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Weniger Verurteilte, mehr Häftlinge

Von Simon Rosner

Politik

Der aktuelle Sicherheitsbericht offenbart die Fortsetzung einer paradoxen Entwicklung - Minister Brandstetter sieht "massiven" Reformbedarf.


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Wien. Es ist ein österreichisches Paradoxon, dass sich Häftlingszahlen und Verurteilungen in gegensätzliche Richtungen entwickeln. Das ist seit Jahren der Fall und findet auch im aktuellen Sicherheitsbericht des Justizministeriums eine Fortschreibung.

Der Rückgang bei den Verurteilungen (von 53.624 auf 51.696 oder um 3,6 Prozent) wird durch einen Anstieg der Inhaftierten geradezu konterkariert. Der tägliche Durchschnitt stieg im Jahr 2013 auf 8950 Häftlinge leicht an, 2012 saßen durchschnittlich 8864 Person in Österreichs Gefängnissen - die Untersuchungshaft eingerechnet.

Die Gründe dafür sind vielschichtig, so stieg etwa die durchschnittliche Haftdauer um einen Monat an, ebenso wurden mehr teilbedingte Freiheitsstrafen ausgesprochen (+ 6,2 Prozent), auch wenn Haftstrafen insgesamt leicht rückläufig waren.

An der Kapazitätsgrenze

Der Belag, der zwischenzeitlich bei mehr als 9000 Personen lag und nun, im ersten Halbjahr 2014, wieder um etwa 200 Inhaftierte gesunken ist, stellt die österreichischen Gefängnisse vor teilweise große Probleme. Ohne den elektronisch überwachten Hausarrest ("Fußfessel"), der in etwa 200 bis 250 Fällen angewandt wird, hätte Österreich einen absoluten Rekord an Häftlingen aufzuweisen.

Justizminister Wolfgang Brandstetter ortete durch die aus dem gegenwärtigen Belag entstehenden Probleme einen Bedarf für "massive Reformen", wie er im Ö1-"Mittagsjournal" sagte. Gemeint ist damit vor allem eine Reform des Maßnahmenvollzugs, über den derzeit eine Expertengruppe berät. Noch in diesem Jahr soll diese dem Minister entsprechende Vorschläge unterbreiten.

Im Maßnahmenvollzug werden Personen untergebracht, die entweder als gefährliche Rückfallstäter oder als geistig abnorm eingestuft werden. Für sie endet mit Verbüßen der Strafe nicht automatisch die Haft, sondern sie bleiben untergebracht, so lange dies ein Gutachten empfiehlt - und das kann lange dauern.

In Österreich nimmt die Anzahl dieserart Untergebrachten seit 15 Jahren zu. Im Sicherheitsbericht ist von "steigenden Zugängen bei gleichzeitig restriktiver Entlassungspraxis" zu lesen. Die Gutachter werden zunehmend vorsichtiger. Dass die Häftlingszahlen steigen, ist daher zu einem erheblichen Teil diesem Umstand geschuldet. In Deutschland hingegen ist seit Jahren ein markanter Rückgang bei Häftlingszahlen zu verzeichnen. Teilweise schließen in Deutschland, einem vergleichbaren Land, Gefängnisse, während hierzulande neue, auch spezialisierte Anstalten geplant sind, etwa für Jugendliche.

Weniger Jugendliche in Haft

Bei Jugendlichen offenbart der Sicherheitsbericht eine divergierende Entwicklung, hier sinken die Zahlen der Inhaftierten (2012: 144; 2013: 112). Einerseits wurden bereits betreute Wohnformen für jugendliche U-Häftlinge geschaffen (und diese Angebote sollen noch ausgebaut werden), andererseits hat im Vorjahr aber auch der aufrüttelnde Fall einer Vergewaltigung eines Jugendlichen in U-Haft binnen weniger Monate für einen Rückgang jugendlicher Häftlinge um ein Drittel gesorgt. Einfach so, ohne Gesetzesänderungen.

Diese könnten dann im kommenden Jahr aus einer Strafrechtsreform hervorgehen, deren Grundzüge bis Ende Oktober präsentiert werden sollen. Sollte die Regierung dem Rat von Strafrechtsexperten folgen und Vermögensdelikte geringer bestrafen sowie die Erfordernisse für die Annahme einer Gewerbsmäßigkeit bei Diebstählen erhöhen, könnten sich auch durch die StGB-Reform die Häftlingszahlen reduzieren.

Entscheidend ist aber jedenfalls die Rechtsprechung. Denn dass bei identischer Gesetzgebung im Osten Österreich deutlich weniger bedingte Entlassungen ausgesprochen werden als im Westen, ist noch so ein österreichisches Paradoxon.