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Wenn Beamte zu Räubern werden

Von Martyna Czarnowska

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Die Zeiten des gesetzeslosen Kapitalismus in Bulgarien sind vorbei. | Doch unter der Verflechtung von Politik, Mafia und Kapital hat das Land bis heute zu leiden.


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Der eine war in kommunistischen Zeiten ein gefeierter Autor, der andere ein kleiner Beamter im Innenministerium. Doch die Zeiten ändern sich: Der Kapitalismus bricht aus, der Schriftsteller Martin hält sich auf einmal mit Gelegenheitsjobs und viel Bier über Wasser, und Bojan tauscht seine Schreibtischtätigkeit mit der Karriere eines Geld scheffelnden Ganoven.

In seinem deftigen Roman "Verfall" erzählt Vladimir Zarev von den Umwälzungen der frühen 90er Jahre in Bulgarien, von deren Verlierern und den Profiteuren. Grell und Klischees nicht abgeneigt beschreibt er, wie gerade jene, die Teil des Staatsapparats waren, ihre Informationen nutzen, um sich zu bereichern.

Das System brach zusammen, doch manche seiner einstigen Diener wussten genau, wie sich damit verdienen ließ. Ob eine Fabrik privatisiert wurde, ob staatliche Grundstücke zum Verkauf standen, wie ein großzügiger Mafiaboss vor Problemen mit der Justiz geschützt werden konnte - die Kenntnisse darüber waren viel Geld wert. Die jetzigen Antikorruptionsgesetze gab es damals noch nicht, Verhaftungen wegen Veruntreuung oder Amtsmissbrauch waren rar.

Politik, Mafia und - nicht zuletzt aus dem Ausland fließendes - Kapital waren eng miteinander verflochten. Und darunter hat Bulgarien, mittlerweile EU-Mitglied, bis heute zu leiden.

Denn auch wenn die Gesetze verschärft worden sind, die Zahl der Auftragsmorde zurückgegangen ist, das Land dabei ist, seine Justiz zu reformieren, der Raubkapitalismus mit Regeln und Vorschriften gezähmt wurde - die über mehr als ein Jahrzehnt gefestigten Strukturen lassen sich nicht so schnell aufweichen. Und es gehört fester politischer Wille dazu, was die Europäische Union immer wieder einmahnt.

In ihrer Forderung ist sie allerdings etwas hilflos, weil ihr seit dem EU-Beitritt Bulgariens - und Rumäniens - die Druckmittel ausgehen. Nun versucht sie, mit der Verschiebung der Aufnahme der Länder in die Schengen-Zone Sofia und Bukarest zu einem forscheren Vorgehen gegen Korruption und organisierte Kriminalität zu bewegen.

Nicht zuletzt als Reaktion darauf sehen Beobachter die sich in letzter Zeit häufenden Meldungen über Amtsenthebungen und Verurteilungen in Bulgarien. Ein Skandal um hohe Richter, die ihren Verwandten gratis Grundstücke und Baugenehmigungen besorgten, kostete vor kurzem einen Richter sein Amt. Ein ehemaliger Vize-Premier wurde zu neun Jahren Haft verurteilt. Er soll in den 90er Jahren das damals größte Stahlwerk des Landes durch gesetzeswidrigen Verkauf von Firmeneigentum um Millionen Euro gebracht haben. Die ehemalige Leiterin der nationalen Steuerbehörde wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie durch einen beeinflussten Prüfungsbericht einem Unternehmen Steuern sparen half. Gleich 14 Grenzpolizisten wurden verhaftet, die an einem Übergang zu Rumänien von Reisenden Geld erpressten.

Für etliche Bulgaren sind das aber kosmetische Maßnahmen. Sie hatten sich mehr von der konservativen Regierungspartei Gerb erhofft, die sie vor eineinhalb Jahren an die Macht gebracht haben. Immerhin ist Parteivorsitzender Bojko Borissow, früher Leibwächter, Leiter der Korruptionsbekämpfungsbehörde und Bürgermeister von Sofia, als Premier mit dem Anspruch angetreten, Korruption und Kriminalität zu bekämpfen. Doch zuletzt streifte auch ihn eine Affäre um abgehörte Telefongespräche von Politikern und Behördenleitern, die der Geheimdienst belauscht haben soll. Die daraufhin im Parlament gestellte Vertrauensfrage hat Borissow zwar gewonnen. An Beliebtheit aber hat seine Regierung verloren.