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"Weniger Geld bedeutet weniger Hilfe"

Von Martyna Czarnowska

Politik

"Beschämend", "unsozial", "äußerst fragwürdig" - die Reaktionen auf die von Innenminister Ernst Strasser angekündigte Kürzung der Zahl der Zivildiener fielen ebenso zahlreich wie heftig aus. Empörung herrscht bei den betroffenen Einrichtungen. Denn auch wenn das Innenministerium Non-Profit-Organisationen (NPOs) bei der Zuweisung von Zivildienern bevorzugt, so kann die Arbeit der Vereine durch die verminderte Anzahl der Helfer nicht unbeeinträchtigt bleiben.


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"Unter den Kürzungen werden Qualität und Leistungen leiden." Für Peter Reicher, Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe, besteht kein Zweifel, dass die Reduzierung der Zivildienststellen "auf den Köpfen der Bevölkerung endet". Zwar ist die Anzahl der Zivildiener bei der Volkshilfe nicht besonders hoch - im Vorjahr lag sie zwischen 70 und 80, demgegenüber stehen rund 4.300 Beschäftigte. Doch die von ihnen erbrachte Leistung sei von großem Wert, der unbezahlbar im doppelten Sinn ist. Denn ihre Arbeit im Altenbetreuungsbereich, im Jugend- oder Migrationsbereich könnte teilweise gar nicht finanziert werden.

Kollaps für Vereine?

Auch andere Probleme rückt Reicher im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" ins Blickfeld: So werde auch der Postversand teurer, die Ermessensausgaben werden minimiert. Die Subsumierung all dessen könne einen Kollaps für einige Vereine bedeuten. Die Volkshilfe selbst müsste mit einer Einschränkung der finanziellen Mittel von etwa 15 bis 20 Prozent rechnen. Reicher bringt es auf den Punkt: "Weniger Geld, weniger Infrastruktur, weniger Personal - das heißt, wir können weniger helfen." Zusätzlich ortet er ein "atmosphärisches Problem": Eine derart groß angelegte Sparmaßnahme hätte mit den betroffenen Einrichtungen abgesprochen werden können. Ein mit den Organisationen abgestimmter Stufenplan wäre sinnvoller gewesen, ist er überzeugt.

Ähnlich denkt Stefan Brinskele. Der Bundessekretär des Arbeiter Samariter Bundes weist auf die einseitige Vorgehensweise der Regierung hin. "Vor diesem rigorosen Schritt hätten alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden sollen", meint er. Auf Einsparungspotenzial hätten die Organisationen selber hingewiesen. Dazu gehörte der Vorschlag, die Kleidung der Zivildiener an nachfolgende Jahrgänge weiterzugeben.

Alles "beinhart verrechnen"

Doch nun ist radikales Sparen angesagt - und zwar "Sparen bei den Ärmsten", wie Brinskele es ausdrückt. Denn für den Samariter Bund entstehen Mehrkosten in der Höhe von zehn bis zwölf Mio. Schilling. Das bedeutet, dass in Zukunft alle Leistungen "beinhart verrechnet" werden müssen. Im schlimmsten Fall würde dann ein Obdachloser, der zusammenbricht, auf der Straße liegen bleiben, weil keine Krankenversicherung den Transport ins Spital zahlen würde.

Rund 160 Männer, übers Jahr verteilt, leisten ihren Zivildienst beim Samariter Bund ab, der selber etwa 200 Personen beschäftigt. Eingesetzt werden die Zivildiener, deren Zahl nun um 20 Prozent verringert werden soll, vorwiegend beim Krankentransport oder im Ambulanzdienstbereich - überall dort, wo es keine Abgeltung seitens der öffentlichen Hand gibt. Das Rettungswesen ist demnach nicht gefährdet, doch "jene sozialen Einrichtungen, die die Ärmsten betreffen, werden massiv eingeschränkt", erklärt Brinskele.

Als weitere finanzielle Belastung, die die Organisationen hart treffen würde, führt er die Verpflegung der Zivildiener an. Durch die Wertreduzierung der Essensbons von 155 Schilling auf 43 Schilling pro Tag könnten zusätzliche Verpflegungskosten für die Einrichtungen entstehen - Kosten, die für sie kaum tragbar sind.

Notlösung bis Oktober

Denn mit Essensgutscheinen im Wert von 43 Schilling allein kann sich kaum jemand einen Tag lang ernähren. "Es ist eine strenge Diät, auf die die Zivildiener gesetzt sind", meint auch Stefan Wallner-Ewald, Generalsekretär der Caritas Österreich. Daran knüpft er die Frage, wie motiviert Zivildiener sein können, unter solchen Umständen ihrer Arbeit nachzugehen. Doch die erste Frage ist: Wie wird es längerfristig weitergehen? Denn in der Caritas sei mit Kürzungen zwischen 30 und 50 Prozent zu rechnen, bei rund 300 Zivildienststellen. Das sind "dramatische Einschnitte", betont Wallner. Wie Brinskele weist er ebenfalls darauf hin, dass "gerade die Arbeit für die Menschen am Rande der Gesellschaft massiv beeinträchtigt wird". Zivildiener werden eingesetzt im Altenbetreuungs- oder Behindertenbereich, im Obdachlosen- oder Flüchtlingsbereich. Dabei handelt es sich oft um kleine Einrichtungen: "Die Kürzungen sind für sie ganz schwer aufzufangen, und letztendlich wird die Qualität der Arbeit darunter leiden", erklärt Wallner.

Die Mehrbelastung will die Caritas zunächst mit einem Notprogramm bewältigen, bis Oktober müsse sich aber eine Lösung finden. "Ab Oktober werden wir auf eine bedarfsgerechte Zuweisung drängen", schließt Wallner.

Streichung von 528 Stellen

Eine enorme Belastung, vor allem im finanziellen Bereich, zeichnet sich für den Wiener Krankenanstaltenverbund ab. Dort sind derzeit 528 Zivildiener beschäftigt, ihre Zahl soll bis zum nächsten Jahr auf Null reduziert werden. Beim Zuweisungstermin im Juni sind es 173 weniger, im Oktober 362 weniger. In drei Etappen sollen die Zivildiener sukzessive "abgebaut" werden, berichtet Eugen Hauke, Generaldirektor des Wiener Krankenanstaltenverbundes. "Das bedeutet für uns eine gewaltige Herausforderung", erklärt Hauke. "Es ist eine Belastung für uns und die Wiener Bevölkerung." Denn die Zivildiener leisten wichtige Hilfestellung für den täglichen Ablauf - ob im Transportdienst, in Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Nach dem Wegfall dieser Hilfe, muss sich der Verbund nach anderen Arbeitskräften umsehen, was eine Kostensteigerung in hohem Ausmaß mit sich bringt. Nach ersten hausinternen Berechnungen ist mit einem dreistelligen Millionenbetrag zu rech-nen. Über zwei Dutzend Häuser seien davon betroffen, für jedes müsse nun eine individuelle Lösung gefunden werden, sagt Hauke.

Aufwände werden steigen

Die Aufwände, die zur Erbringung der Leistungen notwendig sind, werden steigen. Dessen ist sich auch Christian Listopad vom Österreichischen Roten Kreuz, Landesverband Wien, sicher. "Dies geht zu Lasten der Mittel, die uns zur Verfügung stehen", ergänzt er. Das genaue Ausmaß der Kürzungen sei zwar noch nicht be-kannt, aber selbst fünf oder zehn Zivildienstleistende weniger bedeuten einen Einschnitt. Die Zahl der Zivildiener schwankte bisher zwischen 50 und 70 pro Zuweisungstermin. Etwa 95 Prozent der Männer sind beim Krankentransport und Rettungsdienst tätig. Was den Krankentransport anbelangt, habe sich der Bedarf nicht geändert - die Zahl der Transporte steigt sogar, berichtet Listopad.

Aus dem beruflichen Alltag sind Zivildiener kaum wegzudenken, meint auch Nö. Landesfeuerwehrkommandant Wilfried Weissgärber. Die niederösterreichischen Feuerwehren rekrutieren sich meist aus Freiwilligen und sind auf den ersten Blick auf Zivildiener kaum angewiesen. Der für Juni angemeldete Bedarf lag bei 15. Zehn Zivildiener werden nun vom Innenministerium der Gruppe Katastrophenschutz zugewiesen, die die Feuerwehren umfasst. "Bei der Zuweisungsquote werden wir noch überleben", erzählt Weissgärber: "Wenn es aber eine permanente Verringerung gibt, werden wir Probleme haben." Denn ganz ohne Zivildiener wäre die Arbeit einiger Feuerwehren sehr wohl beeinträchtigt - wie bei der Besetzung der Nachrichtenzentralen oder im Einsatzdienst während des Tages, wenn die Freiwilligen Feuerwehrleute ihrer regulären Arbeit nachgehen.

Aber nicht nur Feuerwehren seien von den Kürzungen betroffen, sondern auch Gemeinden, die für den Ausfall der Zivildiener aufkommen müssen, gibt der Kommandant zu bedenken. Und schließlich werde das Problem nur verschoben: Wenn die Quoten zurückgestellt werden, erhöht sich die Zahl der Zivildienst-Willigen, und ihr Altersdurchschnitt steigt. Dabei kosten ältere mehr. Falls es überhaupt dazu kommt - das Interesse am Zivildienst werde wohl schwinden, vermutet Weissgärber.

Bei den Zivildienern selbst macht sich immer mehr Resignation breit. Angesprochen auf die Verringerung der Essensbons können die meisten von ihnen nur mit dem Kopf schüttel. "Einfach lächerlich" sei die Summe, sagt ein Zivildiener in einer Rot-Kreuz-Dienststelle. Er werde den Dienst zwar in zwei Monaten hinter sich gebracht haben, aber seine Nachfolger, die auf nicht einmal 4.000 Schilling im Monat kommen, täten ihm jetzt schon leid. Ob der Minister von 43 Schilling am Tag leben könne, fragt er zum Abschluss.