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Wenigstens für ein paar Tage

Von Martyna Czarnowska

Politik

Nach Aufhebung der umstrittenen Bundesbetreuungsrichtlinie könnte sich die Beratungsstelle des Evangelischen Flüchtlingsdienstes auf ihre Hauptaufgabe konzentrieren: Rechtsberatung für Asylwerber und -werberinnen. Doch die Probleme mit der Unterbringung obdachloser Menschen werden nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden. Bis zu 20 Personen täglich baten in der Beratungsstelle um Unterstützung. Auch die Diakonie war oft hilflos.


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Gudrun Dürnberger reibt sich die Hände. "Endlich ein Erfolgserlebnis." Die Mitarbeiterin des Evangelischen Flüchtlingsdienstes hat gerade einen Schlafplatz für ihren Klienten gefunden. Der Mann ist Kurde, geflohen aus Syrien, nach ein paar Tagen auf dem Flughafen Schwechat und im Flüchtlingslager war er ohne Dach über dem Kopf. In der Beratungsstelle Traiskirchen der Diakonie fand er Hilfe.

Diese zu gewähren, ist nicht immer möglich. Sie habe bereits ein russisches Ehepaar wegschicken müssen, erzählt Dürnberger. Und im Wartezimmer sitzen fünf nigerianische Asylwerber, für die sich wohl auch keine Unterkunft finden wird. An die 70 Menschen täglich kommen in die Beratungsstellen, die die Diakonie in Wien und Traiskirchen eingerichtet hat. Und es kann vorkommen, dass ein Drittel der KlientInnen obdachlos ist. Viele von ihnen sind aufgrund der - mittlerweile aufgehobenen - Bundesbetreuungsrichtlinie, die bestimmte AsylwerberInnen aus der Bundesbetreuung ausgenommen hat, unversorgt.

Zehn Stunden warten

"Vor zwei Jahren haben wir es noch geschafft, über den Winter jeden unterzubringen - zumindest kurzfristig", berichtet Christoph Riedl, Bereichsleiter der Beratung: "Das ist uns im Vorjahr nicht mehr gelungen." Es mangle an Plätzen. Ob der Bund nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (s. rechts) mehr Unterkunftsmöglichkeiten schafft, ist noch offen. Derzeit gibt es rund 7.500 Bundesbetreuungsplätze, in den Heimen und Notquartieren der Caritas gibt es an die 1.000 Betten, und die Diakonie betreibt ein Haus mit 120 Plätzen. So gut wie immer sind diese belegt.

Im Wartezimmer der Beratungsstelle sitzen etwa fünfzehn Menschen. Einige drängen sich um den Schalter, wo sie sich anmelden müssen. Eine Liste wird erstellt. Manche warten zehn Stunden bis zum Beratungsgespräch. Ein Mann hat den Kopf auf die Tischplatte gelegt. "Wir schlafen im Park gegenüber", sagt sein Freund. Ein menschenwürdiger Schlafplatz, wenigstens für ein paar Tage, ist sein einziger Wunsch.

"Immer, wenn ich einen Menschen wegschicke, hoffe ich, dass er doch jemanden oder Mittel zum Leben hat", erklärt Gudrun Dürnberger. "Aber was soll er haben, wenn er erst seit ein paar Tagen in Österreich ist?" Ihre KlientInnen sind oft verzweifelt, verstört, weil sie in dem Land, in dem sie Zuflucht gesucht haben, nicht einmal ein Dach über dem Kopf finden.

Kirchentüren blieben offen

Das Problem der Obdachlosigkeit hat sich in letzter Zeit verschärft. Neu ist es nicht. Ende der 80er-Jahre haben tausende Polinnen und Polen in Österreich um Asyl angesucht. "In Traiskirchen wurden die Leute nicht mehr reingelassen", erzählt Getrude Hennefeld. Gemeinsam mit Pfarrerin Christine Hubka hat sie vor knapp fünfzehn Jahren die Beratungsstelle in Traiskirchen aufgebaut. Dort hat sie oft von sechs Uhr früh bis Mitternacht gearbeitet, um eine Unterkunft für Flüchtlinge zu finden. Nun ist die Juristin in Pension. Im Kaffeehaus erzählt sie von den Anfängen ihrer Arbeit in Traiskirchen. Ihre ruhige Art kann das Engagement der zierlichen Frau nicht verdecken.

Zuerst hat Christine Hubka die Türen geöffnet. "Das Flüchtlingslager in Traiskirchen ist gegenüber der evangelischen Kirche", erläutert Hennefeld. "Pfarrerin Hubka hat die Menschen dort sitzen gesehen und am Abend die Kirchentür offen gelassen." Es wurde verstanden. Danach haben oft 60, 70 Personen auf dem Steinfußboden im Gemeindesaal geschlafen, auch Beratung wurde dort angeboten. Doch allein konnte es Hubka nicht schaffen. Eben so wenig wie Gertrude Hennefeld, die sich bei der Evangelischen Kirche als Flüchtlingsberaterin in Traiskirchen bewarb. Aber es gelang ihr, die Richtung vorzugeben: Aus einem Ein-Frau-Unternehmen wurde eine Organisation mit rund hundert MitarbeiterInnen: der evangelische Flüchtlingsdienst der Diakonie Österreich. Am Anfang standen unzählige Telefonate und Bitten um Unterstützung, an Pfarren und Pfarrgemeinden gerichtet. Die Aktion Schützling wurde gestartet, dann die Aktion Notquartier. Wohnungen wurden angemietet, dann wurde ein eigenes Haus eingerichtet.

Manchmal ist die Wut groß geworden. Als zum Beispiel ein rumänisches Ehepaar seine Geschichte erzählte. Die Frau war im achten Monat schwanger, Bundesbetreuung wurde ihr trotzdem nicht gewährt. "Das gibt es doch nicht", dachte sich Hennefeld: "Die sitzen in ihrem Ministerium und entscheiden über Menschen, die sie nicht einmal gesehen haben." So ging das nicht, fand sie. "Ich habe die beiden geschnappt und bin mit ihnen zum Leiter der zuständigen Abteilung marschiert." Das Ehepaar blieb nicht unversorgt.

Auch Momente, die den Sinn ihrer Arbeit besonders deutlich vermitteln, bleiben Hennefeld in Erinnerung: "Wenn jemandem Asyl gewährt oder die Staatsbürgerschaft verliehen wurde, haben wir uns mit ihm gefreut." Manchmal ist sie zur Verleihung mitgegangen. Einmal fuhr sie mit einem Iraner, der gerade die Staatsbürgerschaft bekommen hatte, im Auto. Lange Zeit saß er schweigend neben ihr. Dann wandte er sich an sie: "Du, Doktor, endlich frei."

Vielleicht hätten es die MitarbeiterInnen des Flüchtlingsdienstes nun schwerer, meint Hennefeld. Am Anfang sei viel Kreativität notwendig gewesen, doch oft sei es gelungen, eine Unterkunft für Flüchtlinge zu finden. Nun seien die Kapazitäten meist erschöpft. Einige Probleme können allerdings auch mit viel Kreativität kaum gelöst werden.

Das junge Paar, das zu Gudrun Dürnberger kommt, hat zwar ein Dach über dem Kopf. Doch sie müssen getrennt wohnen. Beide sind minderjährig, die siebzehnjährige Frau ist im vierten Monat schwanger. Er ist seit sechs Monaten in Österreich, sie seit vier. Sie kennen sich seit zwei Jahren und wurden in Armenien kirchlich getraut, sagen sie. Beweisen können sie es nicht - Dokumente seien nicht ausgestellt worden. Während die Frau in einem Caritas-Heim in Wien untergebracht wurde, wohnt der Mann in einer Pension in der Steiermark. Sie würden gern auch in Österreich heiraten, zusammen ziehen und irgendwo in Niederösterreich leben. Zunächst vielleicht von der Sozialhilfe.

Sie können jederzeit ihren Aufenthaltsort verlassen, stellt Dürnberger klar. Doch dann wäre auch die Bundesbetreuung gestrichen, die unter anderem eine Sozialversicherung umfasst. Ohne Versicherung könne die schwangere Frau doch nicht einmal in ein Krankenhaus gehen.

Der Evangelische Flüchtlingsdienst ist bei seiner Arbeit - etwa der Betreuung tschetschenischer Flüchtlinge - auf Spenden angewiesen: P.S.K.-Konto-Nr. 90006423, BLZ 60.000, Kennwort: tschetschenische Flüchtlinge.