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Wenn Corona die Familie entzweit

Von Valentina Hammer

Politik
© Illustration: getty images / Malte Mueller

Polarisierende Meinungen rund um Virus trüben die Familienharmonie. Expertinnen schlagen Auswege vor.


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"Wenn ich einfach nur mit Freunden essen gehe und meinen Eltern davon erzähle, wird darüber gelästert, ob ich staatsgläubiges Schäfchen eh meinen 3G-Nachweis mithabe", schildert eine 24-jährige Studentin, die aufgrund ihrer angespannten Familiensituation anonym bleiben möchte. Die junge Wienerin ist kein Einzelfall.

Bei der Beratungsstelle für Extremismus hat ein Viertel aller Anfragen verschwörungstheoretischen Hintergrund. 15 bis 20 Menschen rufen jeden Monat an, um Verdacht auf Verschwörungstheorien im Familien- oder Bekanntenkreis zu äußern. Davon entfällt der Großteil auf Falschinformationen zu Covid-19. Angerufen wird zum Beispiel wegen "Personen die Angst haben, dass von geimpften Menschen eine Gefahr ausgeht", erklärt Verena Fabris, die Leiterin der Beratungsstelle, die im Bundeskanzleramt ressortiert.

Hauptsächlich melden sich besorgte Ehepartner oder erwachsene Kinder aufgrund ihrer Eltern bei der Beratungsstelle für Extremismus. Überforderung ist zumeist der Grund: Sie wissen nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen, sie machen sich Sorgen, dass die Person immer mehr abdriftet und es eventuell um rechte Ideologien gehen könne. Zu drastischen Folgen wie Familienspaltungen und Kontaktabbruch komme es bei dem Thema Corona sehr schnell, sagt Fabris. Die Fronten sind verhärtet, Gespräche sind schwierig und enden nach wenigen Minuten. Beide Seiten ziehen aufgrund ihrer gegensätzlichen Überzeugung rasch einen Schlussstrich. Neben den Corona-Maßnahmen scheiden sich vor allem an der Impfung die Geister.

Impfung oder Beziehung

Aussagen wie "Wenn du dich nicht impfen lässt, bist du nicht mehr meine Tochter" oder "Ungeimpft brauchst du mich gar nicht mehr besuchen" hat die Beratungsstelle in den vergangenen Wochen oft gehört - ich oder die Impfung? Eine junge Frau hat kürzlich berichtet, sie sei von ihrem Partner vor die Wahl gestellt worden: Eine Entscheidung für die Impfung, wäre eine Entscheidung gegen ihre Beziehung.

Nicht bei jeder Familie mag es solche Dimensionen annehmen, aber viele sind von Entfremdung und unüberwindbaren Zwistigkeiten innerhalb der Verwandtschaft betroffen. Monatelange Funkstille, Weihnachten und Ostern nur im halben Familienverband, keine Einladung zu Geburtstagsfeiern, Gespräche, die nur noch in Geschrei enden.

Es sei nicht nur ein großer Streit gewesen, sondern andauernde Sticheleien und Überzeugungsversuche, erklärt die betroffene Studentin. Sie kommt aus gebildetem Elternhaus und hatte nie gröbere Auseinandersetzungen mit ihrer Familie. Dann kam die Pandemie. Sie nimmt das Virus ernst, ihre Eltern tun das nicht. Bei ihnen zuhause fühlt sie sich nicht mehr willkommen. Der Kontakt hält sich seither in Grenzen. Polarisierende Ansichten zum Virus machen sich für alle Familienmitglieder bemerkbar und hinterlassen schmerzende Spuren.

Krisen nähren Verschwörungstheorien

Auch im Zentrum für Ehe- und Familienfragen in Tirol werden die polarisierenden Meinungen rund um das Virus und die Schutzimpfung immer häufiger in den Beratungen zur Sprache gebracht. Die auseinanderklaffenden Ansichten belasten die Beziehungsdynamiken und stellen Familien vor neue Herausforderungen. Über 10.000 Beratungen finden hier jährlich statt, und die Zahl ist seit Pandemiebeginn steigend, sagt die Geschäftsführerin Karin Urban. Wie oft ein Streit zur Impfung Auslöser ist, wird nicht extra erhoben.

Angst und Unsicherheit sind seit jeher der Nährboden für Verschwörungsmythen. "Da gibt es eventuell einen Guru, der behauptet dies und jenes zu wissen, der erklären kann, wie die Impfung wirkt und wer gefährdet ist. Da kann es durchaus passieren, sich hier anzuschließen, weil es ein vermeintliches Sicherheitsgefühl erzeugen kann", erklärt Urban von der Tiroler Familienberatung. Personen, die tief in Verschwörungstheorien verwickelt sind, auf argumentativer Basis zu begegnen, sei oft nicht zielführend, weiß Fabris, da dies oft gegenteiligen Effekt habe. "Egal, was ich sage, es läuft immer auf eine Corona-Diskussion hinaus", erzählt die Studentin.

Wichtig sei es, so Fabris, dass man die andere Person nach wie vor ernst nimmt und nicht als Spinner abtut. Was helfen kann, ist herauszufinden, was dahinterstecken könnte. Das heißt, nachfragen, was die Person vielleicht braucht, wie es ihr in der Situation geht, ob es Ängste gibt. Der gesundheitliche Aspekt, ob sich Angehörige impfen oder nicht impfen lassen wollen, sei gar nicht die Hauptsorge, erläutert Fabris.

Kontakthalten wichtig

Die Sorge sei eher, dass die Person immer tiefer in Verschwörungstheorien rutscht und dort nicht mehr herauskommt, dass sie für keine Argumente mehr zugänglich ist und das Thema nicht mehr angesprochen werden kann, ohne dass dies Aggressionen auslöst. "Bei Verschwörungstheorien oder Radikalisierungen gibt es kein Patentrezept", sagt Fabris. Was immer wichtig sei, ist den Kontakt zu halten. Denn oft sind die Angehörigen ein letzter Anhaltspunkt zu einer anderen Welt. Wenn der Kontakt abbricht, wird es für die Person noch schwieriger, wieder herauszukommen. Fabris empfiehlt, eine gemeinsame Aktivität zu finden, der nach wie vor gemeinsam nachgegangen werden kann.

Auch Familienberaterin Karin Urban betont die Wichtigkeit des Dialogs. Man solle nicht versuchen dem anderen die eigene Meinung zu oktroyieren, sondern ganz konkrete Fragen stellen. Anstatt die Aussagen des Gegenübers direkt als unwahr zu betiteln, wäre es zielführender, zur Herkunft der Information zu fragen und nach dem Beweggrund, diese Thesen als wahr zu erachten. Dabei geht es nicht um das argumentative Überzeugen, sondern um einen Anstoß zur Selbstreflexion.

Klare Grenzen aufzeigen

Tester, Geimpfte, Nicht-Tester, Nicht-Geimpfte - die divergierenden Ansichten dazu können eine herausfordernde Angelegenheit bei Treffen werden. Kompromisse sind der Schlüssel zu funktionierenden Beziehungen, heißt es, doch sind Kompromisse bei der eigenen Gesundheit tragbar? "Die Gesundheit ist ein großes Gut. Wenn es die Möglichkeiten gibt, etwas dafür zu tun, sollte das verfolgt werden", sagt Urban. Auf Tests kann man auch bestehen, ist sie überzeugt: "Hier kann man sehr wohl sagen ,Ich treffe mich gerne mit dir, jedoch erwarte ich mir, dass du die Möglichkeit des Testens wahrnimmst’". Die Entscheidung liegt dann beim Gegenüber. Ob es wichtiger ist, sich partout nicht testen zu lassen und damit den Verzicht auf Kontakt mit anderen Familienmitgliedern in Kauf zu nehmen.

Oft rät die Beratungsstelle für Extremismus auch dazu, sich professionelle Hilfe zu holen, da es entlastend wirken kann, über die Situation sprechen zu können. Fabris betont außerdem: "Falls es um menschenverachtende, antisemitische oder rechtsextreme Aussagen geht, ist es durchaus wichtig, eine Grenze aufzuzeigen. Einerseits verstehen und das Familienmitlied nicht als Person abwerten, auf der anderen Seite aber auch bei bestimmten Meinungen ganz klar Stellung beziehen."

Die Verhältnisse sind in etlichen Familien prekär und die Konversationen von Streit geprägt. Laut einer vom Institut für Markt- und Sozialanalysen im Frühjahr 2021 durchgeführten Studie, glaubt die Hälfte der Erwachsenen in Österreich trotz allem daran, dass die Menschen, die sich aufgrund der Meinungsverschiedenheiten wegen Corona, voneinander abgewendet haben, nach der Krise wieder zueinander finden. Aber immerhin ein Viertel denkt, dass dies nicht der Fall sein wird. "Nach Corona kann es schon eine Konsolidierung geben, aber ich denke, Corona wird so etwas Langfristiges sein, dass wir lernen werden müssen, damit zu leben und umzugehen", sagt Urban. Das Ziel einer Beratung ist, die Menschen dazu zu motivieren, zu lernen, wie man mit unterschiedlichen Meinungen umgeht und was der kleinste gemeinsame Nenner sein kann.

Die Studentin wünscht sich wieder Normalität: "Ich hoffe sehr, dass es zwischen uns wieder wird, wie es einmal war und wir einen Weg finden, mit unseren unterschiedlichen Standpunkten umzugehen".