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Wenn Covid-19 das Gehirn belastet

Von Eva Stanzl

Wissen

Der Europäische Neurologenkongress in Wien thematisiert die Langzeitfolgen der Lungenkrankheit auf das Denkorgan.


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Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Kurzatmigkeit, das Gefühl von Erschöpfung oder Konzentrationsstörungen noch lange nach einer Corona-Infektion, selbst wenn diese mit leichten Symptomen vorüberging: Etwa zehn Prozent der ehemaligen Covid-19-Patienten fühlen sich längerfristig nicht gesund. "Long Covid" heißt der Zustand, der Betroffene Einschränkungen auferlegt, die künftig auch für Gesundheitssysteme erhebliche Kosten nach sich ziehen könnten.

Doch was ist Long Covid? "In einer Studie mit 3500 Menschen wurden insgesamt 205 Symptome angegeben", sagt Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt, im Corona-Podcast des Senders NDR. Es handle sich um eine Multi-System-Erkrankung. Das heißt: Mehrere Körper-Funktionen können betroffen sein, also nicht nur die Lunge, sondern auch andere Organe, wie etwa das Gehirn. Zu erforschen sei jetzt, nach 14 Monaten der Pandemie, ob jede der Farben auf dieser Palette von Leiden die gleiche Ursache hat, sprich von Covid-19 ausgelöst wurde, oder ob mehrere Faktoren mitspielen.

Auch Junge und Kinder leiden an Long Covid

"Zu den Symptomen zählen Geruchsstörungen, subjektive kognitive Störungen wie etwa solche des Gedächtnisses, Belastungsintoleranzen, verlängerte Regeneration und Erschöpfbarkeit bei körperlichen Anstrengungen", führt Thomas Berger, Leiter der Universitätsklinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Wien, aus. "Patienten von Long Covid berichten, sie kämen nicht auf den Damm, fühlten sich im Kopf wie benebelt, kämen mit Multitasking nicht zurecht oder hätten aus heiterem Himmel Schlafstörungen." Auch autonome Dysfunktionen, also Störungen des autonomen Nervensystems, stünden auf der Liste. Diese lösten Schwindelgefühle bei zu schnellem Aufstehen, Gefühlsstörungen, Taubheitsgefühl und Kribbeln insbesondere an den Beinen an einer Körperhälfte aus.

Die Symptome entstehen bis zu zwölf Wochen nach einer Erkrankung mit Covid-19 oder bleiben unmittelbar danach bestehen. Noch sechs Monate nach einer Erkrankung leiden nach derzeitigem Wissenstands etwa zehn Prozent der ambulant behandelten Personen an diesen Spezifika. Außerdem mehren sich Hinweise, dass auch Kinder und Jugendliche nach milden und asymptomatischen Verläufen unter Long Covid leiden können.

Auf die Spurensuche zu den neurologischen Ursachen begeben sich Experten beim europäischen Neurologenkongress der European Academy of Neurology (EAN) von 19. bis 22. Juni in Wien. "Bei dem Programmblock wird es darum gehen, herauszufiltern, ob diese tatsächlich mit der Infektion zu tun haben", sagt Berger, Präsident des lokalen Kongress-Organisationskomitees und Vorstandsmitglied der EAN und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie.

Liegt es am Virus oder hat es andere Ursachen?

Mit seinem Team an der Medizinuni Wien hat Berger die nach eigenen Angaben erste Post Covid Ambulanz in Österreichs eingerichtet. In einer laufenden Studie werden derzeit rund 100 Erkrankte, die entweder mit Covid hospitalisiert waren oder nach einem leichteren Verlauf neurologische Beschwerden beklagen, neuropsychologisch untersucht. Die Betroffenen müssen außerdem auch ins Schlaflabor und sie werden mit Hilfe von bildgebenden Verfahren beobachtet.

Langzeit-Symptome sind auch bei anderen Erkrankungen nicht ungewöhnlich. Auch eine schwere Grippe kann dazu führen, dass man sich über viele Wochen nicht fit fühlt. Ziel der Studie in Wien ist, die direkte Ursache der Long-Covid-Symptome herauszufiltern. "Aufgrund der Aufmerksamkeit für das Coronavirus können auch andere neurologische Indikationen demaskiert werden", sagt Berger: "Betroffene, die ihrem Zustand auf den Grund gehen wollen, kommen zu uns. Wir können nachvollziehen, ob die Ursache neu oder schon länger da ist. Es gibt Veränderungen im Gehirn, die zwar vorhanden sind, aber nie erkannt werden, weil sie nie ausbrechen und sich zur Krankheit entwickeln." Dazu zählen etwa krankhafte Verhärtungen von Geweben im Gehirn, Sklerosen genannt, die nie Probleme verursachen, aber nach Covid-19 vorübergehend auf den Plan springen können.

Warum dem so ist, liegt wohl am Virus selbst. Sars-CoV-2 dockt an den Rezeptor ACE-2 an, der bei den Körperzellen ein- und ausgeht, um sie mit Nährstoffen zu versorgen. Auch die Blutgefäßzellen des Gehirns werden von ACE-2 gefüttert. Auf seinem Rücken spaziert Sars-CoV-2 unerkannt in die Zellen, um sich dort zu vermehren. Da das Coronavirus stark immunogen ist, kann es in den Zellen einen immunologischen Tsunami verursachen, Zytokinsturm genannt. Im schlimmsten Fall kann dieser ein Multiorgan-Versagen auslösen.

"Wenn bis zu zehn Prozent tatsächlich Long Covid haben, ist das ein seriöses Problem. Bei bisher 650.000 Covid-Positiven in Österreich wären das 65.000 Personen", hebt der Neurologe hervor. "Aber man sollte dem Baby keinen falschen Namen geben, Ängste schüren und die Menschen kränker machen, als sie sind, beziehungsweise erlauben, dass falsche Forderungen nach Geld gestellt werden." Auch Depressionen könnten sich in Long Covid-artigen Symptomen äußern, eine Abgrenzung sei notwendig. "Wenn 65.000 Menschen mit dieser Diagnose herumlaufen, wäre das schon allein gesundheitspolitisch dramatisch mit ernsthaften Implikationen für Beruf und Privatleben", sagt Berger.

Der EAN-Kongress wird online aus dem Austria Center Vienna gestreamt. Weitere Themengebiete sind Demenzerkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson, sowie neuartige Gen-Therapien gegen ihre erblichen Formen.