Auch Befürworter des Konzeptes zur Stundenreduktion von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer sehen diese Maßnahme nur als Teillösung für eine umfassende Schulreform. Gehrer selbst hat eine Zukunftskommission eingesetzt, die über einen solchen Schritt diskutiert - inzwischen wird aber die "Wochenstundenentlastungs- und Rechtsbereinigungsverordnung 2003" im Herbst in Kraft treten. Kritiker vermissen ein "pädagogisches Gesamtkonzept" und befürchten Verschlechterungen für Schüler und Lehrer.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die "Wochenstundenentlastungs- und Rechtsbereinigungsverordnung 2003" wurde von Ministerin Gehrer wie angekündigt letzten Donnerstag unterschrieben. Sie tritt somit ab dem kommenden Schuljahr in Kraft. Das bestätigte der Pressesprecher der Bildungsministerin, Ronald Zecha, auf Anfrage der "Wiener Zeitung".
Gehrer will mit der Verordnung zur Stundenreduktion "den Druck von den Schülern und Schülerinnen" nehmen. Laut einer von der Bildungsministerin präsentierten Studie arbeiten Schulkinder derzeit mehr als Erwachsene. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit betrage 39, 5 Stunden.
Gegen Kritik der Opposition, dass die Schüler auf Grund der Stundenstreichung mehr daheim lernen müssten wehrt sich Gehrer. Bereits 1995 sei damit begonnen worden, den Lehrplan zu entrümpeln - seit 2000 gelte an Hauptschulen und AHS-Unterstufe der "Lehrplan 99", der den Stoff in Kern- und Erweiterungsbereich teile. Die Lehrer müssten den Kernbereich verlässlich vermitteln: "Das Ziel des Schuljahres ist es nicht, den ganzen Stoff durchzunehmen."
Mit der Stundenreduktion würde man außerdem die Personalkosten für die Bundeslehrer (AHS und BMHS, Anm.) "etwas, ein kleines bisschen, in den Griff bekommen", so Gehrer. Es werde durch die Stundenreduktion zu keinen Entlassungen bei Lehrern und Lehrerinnen kommen. Mehrdienstleistungen und Nachbesetzungen würden jedoch verringert werden. Budgetmäßig keine Vorteile ziehe der Bund aus den Stundenreduktionen an den Pflichtschulen, so Gehrer. Diese würden ihre Dienstposten auf Grund des zwischen Bund und Ländern abgeschlossenen Finanzausgleichs erhalten. Die neue Lehrplanverordnung bewirke sogar, dass kleinere Standorte erhalten und mehr Zusatzangebote gemacht werden könnten.
Starke Opposition
Gegen die Pläne Ministerin Gehrers wenden sich Lehrer, Oppositionspolitiker, aber auch einige Schüler.
Vertreter der berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS) sehen keinen Spielraum für Kürzungen. "Was die Schulen im berufsbildenden Bereich anbieten ist jetzt schon die Mindestanzahl an Stunden, und es wäre unverantwortlich, da noch weiter zu kürzen", betont Franz Dorrer, Vorsitzender der Landessektion der BMHS-Lehrer in der GÖD. "Wir verlieren dadurch rund 1.600 Arbeitsplätze, gleichzeitig aber warten 1.500 Lehrer und Lehrerinnen auf einen Arbeitsplatz", rechnet der Vorsitzende Personalvertreter der BMHS, Jürgen Rainer vor.
Auch von den Universitäten werden Einwände gegen die Stundenreduktion vorgebracht. So befürchten etwa Physikprofessoren, dass die Studenten dem Lehrplan nicht mehr folgen werden können, weil ihnen wichtige Grundbegriffe aus dem Physikunterricht fehlen.
Von allen Kritikern wird ein pädagogisches Gesamtkonzept gefordert. Eine Stundenkürzung alleine sei eine reine Geldbeschaffungsmaßnahme, so Johanna Ettl, Leiterin des Bereiches Bildung in der AK Wien. Die AK fordert ein pädagogisches Konzept, das einerseits eine Überarbeitung der Lehrpläne mit entsprechender Reduktion des Lehrstoffes vorsieht und andererseits für mehr Förderunterricht und mehr Berufsorientierung sorgt. Ähnlich sehen das auch Eltern- und Familienverbände.
Zukunftskommission
Bildungsministerin Gehrer hat eine Zukunftskommission eingesetzt, die über Grundlegende Reformen im Schulwesen diskutieren und Vorschläge vorlegen soll. Unter dem Vorsitz des Leiters des österreichischen PISA-Zentrums Günther Haider sollen die Lehrpläne durchforstet, Leistungsstandards für die einzelnen Schulstufen definiert, Instrumente zur Qualitätssicherung an den schulen entwickelt und Neuerungen in der Lehreraus- bzw. Weiterbildung ausgearbeitet werden.
Erste Ergebnisse der Arbeit der Zukunftskommission zeichneten sich bereits ab und diese würden auch bald der Öffentlichkeit präsentiert, so Zecha gegenüber der "Wiener Zeitung". Es gehe dabei nicht nur um die Änderung der Lehrpläne, betonte Zecha, sondern vor allem auch um die "Output-Evaluierung". Was können die Schüler am Ende der Schulzeit.
Dabei könnte auch der Grundfächerkanon diskutiert werden, so Gehrer. Es sei etwa zu überlegen, ob das Fach Geometrisch Zeichnen nicht in den Mathematikunterricht eingebunden werden sollte. Für derartige Änderungen bedürfe es aber eines Eingriffs in das Schulorganisationsgesetz (SchOG) und damit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament.
Die Einsetzung der Zukunftskommission wird von vielen Seiten begrüßt. Der Grüne Bildungssprecher Dieter Brosz fordert jedoch, die Stundenkürzung bis auf weiteres auszusetzen und Reformmaßnahmen erst nach Vorliegen der Empfehlungen der Zukunftskommission zu diskutieren.
Der Krieg der Zahlen
Brosz hatte in den vergangenen Wochen wiederholt auf die seiner Ansicht nach fehlerhafte Berechnung der österreichischen Unterrichtsstunden im internationalen Vergleich hingewiesen.
Nach Ansicht von Brosz und einiger Eltern- und Lehrervertreter seien die OECD-Daten durch nationale Unterschiede im Schulsystem verfälscht. So etwa wegen unterschiedlicher Schulstunden-Einheiten, Differenzen in der Definition von Kern- und Förderunterricht, oder verschiedene Berechnungen von Ferien und Feiertagen. Brosz legte Berechnungen nach OECD-Kriterien vor, wonach Österreichs Schülerinnen und Schüler nur 970 Stunden - und nicht 1.148 Stunden - in der Schule verbringen und somit nur eine Stunde mehr als der OECD-Durchschnitt.
Kritik an Kürzung der Turnstunden
Von verschiedenen Seiten erntete Gehrer auch Kritik für die Kürzung von Turnstunden im Rahmen der von ihr verordneten Reduktion von Schulstunden zur Schülerentlastung. Von "Raubbau an der Volksgesundheit", "Ohrfeige für den Sport" und "fatalem Fehler" war in mehreren Aussendungen von Sportorganisationen zu lesen.
Diese Änderung sei in der Begutachtungsphase in etlichen Stellungnahmen "recht deutlich herausgekommen", erläutert Zecha auf Anfrage der "Wiener Zeitung".
*
Die wichtigsten Eckpunkte der endgültigen "Wochenstundenentlastungs- und Rechtsbereinigungsverordnung 2003":
Die Zahl der Pflichtwochenstunden - jeweils über vier Jahre gerechnet - wird in der Volksschule von 92 auf 90, in der Hauptschule von 127 auf 120, in der AHS-Unterstufe von 126 auf 120 und in der AHS-Oberstufe von 138 auf 130 gesenkt.
Die einzelnen Schulen können selbst entscheiden, ob sie eine vom Ministerium vorgegebene, so genannte subsidiäre Stundentafel verwenden, oder Schwerpunkte in bestimmten Fächern setzen und dafür auf autonome Stundentafeln mit Bandbreiten und verpflichtenden Mindeststundenzahlen zurückgreifen. Für die berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS) gibt es keine vorgegebenen Stundentafeln, sie müssen die Stundenkürzung im Ausmaß von zwei Wochenstunden pro Klasse (bei HTL z.B. bedeutet das eine Reduktion der gesamten Wochenstunden von 195 auf 185) in den Schulgemeinschaftsausschüssen festlegen. Gelingt ihnen das nicht, entscheidet der jeweilige Landesschulrat.
Änderungen gegenüber dem Begutachtungsentwurf:
Die Zahl der Wochenstunden für Leibesübungen wird in der subsidiären Stundentafel der AHS-Unterstufe von 15 auf 14 Wochenstunden und in der Oberstufe von zehn auf neun reduziert (jeweils über vier Jahre gerechnet).
Profitieren werden laut Gehrer davon - je nach Schultyp - die naturwissenschaftlichen Fächer bzw. die zweite lebende Fremdsprache. Außerdem erhalten jene Schulen, die ein eigenes Schulprofil haben, die Möglichkeit, in ihrer autonomen Stundentafel die vorgesehenen Mindeststunden in fünf Fächern um je eine Stunde zu unterschreiten.
Weiters bleibt das Fach Englisch in der dritten und vierten Klasse Volksschule erhalten, stattdessen wird "Schönschreiben" in den Deutsch-Unterricht integriert. Ursprünglich war vorgesehen, Englisch als eigenen Gegenstand zu streichen und in anderen Fächern integriert zu unterrichten.
Somit bleiben an Volks-, Haupt- und allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS) nur mehr die Fächer Religion, Chemie, IKT (Informations- und Kommunikationstechnologien) und Englisch (in der Volksschule) von der Reform "ungeschoren". Am stärksten betroffen sind Latein im Gymnasium (insgesamt drei Wochenstunden über die gesamte AHS-Zeit weniger) sowie Geografie und Physik (jeweils zwei Wochenstunden in der gesamten AHS-Laufbahn bzw. jeweils eine in der Hauptschule weniger).