Wien · Am 27. November vor einem Jahr haben die Staats- und Regierungschefs der EU auf dem Beschäftigungsgipfel in Luxemburg der steigenden Arbeitslosigkeit im vereinten Europa den Kampf | angesagt. Die Regierungen sollen, so wurde vereinbart, nationale Beschäftigungsprogramme ausarbeiten und anschließend der Gemeinschaft präsentieren.
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Auch Frankeichs Linksregierung setzt das Heer der Unbeschäftigten kräftig zu. Das Zauberwort heißt 35-Stunden-Woche. Diese soll allerdings schrittweise kommen: Ab dem Jahr 2000 gilt die
Neuregelung für größere Unternehmen, Klein- und Mittelbetriebe mit weniger als 20 Beschäftigten haben für die Umstellung zwei Jahre länger Zeit. Zugleich wurden finanzielle Anreize für jene
Unternehmen geschaffen, die schon jetzt auf kürzere Arbeitszeitmodelle umsteigen. Die Regierung erhofft sich dadurch klare Beschäftigungsimpule. Bis zum Jahr 2002 sollen, wenn es nach dem Willen von
Arbeitsminterin Martine Aubry geht, bis zu 700.000 der drei Millionen Arbeitslose einen neuen Job gefunden haben.
Jacques-Pierre Gougeon, Professor am Institut für Europäische Studien an der Universität Paris und Berater von Premierminister Lionel Jospin, präsentierte am Montag im Rahmen einer
Veranstaltungsreihe des Renner-Instituts in Wien erste Zwischenergebnisse des Regierungsprogramms, das in Frankreich für zahlreiche Kontroversen sorgt. Bilanz: Die Zahl der zusätzlich geschaffenen
Arbeitsplätze hinkt weit hinter den Erwartungen der regierenden "gauche plurielle" zurück. Dieser Beurteilung schloß sich auch Michel Cullin, Gastprofessor an der Diplomatischen Akademie in Wien und
SP-Vertreter des Vereins der Auslandsfranzosen, an.
Bougeon präsentierte eine Studie des Arbeitsministeriums in Paris, wonach zwischen Juni 1997 und Oktober 1998 lediglich 5.000 neue Arbeitsplätze entstanden, zu wenige, um die Zielvorgabe Aubrys
zeitgemäß umsetzen zu können: "Das Tempo muß sich deutlich beschleunigen", die Bilanz sei "enttäuschend", erklärte Gougeon offenherzig. Im gleichen Zeitraum setzten nach eben der Studie 512
Unternehmen mit insgesamt 60.000 Arbeitnehmern das nach Aubry benannte Rahmengesetz zur 35-Stunden-Woche um. Die Tageszeitung "Liberation" berichtete gar von 523 solcher Verträge.
Die Betriebe erhalten, sofern sie zusätzlich die Belegschaft um 6 Prozent aufstocken, heuer einen staatlichen Zuschuß von 9.000 Francs pro neuem Arbeitnehmer. Die Unterstützung wird fünf Jahre
gewährt, sinkt jedoch jährlich um etwa 1.000 Francs (etwa 2.200 Schilling).
Unternehmen, die auf die 32-Stunden-Woche umsteigen und dabei 8 Prozent Neueinstellungen erzielen, bekommen im ersten Jahr gar 13.000 Francs (28.000 Schilling).
Die Regierung Jospin hofft nun, aufgrund der subventionierten Starthilfe für die Früheinsteiger im kommenden Jahr einen regelrechter Boom neuer Arbeitszeitverträge auszulösen. Die Verhandlungen
zwischen den Sozialpartnern der einzelnen Branchen laufen auf Hochtouren. Aubry überließ den Interessensertretern bei der Ausgestaltung des neuen Arbeitszeitmodells nahezu freie Hand:
Regelungen über Lohn- und Zeitausgleich sowie Anzahl der Überstunden werden den einzelnen Brachen überlassen. Allerdings wird das Höchsmaß der jährlichen Überstunden auf 130 pro Arbeitnehmer
beschränkt. Auch der Hoffnung, wonach künftig die ersten vier Überstunden nur mit 12,5 statt der üblichen 25 Prozent zu besteuern sind, erteilte Aubry bereits eine Absage.
Die Wirtschaft läuft Sturm. Auch innerhalb der Linken gibt es, wie Cullin ausführte, kontroversielle Debatten, wenngleich über die Grundidee des beschäftigungspolitischen Ansatzes Einhelligkeit
herrscht. Die Differenzen beschränkten sich auf die Frage, inwieweit Zusatzregelungen zum "Loi Aubry" im Detail gesetzlich verankert werden sollten. Während Kommunisten, Grüne und auch einige
Sozialisten von Beginn an Überstunden-, Urlaubs- und Zeitausgleichsregelungen festschreiben und die 35-Stunden-Woche schon für 1998 bindend erklären wollten, verzichtete Aubry, gestützt von
Regierungschef Jospin, auf derartige Präjudikationen.