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Weniger Arbeit, mehr Zeit

Von Monika Jonasch

Reflexionen

Der Arbeitsmarkt ist gerade in Zeiten wirtschaftlicher Krisen heiß | umkämpft. Wer einen Job hat, muss immer mehr investieren, um ihn auch zu behalten. Der Druck steigt, Überstunden werden zur Gewohnheit, Erschöpfung macht sich | breit. - Eine Auszeit oder verminderte Arbeitszeit kann da neue Motivation und | neue Perspektiven bringen. Immer mehr Unternehmen begreifen Bildungskarenzen, | Teilzeit, Sabbaticals & Co. als Mittel, fähige Mitarbeiter längerfristig zu binden.


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Wie man es auch dreht und wendet, die Beschäftigung mit einem Ausstieg vom Arbeits-alltag enthält immer auch die ganz persönliche Beantwortung der Frage nach dem Sinn des Lebens. Gerade Menschen, die viel Einsatz im Job bringen, kommen irgendwann an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit an und suchen dann neue Perspektiven. Ein finanzieller Ausgleich für das Engagement bringt nur kurzfristig Befriedigung. Hingegen wird Freizeit, weil sie so rar ist, zum Luxusgut, ersetzt so manches Statussymbol, das durch die kaum verfügbare Zeit ohnehin an Bedeutung verliert.

Trieb in den 1970ern das Streben nach Wohlstand, in den 1980ern die Sucht nach Statussymbolen und in den 1990ern die Sucht nach teurer Wellness die Menschen an den (Vollzeit-) Arbeitsplatz, hat sich mittlerweile der Wunsch nach mehr frei verfügbarer Zeit etabliert.

Hinzu kam ein Verlust allgemein gültiger Werte, der viele Menschen orientierungslos zwischen Geld, Macht und Statusdenken zurückließ. So entstand das Bedürfnis, mehr Zeit mit Freunden und Familie, Hobbys und privaten Engagements verbringen zu können. Der Sinn des Lebens verlagerte sich wieder ins Privatleben, soziale Kontakte gewannen an Bedeutung und wurden wieder bewusster angestrebt.

Leben im Gleichgewicht. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie - auch als "Work-Life-Balance" im angloamerikanischen Raum bekannt - mutierte zum Schlagwort. Wer heute von Lebensqualität spricht, meint auch ein befriedigendes Ausmaß an frei verfügbarer Zeit. Ruhe und Erholung als Kontrast zum Stress im Arbeitsalltag gelten als wichtig für die Gesundheit. Das liegt daher auch im Interesse der Unternehmen, die zunehmend mit längeren Ausfallszeiten aufgrund von Krankenständen konfrontiert sind.

Nicht gerade zufällig taucht der Wunsch nach Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben in Zeiten auf, in denen Frauen am Arbeitsmarkt eine immer wichtigere Rolle spielen. Wer Betreuungspflichten für Kinder oder andere Angehörige übernimmt, sich aber beruflich engagieren will oder muss, für den ist eine lebbare Balance zwischen Arbeit und Freizeit ein Grundbedürfnis.

Dieser Balance kommen auch flexiblere Arbeitszeiten entgegen. Sie werden durch die heute verfügbare Technik ergänzt. Telearbeit bzw. Home-Office-Tage sind damit für einen Großteil der Arbeitnehmer möglich. Dass so auch die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwimmt, kann jedoch zu sogar noch mehr Stress führen.

Wenn es aber gelingt, anstrengende, arbeitsintensive Phasen mit Zeiten der Entspannung in Einklang zu bringen, können Unternehmen wie Mitarbeiter profitieren: Mehr Engagement, Loyalität und Motivation einerseits sowie bessere Gesundheit und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben andererseits kommen beiden Seiten zugute.

Luxusgut Freizeit. Auch wenn das Bedürfnis nach mehr frei verfügbarer Zeit steigt, bleibt Arbeit als zentrales, weil sinnstiftendes, Element erhalten. Nach wie vor definiert sich der moderne Mitteleuropäer über seinen Beruf sowie über die Höhe des Gehalts und die damit leistbaren Statussymbole. Wer man ist und wie man wahrgenommen wird, wird wesentlich vom Job bestimmt.

Der fixe (Vollzeit-) Arbeitsplatz gilt außerdem nach wie vor als ultimative Existenzsicherung, auch wenn er in vielerlei Hinsicht bereits ein Auslaufmodell ist. Denn Arbeit gibt es tatsächlich nicht mehr für alle. Industrialisierung und Globalisierung haben ihre Spuren hinterlassen. Längst wurden viele Menschen an den Rand der arbeitenden Gesellschaft gedrängt. Gerade bei jenen Jobs, die wenig bis keine Ausbildung erfordern, hat der weltweite Wettbewerb seine Opfer gefordert.

Freizeit gibt es aber nur "im Paket" mit Arbeitszeit. Beides bedingt sich, ist verschränkt, hängt voneinander ab. Wer nicht arbeitet, hat keine Freizeit im klassischen Sinn. Außerdem sind der Gestaltung von Freizeit ohne Erwerbstätigkeit meist enge Grenzen gesetzt.

Ein Mehr an Freizeit muss man sich also auch leisten können. Wer weniger arbeitet, verdient schließlich auch weniger. Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma hat Trendforscherin Faith Popcorn im sogenannten "Cashing Out" der US-Mittelschicht geortet. Gemeint ist dabei der bewusste Verzicht auf einen teuren Lebensstil, um dem Luxus Freizeit mehr Raum zu geben. Dieser Trend, so Popcorn, verstehe sich als Gegenbewegung zum egozentrierten Konsumstreben der jüngeren Vergangenheit.

Große und kleine Pausen. Ein längerer Ausstieg aus dem Job, auch Sabbatical oder Sabbatjahr genannt, war bislang vor allem im Management-Bereich verbreitet. Denn wo individuelle Arbeitsverträge ohnehin an der Tagesordnung sind, können arbeitsintensivere Phasen mit entsprechend hohem Verdienst einfacher mit freieren, weitgehend unbezahlten Phasen belohnt werden. Sabbaticals gibt es mittlerweile aber auch quer durch die Unternehmen. Meist hängen sie jedoch von einer längeren Betriebszugehörigkeit ab und sind individuell zu vereinbaren.

Werden Sabbaticals für die Weiterbildung genützt, spricht man hierzulande von Bildungskarenzen. Sie sind in Österreich seit kurzem für alle Beschäftigten, die sechs Monate ununterbrochen in einem Unternehmen arbeiten, möglich. Eine Bildungskarenz kann zwei bis maximal 12 Monate dauern und auf vier Jahre aufgeteilt werden. Sie wird mit einem "Weiterbildungsgeld" in Höhe des Arbeitslosengeldes unterstützt. Zwar besteht kein Rechtsanspruch auf die Bildungsfreistellung, allein die gesetzliche Regelung hat die Bildungspause jedoch bereits aus dem Akademikermilieu, aus dem sie kommt, ins Allgemeinbewusstsein gerückt. Dem aktuell angestrebten Prinzip vom lebenslangen Lernen entsprechend dürfte sie künftig noch mehr nachgefragt und zugestanden werden.

Am häufigsten wird in Österreich nach wie vor sicher der Ausstieg vom Job in Form von Elternkarenzen genützt. Hier hat sich zuletzt viel getan: Die Einheitsvariante - nur Mütter steigen bis zu drei Jahre aus, bei einheitlichem Kinderbetreuungsgeld - hat sich fast überlebt. Inzwischen können sich Väter und Mütter den Ausstieg bis zum 14., 18., 24. oder 36. Lebensmonat des Kindes bei entsprechend gestaffelten Bezügen aufteilen. Relativ neu ist die Variante, bei 80 Prozent der Bezüge bis zum 14. Lebensmonat des Kindes zu pausieren.

Anschließend an die Karenz gibt es dann die Elternteilzeit, mit der man das berufliche Engagement entsprechend der Betreuungspflichten reduzieren kann. Der damit verbundene Kündigungsschutz bis zum siebenten Geburtstag des Kindes bietet hier zusätzlich Sicherheit.

Schließlich sind hierzulande noch Gleitzeiten recht verbreitet. Sie werden zwischen Unternehmen und Mitarbeitern vereinbart und flexibilisieren Beginn, Dauer und Ende des Arbeitseinsatzes. So soll die Balance zwischen Beruf und Privatem erleichtert werden. Oft beschränkt jedoch eine Kernzeit, zu der Anwesenheitspflicht für alle Mitarbeiter herrscht, die flexiblere Gleitzeit.

Flexibles Arbeiten in der

Realität. Wie Teilzeit, Gleitzeit, Telearbeit oder der Ausstieg auf Zeit von den Mitarbeitern wahrgenommen werden, hängt stark davon ab, wie gut die reduzierte Anwesenheit im Unternehmen akzeptiert und umgesetzt wird.

So hat Hewlett-Packard (HP) in Österreich stattliche 46 Teilzeit-Modelle, wobei die Elternteilzeit noch gar nicht berücksichtigt ist. Hinzu kommen Telearbeit bzw. Home Office, die alle, auch Vollzeit-Mitarbeiter, nutzen können. Kernarbeitszeiten gibt es keine. Um die unterschiedlichen Büro-Anwesenheiten gut zu integrieren, hat man sich etwas einfallen lassen: "Im HP-Office wird täglich Frühstück für die Mitarbeiter angeboten. Das ist ein beliebter Treffpunkt für alle, die gerade im Büro sind. So können sich auch jene auf dem Laufenden halten, die nur ein, zwei oder drei Tage die Woche im Büro sind", erklärt Evelin Mayr, Personaldirektorin von HP Österreich.

Teilzeitvarianten werden allerdings nach wie vor hauptsächlich von Frauen in Anspruch genommen, beobachtet man bei HP.

Ähnliches hat auch Michaela Foissner-Riegler, Human Resources Managerin von Ikea Österreich, festgestellt: "Aktuell sind bei Ikea Österreich etwa 57 Prozent aller Mitarbeiter in Teilzeit, davon sind ein Viertel Männer. Zwei Männer sind in Elternteilzeit - ein Wert, der sich künftig hoffentlich erhöhen wird."

Auch beim schwedischen Möbelhaus versucht man die Arbeitszeit-Flexibilität mit der Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, zu unterstützen. Foissner-Riegler, selbst Mutter einer vierjährigen Tochter und Teilzeit-Managerin, weiß aus eigener Erfahrung: "Eine persönliche Anwesenheit ist nicht immer notwendig. Ich kann mir meine Arbeitszeit individuell einteilen. Manchmal gehe ich früher, habe mehr Zeit für die Familie, bringe meine Tochter ins Bett und setze mich dann wieder zum Arbeiten. Das funktioniert wirklich gut."

In Sachen Teilzeit gilt sowohl bei HP als auch bei Ikea: Erst Respekt vor einander und offene Kommunikation machen aus Vollzeit- und Teilzeitmitarbeitern ein schlagkräftiges Team. Abläufe müssen entsprechend abgestimmt, der Arbeitsumfang an die reduzierten Arbeitszeiten angepasst werden. "Sonst läuft man Gefahr, letztendlich für den gleichen Job und vor allem für den gleichen Tätigkeitsumfang nur mehr die Hälfte der Zeit zur Verfügung zu haben", warnt Foissner-Riegler.

"Wie produktiv jemand in seinem Job ist, hängt schließlich von vielen Faktoren ab und wird nicht allein durch die Arbeitszeit bestimmt", betont die Ikea-Managerin. "Ob Voll- oder Teilzeit, jeder Job wird als gleich viel wert betrachtet", ergänzt HP-Personaldirektorin Mayr.

Obwohl derzeit eher Teilzeit im Vordergrund steht, melden die Mitarbeiter beider Unternehmen verstärkt Interesse an längeren Auszeiten an. Bei HP geht der Trend hierbei seit 2009 in Richtung Bildungskarenz, bei Ikea werden zunehmend Sabbaticals nachgefragt. Für längere Auszeiten gibt es bei HP und Ikea individuelle Lösungen.

Beim finnischen Handykonzern Nokia hat man hingegen international die Vereinbarung, dass bei zehnjähriger Unternehmenszugehörigkeit bis zu zwölf Monate unbezahlter Urlaub am Stück genommen werden können. Zur besseren Balance zwischen Arbeit und Privatleben bieten die Finnen ihren Mitarbeitern ebenfalls Teleworking und Teilzeit an.

"Um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben, muss man die Arbeitszeitmodelle dem Bedarf anpassen und etwas für jeden Geschmack anbieten", heißt es von Ikea. "Gute Leute überlegen sich heute genau, wo sie arbeiten. Nur attraktive Arbeitgeber können diese Personen für sich gewinnen und langfristig auch halten", stimmt HP-Managerin Mayr diesem Tenor zu.