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Wenn das Studium zur Farce wird

Von Theresa Gradinger

Politik

Studenten der Wirtschaftsuniversität Wien haben lange Wartelisten in Kursen und Serverabstürze bei der Anmeldung satt. | Das Rektorat kritisiert das Mischsystem aus zugangsbeschränkten und unbeschränkten Fächern.


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Wien. Es ist 13.59 Uhr. Lena K. sitzt in einem überfüllten Computerraum der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und starrt gebannt auf den Bildschirm. Der Grund: Die Anmeldungen für die Lehrveranstaltungen im kommenden Semester starten in einer Minute. Plötzlich fällt der Server aus. Alle Anmeldungen müssen verschoben werden. Als das System wieder läuft, bekommt die 25-Jährige im angepeilten Kurs keinen Platz. "Das wirft meinen ganzen Studienplan durcheinander. Ich arbeite nebenher und muss mir das einteilen", sagt die Wirtschaftsrechtsstudentin, die gerade das Masterstudium absolviert. Von dem Systemausfall war erstmals die gesamte WU betroffen, diesmal bedingt durch ein technisches Versagen. Auf die Überlastung sind die Systeme angeblich ausgerichtet, Serverabstürze gibt es trotzdem immer wieder.

Mehr Kopfschmerzen als die Computerprobleme bereiten allerdings der Personal- und Platzmangel aufgrund von budgetären Engpässen und fehlenden Zugangsbeschränkungen. Die Studenten klagen über ausgebuchte Kurse und endlose Wartelisten. Lehrende stellen sich doppelt so oft in den Hörsaal, als sie müssten, um den Studierendenandrang bewältigen zu können. Der neue Studienplan in Wirtschaftsrecht sowie die zunehmende Anzahl an Pflichtveranstaltungen erschweren die Situation zusätzlich. Dabei ist die WU im Vergleich zu anderen Universitäten, an denen bis zu 300 Studenten im Hörsaal sitzen, noch immer besser dran - auch finanziell.

Besonders das nicht zugangsbeschränkte Wirtschaftsrecht ist mit 7700 Studierenden im Bachelor- und 570 im Masterstudium überlaufen. Allein im vergangenen Jahr starteten 2200 Erstsemestrige. Aber auch das - theoretisch - zugangsbeschränkte Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, das die vier Studienzweige Betriebswirtschaft (BWL), Internationale BWL, Wirtschaftsinformatik sowie Volkswirtschaft und Sozioökonomie umfasst, ist von Kapazitätsengpässen betroffen. Studienverzögerung muss man in Kauf nehmen. Die durchschnittliche Studiendauer in den Bachelorstudien beträgt nicht umsonst neun Semester.

Überbuchte Kurse

Die Anmeldung für Lehrveranstaltungen funktioniert nach dem First-come-first-served-Prinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wer nach der Freischaltung der Website am schnellsten auf den Link klickt und die Seite aktualisiert, bekommt einen Platz. Der Rest muss sich mit einem unliebsamen Vortragenden begnügen oder landet wie Robert S., Wirtschaftsrechtsstudent im Bachelor, mit 60 weiteren Studierenden auf der Warteliste, da die Vorlesung nur 30 Leute zulässt.

Doppelt so viele Anmeldungen wie Plätze in Lehrveranstaltungen sind keine Seltenheit. Die Studenten wissen oft bis zu Studienbeginn nicht, ob sie einen Platz ergattert haben. "Man wird ständig vertröstet und von einer Abteilung zur nächsten geschickt", sagt der 22-jährige Robert S. Eine Betreuung für Bachelor- oder Masterarbeiten sei zudem schwer zu finden. Zugangsbeschränkungen, vor allem im Bachelor Wirtschaftsrecht, werden daher von der WU, der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) und vielen Studierenden wie Lena K. oder Robert S. schon seit längerer Zeit gefordert. Diese bedürfen allerdings einer gesetzlichen Grundlage. Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner wollte bereits Zugangsregelungen einführen, die SPÖ stellte sich aber bisher quer.

Obwohl es in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ab 3673 Bewerbern eine Aufnahmeprüfung gibt und auch in englischsprachigen Masterstudien eine Vorabselektion erfolgt, sind die Meinungen zu Zugangsbeschränkungen gespalten. Katharina F., die Volkswirtschaft im Bachelor studiert, hält diese für keine gute Lösung: "Man muss sich erst einmal mit der Materie beschäftigen." In den deutschsprachigen Masterprogrammen, ausgenommen Wirtschaftsrecht, durchlaufen die zugelassenen Personen am Beginn eine Assessmentphase. "Dieses Mischsystem ist suboptimal", sagt Edeltraud Hanappi-Egger, Rektorin der WU. Wirtschaftsrecht habe durch die Aufnahmeregelungen bei Wirtschafts- und Sozialwissenschaften einen großen Zulauf, jedoch auch eine extrem hohe Drop-out-Quote. 50 bis 60 Prozent der Studierenden brechen ein Bachelorstudium an der WU ab. Während die Prüfungsaktivität in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften seit Einführung des Aufnahmeverfahrens stieg, fiel die Drop-out-Quote massiv.

Harald Eberhard, Studienprogrammleiter im Bachelor Wirtschaftsrecht, sieht die Studienplanreform im Bachelor- und Masterstudium als Vorleistung, den großen Andrang einzudämmen.

Ab 1. Oktober 2016 gibt es eine abgeänderte Studieneingangsphase, die bisher für alle Bachelorstudiengänge einheitlich war. Gleichzeitig stellt die Reform eine Herausforderung dar. Robert S. hat den Umstieg auf den neuen Studienplan gewagt und bekam in vielen Lehrveranstaltungen keinen Platz: "Das war völlig fehlgeplant." Laut Programmdirektion sei nicht abschätzbar gewesen, wie viele vom alten auf den neuen Studienplan wechseln würden. Bisher haben sich knapp 650 Studierende dafür entschieden. Aufgrund des unerwarteten Andrangs wurden nun eingeplante Reservekapazitäten geschaffen.

Eberhard bedauert den Serverabsturz und die Kapazitätsengpässe, sagt jedoch: "Wir haben in der Vorlesung mit 60 Studierenden auf der Warteliste zwei weitere Lehrveranstaltungen geschaffen. Wenn die Kapazitäten überlastet sind, werden wir aufstocken." Statt 30 gibt es nun 90 Plätze. Auch in anderen Kursen wurden die Kontingente erhöht und zusätzliche Tracks geschaffen. Die Programmdirektion kooperiert mit dem Rektorat sowie mit der ÖH und ist bemüht, dass jeder Student einen Platz bekommt. Wo es nicht möglich ist, zusätzliche Plätze zu schaffen, werden die Studenten nach Studienfortschritt in der Warteliste gereiht. Martin Spitzer, Studienprogrammleiter im Master Wirtschaftsrecht, steht üblicherweise doppelt so viele Stunden im Hörsaal als im Dienstvertrag vorgesehen. Er meint aber: "Es ist nicht so, dass wir aus dem letzten Loch pfeifen." In Zukunft will man Studierende vermehrt über die Kombinierbarkeit von Lehrveranstaltungen aufklären, um eine Studienverzögerung zu vermeiden.

Pflichtfächer und Verschulung nehmen aber zu, was den Platzmangel noch verschärft. Eberhard hält dem entgegen, man wolle mit den sogenannten prüfungsimmanenten Lehrveranstaltungen (PIs) die Prüfungsvorbereitung optimieren. Katharina F. versteht zudem nicht, warum man Hörsäle mit Platz für 50 Leute nur mit 40 Studierenden besetzt. "Wir wollen die Qualität hochhalten, daher halten wir die Lehrveranstaltungen klein", sagt Studienprogrammleiter Spitzer dazu.

ÖH begrüßt Fortschritte

Um überbuchten Lehrveranstaltungen entgegenzutreten, fordert die ÖH schon lange eine Kapazitätserhöhung. Diese ist allerdings budgetabhängig. Seit 2014 wurden die Kontingente um 325 SBWL- und 200 Master-Plätze erhöht. Spezielle Betriebswirtschaftslehren (SBWLs) werden im Umfang von 20 ECTS als Zusatzmodul in den Bachelorstudien angeboten. Bei der Lehrveranstaltung "Finanzierung" wurden im letzten Wintersemester außerdem 700 zusätzliche Plätze geschaffen, da 1000 Leute auf der Warteliste standen.

Der WU sind laut ÖH bei der Schaffung von Kapazitäten einerseits die Hände gebunden, da die finanziellen Mittel fehlen. Andererseits sei die Universität dazu verpflichtet, genügend Plätze anzubieten. "Ein sorgenfreies Studieren ist an die Finanzierung des Ministeriums gebunden", sagt die Rektorin der WU. Es brauche endlich kapazitätsorientierte Finanzierungsmodelle.

Eine Budgetkürzung konnte bei den letzten Verhandlungen glücklicherweise verhindert werden. Mitterlehner will 2019 eine Studienplatzfinanzierung mit entsprechenden Kapazitäten durchsetzen, die aufgrund von budgetären Problemen bisher verschoben wurde. Dabei wird festgelegt, wie viel Budget pro Studienplatz je nach Fach zur Verfügung steht. "Wir haben uns viel zu lange auf die Zahl der Studienanfänger und Studenten konzentriert", sagt der Wissenschaftsminister. Entscheidend sei die Zahl der Absolventen.

Bis dahin ist Geduld gefragt. Lena K. hat überall einen Platz ergattert, wenn auch nicht in den gewünschten Kursen. Robert S. steht bei fünf Lehrveranstaltungen noch immer auf der Warteliste, ein Anruf bei der Kursleiterin verlief ins Leere. Bleibt nur abwarten und Tee trinken.