Zum Hauptinhalt springen

Weniger Ärzte, mehr Stunden

Von Ina Weber

Politik

WGKK-Obfrau Reischl über den Spagat zwischen der Bezahlung neuester medizinischer Angebote und der Honorierung der Ärzte.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) ist als Geldgeber ein wichtiger Player im Wiener Gesundheitssystem. Erstmals wird sie für das Jahr 2016 positiv bilanzieren. Wie das zu schaffen war und warum dennoch nicht die von der Ärztekammer geforderten zusätzlichen Kassenärzte im niedergelassenen Bereich nötig sind, erklärt WGKK-Obfrau Ingrid Reischl im Interview.

"Wiener Zeitung":Die Wiener Ärztekammer fordert vor dem Hintergrund der Überlastung in Wiens Spitälern rund 300 Kassenärzte mehr im niedergelassenen Bereich. Auch die Stadt Wien und der Krankenanstaltenverbund versuchen, die Patienten aus den Spitälern in den niedergelassenen Bereichen zu bekommen. Was sagen Sie dazu?Ingrid Reischl: Die geforderten 300 zusätzlichen Ordinationen würden ein Plus von rund 20 Prozent bedeuten - auf Basis der Zahl der Allgemeinmediziner und Fachärzte steht das in keinem Verhältnis zum Bevölkerungswachstum von 2,4 Prozent im Vorjahr. Österreich hat unter allen OECD-Ländern eine der höchsten, wenn nicht sogar die höchste Ärztedichte pro Einwohner.

In Wien gehen aber viele Patienten gleich in die Spitalambulanzen anstatt zum Hausarzt, weil dieser nicht offen hat. Warum arbeitet ein Hausarzt nicht 40 Stunden in der Woche oder auch am Wochenende?

Die Versorgung am Wochenende durch Allgemeinärzte ist gegeben. In Wien steht der Ärztefunkdienst in der Nacht, an den Wochenenden und Feiertagen zur Verfügung. Die dort tätigen Ärzte betreuen die Patienten wie andere Hausärzte auch. Zu den Öffnungszeiten ist zu sagen, dass uns umfassende Öffnungszeiten ein großes Anliegen sind. Eine Ausweitung auf 40 Stunden ist aber alleine deshalb nicht möglich, weil der Arzt keine Möglichkeit mehr hätte, Hausbesuche durchzuführen.

Wie lange muss ein Hausarzt geöffnet haben?

Die Ärzte, die einen Vertrag mit der WGKK abgeschlossen haben, müssen die vertraglich vereinbarten Mindestöffnungszeiten einhalten. Diese muss seit 2004 bei 20 Wochenstunden liegen, die auf fünf Tage verteilt werden müssen. Bei Fachärzten können sie auf vier Tage verteilt werden. Vor dem Jahr 2004 lag die wöchentliche Mindestöffnungszeit bei nur 10 bis 15 Stunden.

Der Hausarzt wird pro Patient und Leistung bezahlt. Würde er am Wochenende dasselbe bekommen?

Ein Hausarzt bekommt pro Patient grundsätzlich zumindest eine Fallpauschale in der Höhe von 18,74 Euro sowie den Hausarztzuschlag in der Höhe von 10,35 Euro pro Quartal. Zusätzlich werden erbrachte Einzelleistungen gesondert honoriert. Wenn er am Wochenende tätig ist, bekommt er einen entsprechenden Zuschlag in der Höhe von 50 Prozent des jeweils für die erbrachte Leistung anwendbaren Tarifes.

Wie viele Kassenverträge für Hausärzte in Wien gibt es? Sind es mehr oder weniger im Laufe der Zeit geworden?

Die Allgemeinmediziner sind zwar zurückgegangen - im Jahr 2015 waren es 766, im Jahr 2016 sind es 751 -, dafür wurde die Zahl der Stunden erhöht. Die Ärzte, die zwischen 1. Jänner 2015 und 1. Jänner 2016 ihren Vertrag mit uns beendet haben, hatten weniger als 20 Stunden geöffnet. Die Ärzte, die die Kassenplanstellen übernommen haben, haben nun mindestens 20 Stunden pro Woche geöffnet.

Was macht der Hausarzt, wenn er geschlossen hat?

Neben den administrativen Tätigkeiten führen die Ärzte Hausbesuche durch, die die WGKK extra vergütet.

Wenn beklagt wird, dass so viele in die Spitalambulanzen fahren und nicht den Ärztefunkdienst anrufen: Kann es sein, dass viele gar nicht wissen, dass es einen solchen gibt?

Das kann man so nicht sagen. In vielen Ordinationen weisen die Ärzte darauf hin, wohin sich die Patienten wenden können, wenn der Arzt nicht da ist.

Kann es sein, dass viele gar nicht mehr wissen, dass es so etwas wie Hausbesuche in der Stadt gibt?

Es hängt vielfach vom Arzt ab, ob er oder sie auf diese Möglichkeit hinweist. Wir wissen von Ärzten, die das aktiv ansprechen. Andere tun es nicht. Seitens der WGKK wird bei den Ärzteeinschulungen auf die Verpflichtung des Krankenbesuches hingewiesen.

Wie steht die WGKK derzeit finanziell da?

2009 lag das Reinvermögen bei rund minus 572,8 Millionen Euro. Dieses negative Reinvermögen konnte bis zum Jahr 2015 auf minus 57,9 Millionen Euro gesenkt werden. Für das Jahr 2016 ist ein Bilanzgewinn von 44,1 Millionen Euro prognostiziert.

Wie kam es zu der Verbesserung?

Hauptverantwortlich waren die Effizienzsteigerungen am Heilmittelsektor und das Sanierungskonzept des Bundes. Zum einen setzen wir verstärkt heilmittelökonomische Interventionen, zum Beispiel eine pharmaunabhängige Beratung von Ärzten sowohl im niedergelassenen Bereich als auch in den Spitälern. Dabei geht es um ökonomische Verschreibweise und Qualität. Zum anderen erhielt die WGKK vor allem für die Erreichung von Finanzzielen Mittel des Bundes und profitierte von der pauschalen Vorsteuerbeihilfe infolge der Umsatzsteuersenkung bei Heilmittel von 20 Prozent auf 10 Prozent.

Wie finanziert sich die WGKK?

Die WGKK erhält zum einen die Beiträge ihrer Versicherten, zum anderen Zuschüsse aus dem Ausgleichsfonds. Im Jahr 2015 hatte die WGKK Beitragseinnahmen in Höhe von 2,51 Milliarden Euro. Diese machten rund 80 Prozent der Erträge aus. Zusätzlich erhalten wir Zuschüsse aus dem Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen. Diese beliefen sich 2015 auf 100,2 Millionen Euro. Ich möchte betonen, dass der Ausgleichsfonds dazu da ist, strukturelle Nachteile auszugleichen. Eine gewisse Umverteilung ist sinnvoll, denn sonst würde das System nicht funktionieren.

Wie funktioniert der Ausgleichsfonds?

Der Ausgleichsfonds wird zu rund 59 Prozent von den Gebietskrankenkassen selbst finanziert. In der jetzigen Form gibt es ihn seit 2005. Er dient dazu, strukturelle Nachteile zwischen den Kassen auszugleichen und eine stabile Liquiditätslage zu sichern. Der Ausgleichsfonds gliedert sich in drei Töpfe, dem Strukturtopf bei dem die Einnahmenstruktur, der Spitalsnachteil, die Versichertenstruktur und der regionale Faktor eine Rolle spielen, der Liquiditätstopf, dabei kommen die Rücklagen ins Spiel und drittens der Topf für den besonderen Ausgleichsbedarf. Der Fonds speist sich zusätzlich aus Dienstgeberabgaben und Mitteln aus der Tabaksteuer.

Vor welchen Herausforderungen steht die WGKK in Zukunft?

Bei den Einnahmen und Ausgaben spielen Faktoren der Versichertengemeinschaft, wie das Alter und die Berufe der Versicherten, eine große Rolle. So tun sich Krankenkassen in Bundesländern mit höherem Beschäftigungswachstum leichter als jene in einem Bundesland, wo es viele Pensionisten, Arbeitslose oder prekäre Beschäftigung gibt. Auch die Medikamentenkosten sind enorm. In diesem Zusammenhang ist auf die spezielle Situation einer Großstadt hinzuweisen. Einmal mehr waren die hochpreisigen Heilmittel, etwa für die Behandlung von Hepatitis-C- sowie HIV-Patienten, der Grund für den Kostenschub. Die WGKK stemmt dabei einen unverhältnismäßig hohen Anteil der österreichweiten Kosten. Es sind rund ein Fünftel aller Österreicher bei uns versichert, bei den HIV-Medikamenten tragen wir jedoch die Hälfte der österreichweiten Kosten. Bei der Hepatitis-C-Behandlung sind es fast ein Drittel der Kosten.

Welche Leistungen wurden in den vergangenen Jahren dazugenommen, welche weggelassen?

Alleine im vergangenen Jahr sind Leistungen wie die Gratis-Zahnspange oder die Kinderpsychiatrie im niedergelassenen Bereich in den Honorarkatalog aufgenommen worden. Wir versuchen stets, die neuesten medizinischen Behandlungen zu nehmen und gleichzeitig das Honorar der Ärzte zu erhöhen. Da unsere finanzielle Situation aber angespannt ist, kann es mitunter schwierig sein, den Spagat zwischen den Leistungen und der Honorierung zu schaffen.

Die WGKK war lange Zeit vom Konkurs bedroht. Der Rechnungshof empfahl daher 2009 ein umgehendes Sanierungskonzept, "um die finanzielle Leistungsfähigkeit der WGKK nachhaltig zu sichern". Langfristige Maßnahmen sollten getroffen werden, etwa eine bessere Steuerung der Ausgaben für ärztliche Hilfe und Heilmittel, Tarifsenkungen oder einheitliche Behandlungsrichtlinien. Der Bund beschloss 2009 die finanzielle Absicherung der Gebietskrankenkassen aus Budgetmitteln. Ziel des der Bundesregierung Ende Juni 2009 übergebenen Sanierungskonzeptes "Gesundheit: Finanzierung sichern - Langfristige Potenziale zur Steuerung der Ausgaben und zur nachhaltigen Kostendämpfung" des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger war, dass die Kassen bis Ende 2013 einen ausgeglichenen Rechnungsabschluss haben sollten. Dieser waren Voraussetzung dafür, dass die Kassen die vom Bund zugesagten Strukturmittel aus dem Kassenstrukturfonds erhalten (für 2010 in Höhe von 100 Millionen Euro). Der Bund will den Kassen ab 2009 und Folgejahre mehr als 730 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Dem europäischen Trend folgend sollte die Konstruktion des Fonds dazu beitragen, die steuerfinanzierte Komponente im Gesundheitswesen zu erhöhen, bei gleichzeitiger Beibehaltung einer Beitragsorientierung eines selbstverwalteten Systems.

Den Krankenkassen wurde ein Kostendämpfungsvolumen von 1,725 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2010 bis 2013 vorgegeben. Dieses haben sie 2014 erreicht. Tatsächlich wurde das Ziel übertroffen und drei Milliarden Euro eingespart.

Die WGKK steht dennoch weiterhin unter Druck, hat sie doch einen hohen Anteil an beitragsfreien Mitversicherten. 1.644.907 Personen sind krankenversichert, davon leisten 1.218.423 Personen Beiträge. Die übrigen sind beitragsfrei mitversichert. Konkret hat sie 667.526 pflichtversicherte Erwerbstätige, 39.560 freiwillig Versicherte, 121.464 Arbeitslose, 348.064 Pensionisten, 58.587 Sonstige. Die größten Ausgabe-Posten (2015) sind: Spitalsfinanzierung: 905,42 Millionen Euro, Ärztliche Hilfe: 812,36 Millionen Euro, Medikamente: 665,01. Die WGKK hat Verträge mit rund 1600 Allgemeinmedizinern und Fachärzten abgeschlossen. Hinzu kommen 678 Zahnärzte sowie 30 Vertragskieferorthopäden, die die Gratis-Zahnspange anbieten. Insgesamt hat die WGKK Verträge mit mehr als 2300 niedergelassenen Ärzten abgeschlossen. Im Durchschnitt hat ein Allgemeinmediziner 45,16 Euro pro Fall erhalten, ein Facharzt 70,24 Euro.

Die Sanierung der Wiener Gebietskrankenkasse