir sagen, was wir denken, haben wir uns versprochen", besagt ein geflügeltes Wort aus der Feder von Schriftsteller Henry Morton Robinson. Die Diplomatie lebt davon, ihr Gegenüber nicht wissen zu lassen, was man wirklich von ihm hält, immer schön freundlich zu sein und nur nach innen hin wahre Einschätzungen preiszugeben.
Von daher wirkt die Veröffentlichung abschätziger Äußerungen von US-Diplomaten über die Staatenlenker dieser Welt wie ein diplomatischer Supergau. Da werden Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin und Präsident Dmitri Medwedew als "Batman und Robin" bezeichnet, dort die deutsche Kanzlerin als "Teflon-Merkel".
So schmerzhaft die Enthüllungen für die betroffenen Diplomaten auch sein dürften: Realpolitisch sind die nun publizierten peinlichen Details für den österreichischen Politologen Otmar Höll noch das geringste Übel. "So Sachen, wie dass Putin ein Alpha-Rüde ist: Politiker sind hartgesotten genug, um das zu verkraften und um zu wissen, dass so etwas einfach passiert", erklärte der Experte vom Österreichischen Institut für Internationale Politik. Er glaubt nicht, dass die Enthüllungen zu gröberen bilateralen Dissonanzen führen werden: "Jeder weiß, dass das die anderen auch machen."
"Nachrichtendienstmit wenig Intellekt"
Viel beunruhigender ist für Höll "mit wie wenig Intellekt die ganze Sache betrieben wird und wie einfach gestrickt die Intelligence (Anm.: der Nachrichtendienst) ist". Am Ende könnte Wikileaks allerdings etwas Positives bewirken. Die Enthüllung "könnte für eine Zivilisierung der internationalen Politik nicht schlecht sein", sagte Höll.
Es ist durchaus plausibel, dass Diplomaten durch die Sicherheitslücken im System künftig verunsichert sein könnten und intern nicht mehr so offen agieren, wie sie das bisher gemacht haben. Dies birgt eine Gefahr der Verschlechterung des Dienstes. Experten gehen davon aus, dass die Geheimhaltungsvorschriften künftig verschärft werden. Auch in kleinen Kreisen werde künftig wohl nicht mehr so offen gesprochen wie bisher, erklärte der Medienexperte Christoph Neuberger.
In manchen Punkten könnten die Veröffentlichungen aber auch gefährlich sein. Etwa wenn es um die Kontakte zwischen Israel und der arabischen Welt geht, die sich intensiver gestalten, als bisher offiziell angegeben. Dass es geheime diplomatische Treffen zwischen Arabern und Israelis gibt, ist ein offenes Geheimnis. Brisant wird es dort, wo Namen fallen. So mancher ranghoher Unterhändler aus der arabischen Welt bat um Wahrung seiner Identität, da ihn bei Bekanntwerden drakonische Strafen in seiner Heimat erwarten dürften.
Geheime Verhandlerin der Bredouille?
Sollten die Unmengen an Daten, die von Wikileaks veröffentlicht wurden, eine Spur zu dem einen oder anderen Unterhändler legen, könnte das unangenehme Folgen nach sich ziehen. Grundsätzlich dürften die Enthüllungen für Israel aber erfreulich sein. Zeigen sie doch, dass nicht nur Israel, sondern auch prominente arabische Länder mit Misstrauen in Richtung Iran blicken. Einige Herrscher haben sogar nichts dagegen, wenn die USA mit einer Militärintervention das iranische Atomprogramm zerstören würden - eine Position, die bisher nie offiziell geäußert wurde. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sagte: "Zum ersten Mal in der Geschichte herrscht Einigkeit in der Region (...), dass die Hauptbedrohung der Iran und seine Aufrüstung sind."
Die arabischen Regime sind nach dem Wikileaks-Coup in eine Art Schockstarre gefallen. Hinter den Kulissen suchte man fieberhaft nach Strategien aus der misslichen Lage. Die syrische Zeitung "Tishrin" streute am Montag Zweifel an der Echtheit der Dokumente. Die regierungsnahe irakische Zeitung "Al-Sabah" erklärte, Diplomaten seien nicht unfehlbar: "Es ist möglich, dass einige dieser Analysen und Einschätzungen falsch sind." Der mit saudischen Geldern finanzierte Nachrichtensender Al-Arabiya berichtete zwar über die Enthüllungen. Alles, was die regionalen Herrscher und Probleme anging, wurde jedoch ausgeklammert. Im Außenministerium in Riad hieß es: "Kein Kommentar."