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Wenige Optionen im syrischen Dilemma

Von Georg Friesenbichler

Politik

Ein militärisches Eingreifen wird von allen Seiten ausgeschlossen.


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Damaskus.

Die syrische Opposition berichtet von wahren Gräueltaten: In dem Viertel Baba Amro der Stadt Homs seien drei Familien von Milizionären des Assad-Regimes hingemetzelt, 19 Menschen dabei mit Messern massakriert worden. Von insgesamt 47 toten Zivilisten war am Mittwoch die Rede. In zwei Krankenhäusern seien 18 Frühchen in ihren Brutkästen umgekommen, weil der Strom abgeschaltet worden sei. Die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" meldet, dass Ärzte, die verwundete Demonstranten behandelten, verhaftet und gefoltert wurden,

Nachprüfbar sind diese Berichte meist nicht. Nur eines scheint klar zu sein: Die Stadt Homs ist derzeit offenbar der Mittelpunkt der Bemühungen der Regierungstruppen, den Aufstand niederzuschlagen. Ein BBC-Reporter, einer der wenigen ausländischen Journalisten im Land, berichtete von schwerem Granatbeschuss, der nur vereinzelt von Deserteuren aus der syrischen Armee mit Gewehrschüssen beantwortet werde.

Ein Ende der Gewalt ist also nicht in Sicht, obwohl es sich zumindest offiziell jeder wünscht. Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow, der Dienstag das Land besuchte. Während die westlichen Staaten allerdings das Regime von Präsident Bashar al-Assad für die vielen Toten verantwortlich machen, bleibt Lawrow beim russischen Standpunkt, Gewalt "egal, von welcher Seite sie stammen sollte" zu verurteilen. Sein Land hat bekanntlich zusammen mit China eine Resolution des UNO-Sicherheitsrates zur Verurteilung der syrischen Regierung durch ein Veto verhindert. Lawrow plädierte dafür, möglichst viele Beobachter der Arabischen Liga ins Land zu lassen, um "Verletzungen des Friedensprozesses" notieren zu können. Die Liga macht unterdessen das gerade Gegenteil: Am Mittwoch forderte sie ihre Beobachter auf, Syrien zu verlassen. Lediglich der Leiter der Beobachtermission, Mohammed al-Dabi, und sein Stab sollen zunächst noch in Damaskus bleiben. Lawrow nannte diesen Schritt ebenso wie den Abzug einzelner westlicher Botschafter "unlogisch". Man solle vielmehr einen Dialog der Regierung mit der Opposition organisieren, dem die Weltgemeinschaft nicht vorgreifen dürfe. Dieser Dialog ist allerdings mehr als unwahrscheinlich: So uneinig sich die verschiedenen Oppositionsgruppen in vielen Belangen zeigen, so einig sind sie sich in der Forderung nach dem Rücktritt Assads.

Intervention keine Option

Russland befürchtet eigenen Angaben zufolge eine Entwicklung wie in Libyen, wo sich Moskau im Sicherheitsrat seiner Stimme gegen die Flugverbotszone enthalten hat, das UN-Mandat aber letztlich durch den Sturz von Muammar Gaddafi überschritten sah. Eine militärische Intervention schließen derzeit aber alle Seiten aus. Zwar sickerte aus Kreisen der US-Regierung durch, dass man begonnen habe, die Möglichkeiten der US-Streitkräfte auszuloten - dies sei aber lediglich eine Aktion, um diplomatischen und wirtschaftlichen Druck zu erzeugen, hieß es. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle lehnte gleichfalls eine militärische Lösung ab: "Das sehen auch alle Beteiligten so", meinte er. Schließlich sind auch große Teile der syrischen Opposition gegen eine Intervention von außen.

Die US-Botschafterin bei der UNO, Susan Rice, appelliert denn auch an Assad: "Es ist überfällig, die Macht verantwortungsvoll und friedlich zu übergeben." Am Dienstag hatten mehrere US-Abgeordnete, darunter der republikanische Senator John McCain, gefordert, die syrische Opposition durch Waffenlieferungen zu unterstützen. Auch dies werde derzeit nicht erwogen, erwiderte das Weiße Haus. Die Türkei, über die solche Waffenlieferungen laufen müssten, sperrt sich aus Furcht vor einer weiteren Eskalation an ihren Grenzen gleichfalls gegen solche Waffenlieferungen.

Überlegt wird in Washington derzeit allerdings eine humanitäre Hilfe für die unterdrückte syrische Bevölkerung. Im Raum steht auch eine Ausdehnung der Sanktionen gegen Damaskus. Einen solchen Schritt kündigte auch Westerwelle für die Sitzung der EU-Außenminister Ende Februar an. Außerdem werde man die US-Idee einer internationalen Kontaktgruppe unterstützen, in der die Türkei, arabische und westliche Staaten eine gemeinsame Vorgangsweise gegen das Assad-Regime erarbeiten sollen.

Strategische Interessen

Die Möglichkeit, die russische Seite von ihrer starren Haltung abzubringen, will Westerwelle zudem weiterverfolgen. Derzeit sieht diese Strategie allerdings nicht erfolgversprechend aus. Moskau hat in Syrien starke Interessen. Das Land ist einer der wichtigsten Importeure russischer Waffen, was umso bedeutender ist, als mit Libyen ein anderer Großabnehmer gerade verloren ging. Im Vorjahr verkaufte Russland Waffen um rund eine Milliarde Dollar an Damaskus, und erst kürzlich wurde ein Vertrag über die Lieferung von 36 Trainingsjets, die auch militärisch genutzt werden können, mit einem Volumen von 550 Millionen Dollar abgeschlossen.

Außerdem will Russland mit der Verteidigung Assads zwei wichtige strategische Interessen sichern: Einerseits unterhält es in der syrischen Hafenstadt Tartus seinen einzigen Stützpunkt im Mittelmeer und im Nahen Osten, wo derzeit auch der einzige russische Flugzeugträger vor Anker liegt. Andererseits kann Russland nur noch mit Syrien und dem mit ihm verbündeten Iran seinen spärlich gewordenen Einfluss in der Region aufrechterhalten. Teheran hat das Veto Moskaus gegen die Syrien-Resolution ausdrücklich begrüßt. Der Westen wiederum will mit der Isolation Syriens auch den Iran treffen, mit dem man im Dauerkonflikt um sein Atomprogramm liegt. Manche Beobachter spekulieren sogar, dass Wladimir Putin versucht, mit einer bewusst anti-westlichen Haltung Stimmen bei den russischen Präsidentschaftswahlen im März zu holen. Am Mittwoch wandte er sich scharf gegen eine Intervention: "Niemand sollte sich wie ein Elefant im Porzellanladen benehmen", sagte er.

Wegen der international verfahrenen Situation können die aufständischen Syrer kaum auf Unterstützung von außen vertrauen. Manche von ihnen hoffen, dass sich immer mehr Assad-Soldaten den Deserteuren der "Freien Syrischen Armee" anschließen. Bisher verfügt diese nach eigenen Angaben über rund 40.000 Mann - das wäre etwa ein Zehntel der Stärke der Streitkräfte vor Beginn der Unruhen. Das Regime hat laut Opposition am Mittwoch in der südlichen Provinz Daraa eine Offensive gegen fahnenflüchtige Soldaten gestartet.