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Weniger Staat führte zu Bonitätsverlust

Von Veronika Gasser, Fuschl

Wirtschaft

Die europäische Energiewirtschaft hat sich im letzten Jahrzehnt tiefgreifend verändert, analysiert Ewald Nowotny, bis August Vize-Präsident der Europäischen Investitionsbank (EIB) und nun EIB-Berater und Vize-Rektor der WU Wien.


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"Ausschlaggebend für diese Veränderung war die Liberalsierung des europäischen Strommarktes, die vor allem vom US-Stromhändler Enron betrieben wurde", so Nowotny. Enron hat mit gefälschten Bilanzen und seinem Konkurs Wirtschaftsgeschichte geschrieben und existiert nicht mehr. Doch seine Aktivitäten haben in Europa Spuren hinterlassen. Nowotny erklärt die Zusammenhänge im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" am Rande des Energiesymposiums in Fuschl: Zuerst machte Enron seinen Einfluss in Großbritannien geltend, dort wurde die E-Wirtschaft von Grund auf neu gestaltet. Das mittlerweile auch von den heimischen Versorgern geforderte "Unbundling" fand auf der Insel das erste Mal Anwendung. Dabei wurden einstmals integrierte Unternehmen in mindestens zwei Gesellschaften wie Stromerzeugung und -verteilung (Leitungen) gespalten. Nicht nur der Stromsektor war davon betroffen, sondern auch Telefongesellschaften und Bahnen. Nach und nach wurde das "englische Liberalisierungsmodell" von der EU-Wettbewerbsbehörde als Vorbild herangezogen und unter dem Diktat des freien Marktes in ganz Europa eingeführt. "Ein übertriebenes Modell, das sich in der Praxis nicht bewährt hat, wurde den öffentlichen Unternehmen drübergestülpt." Wie Nowotny betont, mit mehr oder weniger großem Erfolg. Denn das EU-Gründungsland Frankreich konnte sich bisher erfolgreich gegen eine Öffnung seines Strommarktes wehren. Durch die Liberalisierung stieg der Druck seitens der EU-Kommission zur Privatisierung. Obwohl die EU-Verträge keineswegs den Rückzug der öffentlichen Hand erforderlich machten. Nowotny: "Dies dürfte der EU-Kommission jedoch nicht bewusst sein." Dieser Rückzug des Staates hat den Verlust der Bonität und damit große Finanzierungsprobleme zur Folge. Viele EU-Mitglieder waren auch nicht mehr bereit, Garantien für die Versorger abzugeben. Frankreich und Deutschland würden von diesem Weg abgehen und soeben beraten wie per Garantie die Investitionstätigkeit angekurbelt werden kann.

Schlüsselrolle der Rating-Agenturen

Gleichzeitig mit der Privatisierungswelle traten die Rating-Agenturen auf. Für Nowotny spielen diese amerikanischen Bewertungsprofis wie Standard & Poors, Moodys und Fitch bei der Kreditvergabe und den -kosten eine Schlüsselrolle. Für die Energieversorger sei es nicht mehr einfach möglich, an kostengünstige Darlehen zu kommen. Dabei agierten die Rating-Agenturen zu spät, dann aber überschießend. "Der Enron-Skandal hatte Konsequenzen für die gesamte Branche, die Kredite wurden teurer." Bei Energieinvestitionen habe dies zu einer weltweiten Zurückhaltung geführt. Der Nachholbedarf sei enorm.

Die EIB hat für solche langfristige günstige Investitionen zu sorgen. Doch bisher gab es seitens der EU-Kommission die Direktive, so Nowotny, kein Geld für den Bau neuer Kraftwerke innerhalb der EU-15 locker zu machen - ausgenommen ist die Erzeugung erneuerbarer Energie. "Das wird sich jedoch in Zukunft ändern, die EIB wird wieder neue Kraftwerke in der EU finanzieren können." Im Jahr 2002 vergab die EIB Kredite für den Energiesektor in der Höhe von 4,65 Mrd. Euro. Knapp 2 Mrd. Euro wurden für Übertragungs- und Verteilnetze und 1,5 Mrd. Euro für die Adaption alter Anlagen und den Bau von neuen Kraftwerken außerhalb der EU beansprucht. Energieversorger der EU-15 bekamen von der EIB 2,2 Mrd. Euro, jene in den Beitrittsländern 310 Mill. Euro, jene am Balkan und in der Türkei 410 Mill. Euro. 1,7 Mrd. Euro flossen sogar in Projekte fernab Europas.

Nowotny warnt vor der Bildung von Oligopolen, denn Fusionen steigerten die Möglichkeit, sich kostengünstig zu verschulden. Skandinavien habe den am stärksten liberalisierten Strommarkt. Gerade die vergangenen Tage hätten gezeigt, welche negativen Konsequenzen die Kunden dort ausbaden müssen. "Die Versorgungssicherheit ist ungenügend und es gibt enorme Preisschwankungen, beim Strom eine sehr problematische Sache." Beides sei nicht die grundsätzliche Intention der EU gewesen.