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Wenn das Parfum stinkt

Von Edwin Baumgartner

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"Gehen Sie arbeiten, statt mich anzubetteln!" Darauf folgt noch eine weitere Tirade. Die Frau, deren Mund solches kundtut, trägt Pelz, obwohl es für Pelz viel zu warm ist (abgesehen davon, dass es für Pelz nie die richtige Witterung gibt, es sei denn, man ist selbst ein Nerz), und ihr Parfum riecht nach Masse statt Klasse, obwohl es ganz bestimmt Klasse hat, das Parfum, nur nicht, wenn es in dieser Masse aufgetragen wird. Der Beschimpfte hat versucht, ein Exemplar der Obdachlosenzeitung "Augustin" an die Frau zu bringen. Seine Kleidung ist abgewetzt, aber sauber, er riecht etwas nach Schweiß, aber manchmal stinkt Schweiß weniger als Parfum. Die echauffierte Dame wendet sich ab, mit solchen Menschen hat man in ihren Kreisen nichts zu tun, höchstens spendet man für sie, wenn man sich dadurch in Szene setzen kann. Dann rauscht die Dame hinein in den Delikatessenpalast Meinl.

Das ist ein paar Tage her - aber es fällt mir gerade jetzt wieder ein, weil vor ziemlich genau 25 Jahren die ersten deutschen Obdachlosenzeitungen der Nachkriegszeit herauskamen. In Deutschland waren es "BISS" in München und "Hinz und Kunzt" in Hamburg. Wien war mit dem "Uhudla" sogar noch früher dran, aus ihm ging 1995 der "Augustin" hervor. Ein großartiges Wiener Projekt in Sachen Obdachlose sind die "Shades Tours" - Führungen durchs andere Wien. Wer Obdachlosen (auch nur in Gedanken) rät, arbeiten zu gehen, sollte an so einer Tour teilnehmen. Das Parfum riecht nachher anders.