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Weniger arbeiten gegen Krise?

Von Clemens Neuhold

Politik
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300 Millionen Überstunden machen wir - bei historisch hohen Arbeitslosenzahlen .
© fotolia

Wifo-Chef Aiginger: "Unintelligent, Leute nicht kürzer arbeiten zu lassen."


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Wien. Der Druck am Arbeitsmarkt steigt. Jene, die einen Job haben, leiden zunehmend unter Stress, Überforderung, Sinnlosigkeit oder Burnout. Immer mehr Menschen können sich daher vorstellen, dauerhaft oder temporär weniger zu arbeiten, und sind bereit, Lohneinbußen in Kauf zu nehmen, zeigen Umfragen.

Der Druck steigt aber auch bei jenen, die keinen Job haben. Die Arbeitslosigkeit hat sich bei rund 350.000 Menschen eingependelt und wird in den kommenden Jahren auf diesem historisch hohen Sockel verharren. Diese ernüchternden Zahlen hat das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) am Donnerstag präsentiert.

Zwei Fliegen, eine Klappe?

Wegen der leeren Staatskassen bleibt kaum Spielraum, gegenzusteuern. Wifo-Chef Karl Aiginger plädiert daher dafür, "die Arbeit anders zu verteilen". Damit wären wir wieder bei der ersten Gruppe. "Es wäre unintelligent, Menschen nicht kürzer arbeiten zu lassen, die das wollen." Zusatz: Das würde zusätzliche Jobs schaffen.

Wenn ausgebrannte Arbeitnehmer kürzer treten, könnten sie dadurch nicht nur die persönliche Krise lindern, sondern auch die Krise am Jobmarkt. Eine generelle 35-Stunden-Woche wie in Frankreich schwebt Aiginger nicht vor, sondern "flexiblere" Modelle.

Die Gewerkschaft drängt seit Jahren auf kürzere Arbeitszeiten, mit mehr oder weniger flexiblen Modellen. Die Gewerkschaft der Privatangestellten GPA erneuert ihre Forderung nach einer sechsten Urlaubswoche, wie sie Beamten seit 2011 automatisch schon ab dem 43. Lebensjahr zusteht. Privat Beschäftigten steht sie erst nach 25 Jahren im selben Betrieb zu. "Es ist fatal, wenn das an einen Betrieb gekoppelt ist. Gerade Frauen wechseln sehr oft Job. Das heißt, dass sie diskriminiert sind und nie Anspruch auf die 6. Woche haben", sagt Vize-Geschäftsführer Karl Proyer. Auch ein "Rucksackmodell", wo man Jahre in verschiedenen Firmen ansammeln kann, wäre für ihn denkbar.

Der Vorsitzende der Produktionsgewerkschaft Proge (Metaller, Textil, Chemie, Lebensmittel etc.), Rainer Wimmer, drängt vor allem bei älteren Arbeitnehmern auf verkürzte Arbeitszeiten. Für Schichtarbeit oder Nachtstunden sollten sie mehr Zeit auf ihr Arbeitszeitkonto bekommen als in einer normalen Stunde. "Das wäre eine klassische Arbeitszeitverkürzung", sagt Wimmer. "Die Menschen werden immer älter und sollen immer länger arbeiten. Da müssen wir die Bedingungen vor allem bei "Hacklern" angenehmer gestalten.

Was sowohl Arbeiterkammer, Gewerkschaft als auch Sozialminister Rudolf Hundstorfer fordern, ist der Abbau der Überstunden. Derzeit machen rund 700.000 Arbeitnehmer regelmäßig Überstunden, das summiert sich auf 300 Millionen Stunden - viel Zeit und Platz für neue Arbeitsplätze.

"Wir Leistungsweltmeister arbeiten durchschnittlich 43 Stunden pro Woche, viele 50 bis 60 Stunden", sagt Proyer. "Es wäre extrem wichtig, auf tatsächliche Arbeitszeiten zu kommen. Die Zeitmodelle mit all den All-in-Verträgen sind völlig entgleist."

Laut Helmut Mahringer, dem Arbeitsmarktexperten des Wifo, hat sich das Modelle der Bildungskarenz bewährt. Das sei "ausbaufähig". So könnten Betriebe eine Auszeit auch aus anderen Gründen als einer Weiterbildung gewähren. "Dann müssen Menschen Dinge, die ihnen wichtig sind, nicht auf die Pension verschieben." Auch über eine Verlängerung des Urlaubs könne man diskutieren. "Es gibt viele flexible Möglichkeiten. Wer länger in einem Betrieb ist, könnte zum Beispiel das Recht erwerben, über eine bestimmte Phase weniger zu arbeiten", meint Mahringer. Hier sei auch das Management der Betriebe gefragt. Für eine generelle Arbeitszeitverkürzung sei das System schon zu heterogen.

"Eine grundsätzliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist ein No-Go", sagt der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer. Auch eine sechste Urlaubswoche kann er sich "derzeit aus konjunktureller Sicht" nicht vorstellen. "Auf Ebene der Betriebe, die ihre Marktlage kennen, kann und muss man aber über Modelle reden."