Die Zahlung von Handgeld an Ärzte ist in Ungarn in den letzten Monaten in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt und hat eine beispiellose Diskussion um Korruption im Gesundheitswesen entfacht. In der angeblich kostenlosen Krankenversorgung leisten viele Patienten Extra-Zahlungen in der Erwartung, dafür ärztlich besser versorgt zu werden.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Das Handgeld, ungarisch halapenz, hat sich vor Jahrzehnten unter den Kommunisten etabliert und seither verfestigt. Experten sehen darin die wesentliche Ausprägung der Korruption im Gesundheitssystem.
Auslöser der Diskussion um Handgeld war eine Serie von Todesfällen im renommierten MAV-Krankenhaus in Budapest. Über Jahre hinweg verabreichte ein Gynäkologe schwangeren Frauen vor ihrer Entbindung regelmäßig starke Medikamente, um die Wehen zu beschleunigen, so dass die Geburt in seiner Schicht stattfand und er Handgeld kassieren konnte. Die für eine Geburt fällige Summe beträgt 30.000 bis zu 150.000 Forint (umgerechnet 200 bis 1.000 Euro), je nach der Position des Arztes.
Denunzierung im Internet
Ein Vater, der bei der Geburt seines Kindes mit der Forderung des behandelnden Arztes nach Handgeld konfrontiert wurde, richtete die Website www.halapenz.hu ein, um mit anderen Eltern Erfahrungen auszutauschen. Innerhalb kurzer Zeit wurde die Website eine der meistbesuchten in Ungarn. Eltern nannten die Namen der bestechlichen Ärzte einschließlich der Höhe der erwarteten Beträge, die sie zu zahlen hatten, damit sie der Geburt ihrer Kinder ohne Sorge entgegensehen konnten. Die betroffenen Ärzte sahen ihre Persönlichkeitsrechte verletzt und drohten dem Betreiber mit einer Prozesslawine. Als schließlich auch der Staat datenschutzrechtliche Bedenken geltend machte, schaltete der Betreiber www.halapenz.hu ab.
Geld für bessere Behandlung
Damit war die Diskussion um das Handgeld nicht beendet. Der Minister für Gesundheit, Soziales und Familie, Mihaly Kökeny, verurteilte die Forderung von Ärzten nach Extra-Zahlungen vor der Konsultation als strafbare Handlung. Er billigte Zahlungen aber im Anschluss an die Behandlung, indem er betonte, dass es den Patienten unbenommen sei, solche zu leisten, wenn sie das Gefühl hätten, ärztlich gut versorgt worden zu sein. Meinungsumfragen zeigen, dass nur ein Viertel der Patienten ihrem Arzt aus Dankbarkeit zusätzliche Zahlungen leisten, über 50 Prozent zahlen, um in den Genuss einer besseren oder vermeintlich besseren Versorgung zu kommen.
Schlecht bezahlte Ärzte
Zur Lösung des Korruptionsproblems forderte Istvan Eger, der Vorsitzende der Ungarischen Ärztekammer, höhere Löhne für Ärzte, damit die nicht auf das Handgeld angewiesen seien. Die Gehälter der ungarischen Ärzte liegen immer noch weit unter dem Durchschnitt der Europäischen Union, so dass eine Abwanderung in andere EU-Länder oder in lukrativere Branchen, wie der Pharmaindustrie, zu befürchten oder teils bereits eingetreten sind.
Ungeachtet dieses insgesamt verbesserungsbedürftigen Gehaltsniveaus ist es aber fraglich, ob höhere Gehälter zur Abschaffung von Handgeldzahlungen wesentlich beitragen. So fand 2002 eine beispiellose 50-prozentige Erhöhung der Gehälter der Beschäftigten im Gesundheitswesen statt. Damit wurde ein Wahlversprechen der antretenden Regierung von Peter Medgyessy eingelöst. Die Lohnerhöhung hatte aber offensichtlich keinen Einfluss auf das Handgeld, das die Ärzte entgegen nahmen. Ansonsten wäre es überhaupt nicht mehr oder nur in geringerem Maße geflossen. Die Abschaffung des Handgeldes scheint somit nicht nur eine Frage der generellen Bezahlung zu sein. Vielmehr kommt es darauf an, dass Ärzte und Patienten ihre Einstellung ändern. Die Menschen müssen das Vertrauen entwickeln, dass sie auch ohne Handgeld gleich gut behandelt werden, und die Ärzte müssen sich entsprechend verhalten. Zur Zeit halten fast 80 Prozent der Bevölkerung Handgeldzahlungen an Ärzte für gängige Praxis und nur 28 Prozent sehen darin Korruption.
Das andere, häufig von Ärzten vorgetragene Argument, dass das Handgeld ein notwendiges Übel darstelle, weil sonst die Gesundheitsversorgung nicht aufrecht zu erhalten sei, kann ebenfalls kaum überzeugen. Zwar wird bei knappen Kassen immer weniger Geld für die Gesundheitsversorgung ausgegeben, in diesem Jahr rund 1.400 Mrd. Forint. Der Gesamtbetrag des jährlich geleisteten Handgeldes wird aber lediglich auf 40 bis 100 Mrd. Forint geschätzt. Dieser - gemessen an den gesamten Kosten - relativ geringe zusätzliche Beitrag zur Gesundheitsversorgung kann aber wohl kaum für deren Aufrechterhaltung insgesamt bedeutend sein.
Die üblichen Verdächtigen
Die Verteilung des Handgeldes unter den Beschäftigten im Gesundheitswesen ist ungeachtet der grundsätzlichen Diskussion sehr ungleich. Es wird geschätzt, dass mehr als 80 Prozent des Handgeldes an nur 10 bis 14 Prozent der Ärzte fließen. Experten betonen die enge Verflechtung zwischen Handgeld und Korruption und zählen die wenigen, aber einflussreichen Ärzte, die vom Handgeld profitieren, zu den Hauptgegnern einer Reform des Gesundheitswesens. Der ehemalige Gesundheitsminister, Arpad Gogl, sieht die Lage so: "In bettelarmen Krankenhäusern wird eine Schicht leitender Ärzte beschäftigt, die mehrfache Millionäre sind und kein Interesse an der Bewältigung der Krise des Gesundheitssystems haben."
Fehlende Gesundheitsreform
Seit der Wende hat es keine Regierung geschafft, grundlegende Reformen des Gesundheitssystems durchzusetzen. Es fehlte der Mut, sich mit den zahlreichen Interessengruppen, die eine Reform ablehnen, auseinanderzusetzen. Das jetzige Reformvorhaben der Regierung Medgyessy sieht unter anderen eine Förderung der Privatisierung von Arztpraxen und kostengünstige Organisation der Krankenversorgung durch private Träger vor. Es stößt aber auf Ablehnung, nicht nur bei den Berufsverbänden und bei der Opposition, sondern auch bei der größten Regierungspartei, den Ungarischen Sozialisten selbst. Insofern deutet vieles darauf hin, daß auch diese Reform verschoben wird. Handgeldzahlungen werden bis auf weiteres fließen.