Studierende der Medizinischen Universität haben Probleme mit einem Vortragenden. Hilfe bekommen sie von niemandem.
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Was tun, wenn man Hilfe braucht und sie nicht bekommt? Für einige Studierende der Medizinischen Universität Wien war die Antwort klar: Druck aufbauen. Sie haben seit Jahren ein Problem mit einem Vortragenden und fühlen sich nicht ausreichend geschützt, wahrscheinlich nicht einmal ernst genommen. Sie gingen mit ihrem Anliegen zu ihrer Vertretung, der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH). Als das nichts half, probierten sie es beim Universitätsrat, einer Art Aufsichtsrat, der Medizinischen Universität Wien. Gleich mehrmals. Doch auch das brachte nichts, also wandte sich eine Gruppe anonymer Studierender an die "Wiener Zeitung".
Ihr Anliegen: Der Vortragende um den es geht, "belästigt wiederholt Kommilitoninnen". Wer nicht mitmacht, habe "Konsequenzen zu befürchten". Ebenso, wer für belästigte Studierende einzuschreiten versucht. Es ist die Rede von "Beschimpfungen und Beleidigungen, über Werfen mit Gegenständen, bis zu sadistischem Verhalten in Prüfungssituationen und sexualisierter Belästigung". Schon vor zwei Jahren sollen sich Studentinnen beschwert haben. Einige Studierende fühlen sich alleingelassen und fragen sich, wer sie im Zweifelsfall schützt.
Schon an anderen Unis gab es Beschwerden
Die Anschuldigungen sind schwer zu überprüfen. Der Brief war anonym, Formulierungen wie "belästigt" subjektiv und es fehlen Hinweise auf konkrete Fälle, denen man nachgehen könnte. Personen, die persönliche Erfahrungen gemacht haben sollen, wurden im Zuge der Recherche zwar gefunden, sie wollten zu den Vorkommnissen aber nichts sagen. Die Zwischenfälle sollen vermehrt in Übungen mit geringen Teilnehmerzahlen vorgefallen sein. Für mögliche Opfer bedeutet das eine leichtere Identifizierbarkeit, man habe Angst vor Konsequenzen, heißt es. Das schreiben die Studierenden auch in ihren Briefen an ÖH und Universitätsrat: "Eine Beschwerde über ihn wird nicht empfohlen, da es heißt: ‚Das bringt nichts‘, man kommt an dem Herrn nicht vorbei, da er schon so lange Mitglied des Senats und extrem gut vernetzt ist."
Mehrere Gesprächspartner können der "Wiener Zeitung" allerdings bestätigen, dass der Vortragende zur berüchtigteren Sorte an der MedUni zählt. Studierende würde er "schnell durchfallen lassen", die danach einen organisatorischen Hürdenlauf hinlegen müssen, um die Übung wiederholen zu können. Und nicht immer sollen rein akademische Gründe für die Benotung ausschlaggebend sein. Er sei "nicht der gerechteste Prüfer", wenn er jemanden nicht sympathisch findet, erzählt eine Person, die länger mit ihm zu tun hatte. Obwohl das auch Männer treffen kann, attestieren ihm mehrere Personen "eine sehr sexistische Art" im Umgang. Andere, die den Vortragenden nur in einer Vorlesung erlebt haben - auch das haben die Gespräche ergeben -, wussten hingegen nichts Derartiges zu berichten. Abgesehen von einer eher unfreundlichen Art sei er didaktisch sehr gut gewesen, erzählt ein Gesprächspartner.
Der Vortragende wurde von der "Wiener Zeitung" mit den Vorwürfen konfrontiert. Er ließ seinen Anwalt antworten: "Soweit meinem Mandanten bekannt sind, werden Vorwürfe gegen ihn anonym erhoben, was bereits a priori fragwürdig ist." Er widerspricht auch den in den Briefen geäußerten Darstellungen. Er habe "im Zuge seiner Lehrfunktion nicht mit Gegenständen geworfen" und auch niemanden sexuell belästigt. Benotungen "sind immer leistungsbezogen erfolgt". Es sei nicht neu, dass Studierende schlechte Noten "auf andere Gründe als auf Leistung" schieben würden. Das sei auch bei den zwei Studierenden 2021 so gewesen: Sie seien negativ beurteilt worden, weil sie zu spät zu einer Übung gekommen seien. Die Frage, ob er von offizieller Seite auf die Vorwürfe angesprochen, verwarnt oder in Sensibilisierungskurse geschickt wurde, lässt sein Anwalt unbeantwortet.
ÖH-Hilfe scheitert an Anonymität
Besonders unfair empfinden die Studierenden den Fakt, dass der Vortragende schon an einer anderen Universität ähnliches Verhalten an den Tag gelegt haben soll. Dort wurde die Zusammenarbeit nach Beschwerden auch beendet. Auf Anfrage der "Wiener Zeitung" bestätigte eine Sprecherin der Universität diesen Teil der Anschuldigungen: "Im Frühsommer 2021 waren Beschwerden von Studierenden über unprofessionelles und diskriminierendes Verhalten des Lehrenden bei der Anlaufstelle für Gleichbehandlungsfragen eingegangen." Der Vortragende schnitt auch bei einer Evaluierung durch Studierende schlecht ab. Die Universitätsleitung habe sich daraufhin entschlossen, "auf eine weitere Zusammenarbeit zu verzichten", so die Sprecherin weiter. Der Vortragende äußerte sich dazu nicht.
Die Studierenden fragen sich, ob wirklich nichts getan werden kann? Reicht eine Machtposition und ein Netzwerk tatsächlich aus, um sich ihnen gegenüber so, die Studierenden nennen es "gewalttätig", zu verhalten? Die größeren, abseits dieses Falles zu stellende Fragen sind andere: Wie werden Studierende geschützt? Und bekommen sie auch dann Hilfe, wenn sie sich aus Angst vor Repressalien nur anonym melden? Opferschutzgruppen betonen immer wieder, wie wichtig die Möglichkeit einer anonymen Meldung in solchen Fällen ist.
In einer schriftlichen Anfragebeantwortung sagen auch ÖH-Vertreter, dass sie die Vorwürfe kennen. Das dürfte auch nicht das erste Mal gewesen sein, dass solche Beschwerden bei der ÖH aufschlagen. Ähnliche Vorwürfe habe es schon in der letzten Funktionsperiode gegeben. Die ÖH-Vertreter waren damals andere.
Man versuche zu handeln und habe sich "bemüht, die geschilderten Vorwürfe sachlich aufzuarbeiten", versichern die aktuellen ÖH-Vorsitzenden, selbst Studierende. Aber es seien ihnen die Hände gebunden, solange die Vorwürfe anonym vorgebracht werden, meinen sie sinngemäß. Man habe versucht, Kontakt zu den betroffenen Studentinnen und Studenten aufzunehmen, doch bisher ohne Erfolg. Aufrufe und Newsletter seien unbeantwortet geblieben. Die Verantwortung wird so an die potenziellen Opfer weitergegeben.
Damit dürfte der Handlungsspielraum der ÖH nach eigener Ansicht ausgereizt sein. Auf die Frage, welche Prozesse derzeit laufen, wiederholt der ÖH-Vertreter lediglich, dass man versuche, in Kontakt mit vermeintlichen Opfern zu treten. Von Aktionen der Universität oder des Universitätsrates weiß man nichts zu berichten.
MedUni Wien schweigt zu ihrer eigenen Rolle
Der Universitätsrat reagierte auf keine Anfrage. Auch die Vorsitzende des Aufsichtsinstruments, die "Heute"-Herausgeberin Eva Dichand, ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Generell auf den Umgang mit sexueller Belästigung angesprochen, meinte ein Sprecher der MedUni in einer früheren Anfrage der "Wiener Zeitung", dass in den vergangenen fünf Jahren drei Fälle von sexueller Belästigung erfasst worden seien, angezeigt wurde keiner. Dafür gab es zwei Ermahnungen und eine Entlassung. Ob auch der Vortragende ermahnt worden war, ist nicht bekannt. Die Universität kündigte zwar an, zur aktuellen Causa Stellung nehmen zu wollen, doch zu Redaktionsschluss lag sie noch nicht vor.
Für Mitarbeiter und Studierende gebe es "ein Verfahren zur Vermeidung", dazu gehört ein geregelter Prozess, eine Stabstelle und den Betriebsrat, sagte die Pressestelle Ende März. "Abhängig vom Einzelfall und in Abstimmung mit dem/der Betroffenen sind Beratungsgespräche, informelle Vermittlung bzw. arbeits- bzw. dienstrechtliche Schritte möglich."
Studierende könnten sich zudem auch an die ÖH wenden. Laut Webseite der Medizinischen Universität Wien sogar anonym. Wie gut das funktioniert, sieht man am aktuellen Fall.
Nach Blattschluss erreichte die Stellungnahme der Medizinischen Universität die Redaktion. Darin bestätigte die MedUni die anonymen Schreiben ohne konkrete Angaben, sie seien die in Abstimmung mit dem Rektorat weiterverfolgt und seien dienstrechtliche Maßnahmen gesetzt worden. Im September des Vorjahres sei die MedUni von einer anderen Universität darüber informiert worden, dass man auf eine weitere Zusammenarbeit mit dem Lehrenden "aufgrund studentischer Beschwerden" verzichtet habe. "Die Medizinische Universität Wien hat nach den ersten Vorwürfen entsprechende Schritte eingeleitet." Die Person sei "nicht mehr mit Lehrveranstaltungen mit direktem Studierendenkontakt betraut", heißt es in der Stellungnahme.
Zur Frage, wie die MedUni struktrurell mit Übergriffen und Diskriminierungen vorgeht, teilt diese mit: "Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der MedUni Wien wird im Rahmen einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Vermeidung von und zum Umgang mit Fällen sexueller Belästigung geregelt. In einem gemeinsamen Projekt mit dem AKH Wien wurde ein Ablaufprozess für den Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz festgelegt." Die Beschäftigten können sich insbesondere an den Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen, die Stabstelle Gender Mainstreaming und Diversity und den Betriebsrat wenden, für Studierende steht zusätzlich auch die ÖH MedWien als Ansprechstelle zur Verfügung.
29. Juni, 10.16 Uhr: Update mit Reaktion der MedUni Wien (letzter Absatz)