Bis 2017 sollen 16 Milliarden Euro eingespart werden.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Den Haag. In Rekordzeit haben sich in den Niederlanden die rechtsliberale Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) und die sozialdemokratische Arbeiterpartei (PvdA) auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Nachdem beide Parteien bei den Wahlen im September überraschend viele Stimmen erhielten, war eine Koalition rechnerisch naheliegend aber keineswegs selbstverständlich. Da in der VVD der rechte Flügel stark ausgeprägt ist und die Arbeiterpartei in den letzten Monaten ein Stück nach links gerückt war, wurde allgemein mit schwierigen und zeitraubenden Verhandlungen gerechnet. Abgeschottet von Journalisten haben der zukünftige Regierungschef Mark Rutte (VVD) und Diederik Samsom (PvdA) einen Koalitionsvertrag ausgearbeitet, in dem sich die ideologischen Standpunkte beider Parteien deutlich widerspiegeln. Unter dem Motto "Brücken bauen" soll vor allem die Staatsverschuldung zurückgedrängt werden, insgesamt 16 Milliarden Euro sollen bis 2017 eingespart werden. Die Pläne sehen empfindliche Kürzungen bei den Staatsausgaben und Eingriffe in das Sozialsystem vor, wobei die einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen weniger stark belastet werden.
Der Sozialdemokrat Samsom musste sich aus den eigenen Reihen die Kritik gefallen lassen, dass er in Einschnitte beim Arbeitslosengeld eingestimmt habe und Arbeitnehmer im Falle einer Kündigung zukünftig schlechtergestellt sind. Auch die im Koalitionsvertrag verankerte Kürzung der Entwicklungshilfe um eine Milliarde Euro sorgte unter den Mitgliedern der Arbeiterpartei für Unruhe. Die Gesamtbilanz in der Verteilung der Lasten muss den Sozialdemokraten allerdings zusagen. Laut Berechnungen des "Centraal Planbureau" (CPB), dem Amt für ökonomisch-politische Analyse, das dem Wirtschaftsministerium unterstellt ist, verbessert sich die durchschnittliche Kaufkraft für Niederländer, die über nicht mehr als das Durchschnittseinkommen verfügen. Besserverdienende mit einem Einkommen von jährlich über 100.000 Euro müssen hingegen Einbußen hinnehmen.
Verursacht wird diese Lastenschiebung vor allem durch eine Reform der Krankenkassenbeiträge, die derzeit einkommensunabhängig berechnet werden. Die Regierungskoalition will die Beiträge nun an das Einkommen koppeln, wodurch Menschen mit höherem Einkommen deutlich mehr bezahlen als bisher. Mark Rutte bezeichnet diese Maßnahme als schmerzhaft, verteidigt den Koalitionsvertrag aber als insgesamt ausgewogen.
Steuererleichterungen für Besitzer von Wohneigentum, die zur Finanzierung ihrer Immobilie eine Hypothek aufgenommen haben, sollen unter der neuen Regierung eingeschränkt werden. So war es bisher möglich, die Hypothekenzinsen vom zu versteuernden Einkommen abzuziehen. Der Anteil abziehbarer Zinsen wird ab 2014 sukzessive vermindert. Durch Senkung der Einkommenssteuer will die zukünftige Regierung die Einschnitte abfedern. Der Spitzensteuersatz soll um drei Prozentpunkte auf 49 Prozent sinken, Einkommen in der mittleren Steuerklasse bezahlen dann 38 Prozent, vier Prozent weniger als bisher.
Bereits im Geleitwort des Koalitionsvertrags sprechen sich die Regierungsparteien für Europa aus. Rutte und Samsom setzen auf eine weitere Zusammenarbeit und die schrittweise Einführung einer Europäischen Bankenunion.
Bei der Umsetzung der Pläne wird die neue Regierung von der Opposition abhängig sein, da VVD und PvdA in der ersten Parlamentskammer über keine Mehrheit verfügen. Die Oppositionsparteien haben den Koalitionsvertrag heftig kritisiert, eine Zusammenarbeit jedoch nicht ausgeschlossen. Allerdings fordern die Parteien, dass sie inhaltlich in die Gestaltung einbezogen werden. Dadurch könnten einige der im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen noch deutlich abgeschwächt werden.
Auf einem Parteitag müssen die Sozialdemokraten heute, Samstag, dem Koalitionsvertrag noch zustimmen, wobei allerdings keine Probleme erwartet werden. Mark Rutte führt derzeit Gespräche mit den zukünftigen Mitgliedern seines Kabinetts, das dann nächste Woche vereidigt werden könnte. Diederik Samsom wird - wie bereits im Wahlkampf angekündigt - keinen Ministerposten übernehmen, sondern Fraktionschef seiner Partei im Parlament werden.