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Wenn das Töten so normal ist wie Ziegen hüten

Von Ronald Schönhuber

Politik

Kriegsherren in aller Welt schätzen Kinder als erbarmungslose Kämpfer.


Wien. Wer Joseph Kony ist, wurde vielen Menschen erst im März 2012 bewusst. Damals stellte die US-Kinderhilfsorganisation Invisible Children ein mittlerweile mehr als 90 Millionen Mal angeklicktes Video ins Internet, das 30 Minuten lang und mit drastischen Bildern zeigt, wie die von Kony geführte Lord’s Resistance Army (LRA) aus Kindern unbarmherzige Killer macht. Mindestens 30.000 Kinder dürfte die für einen obskuren christlich-fundamentalistischen Gottesstaat kämpfende LRA in den vergangenen 20 Jahren im Norden Ugandas und den angrenzenden Ländern entführt und zu Soldaten gedrillt haben.

Der Wille der Kinder wird dabei von Beginn an gebrochen. Wenn die Kämpfer der LRA im Rahmen ihrer Plünder- und Rekrutierungszüge ein Dorf heimsuchen, werden die Kinder oft gezwungen, die eigene Eltern, Geschwister oder Freunde umzubringen und die Häuser niederzubrennen. Wer sich weigert, wird sofort getötet. Was mit der eigenen Mutter und dem eigenen Vater beginnt, setzt sich in den folgenden Wochen und Monaten mit gefangen genommenen gegnerischen Soldaten oder verschleppten Zivilsten fort. Wieder und wieder wird unter Zwang das Töten gelernt, so lange, bis alle Sinne endgültig abgestumpft sind. Mädchen, die oft den Kommandeuren als Sexsklavinnen dienen müssen, werden dabei meist genauso behandelt wie Burschen. "Die LRA hat den Gefangenen die Hände auf dem Rücken zusammengebunden und sie gezwungen, sich auf den Boden zu legen. Dann gaben sie uns schwere Holzknüppel und zwangen uns, ihnen so lange auf den Kopf zu schlagen, bis sie tot waren", berichtete eine Zwölfjährige, als ihr vor zwei Jahren die Flucht gelang.

Leicht zu indoktrinieren

Joseph Kony und seine ihn als Propheten verehrende LRA sind allerdings alles andere als ein Einzelfall. Sei es nun Sierra Leone, Burundi, der Kongo oder Kolumbien - Kriegsherren und Milizenführer in aller Welt lieben ihre jungen Kämpfer, denn einmal für den Krieg ausgebildet, gelten sie als furchtlose Soldaten, deren letztes bisschen Angst sich rasch mit ein paar Drogen nehmen lässt. Die Kalaschnikow, die bevorzugte Waffe von Rebellen wie Regierungstruppen in den Konfliktregionen der Dritten Welt, ist buchstäblich kinderleicht zu bedienen. Für viele Kindersoldaten gehört sie schnell zum Alltag, so wie einst der Gang zum Brunnen oder das Hüten der Ziegen oder Kühe ihrer Familie. Viele der jugendlichen Soldaten beginnen sich zudem im Lauf der Zeit mit ihrer Mitkämpfern zu identifizieren, die von ihnen ausgegebenen Parolen und Versprechen fallen schnell auf fruchtbaren Boden. Aus erbarmungslosen Raubzügen wird dann ein Kampf für das Gute und die Freiheit, die vor dem Kampf verteilten Kräutern und Mixturen werden zum Unverwundbarkeitselixier, das Gewehrkugeln abhält.

Für die an der Université du Burundi lehrende Psychologie-Professorin Théodora Nisabwe, die für die UNO eine Studie zu Kindersoldaten verfasst hat, spielt gerade auch die einfache Indoktrinierbarkeit der jungen Kämpfer eine entscheidende Rolle. "Kinder sind leicht zu manipulieren, können oft noch nicht genau zwischen Gut und Böse unterscheiden, streben nach Anerkennung und sind sich der Finalität des Todes nicht bewusst", kommt Nisabwe in ihrer Untersuchung zum Schluss. "Sie werden deshalb oft besonders brutale Soldaten."

Die frühe Prägung hinterlässt zumeist unauslöschbare Spuren, die ein normales Leben unmöglich erscheinen lassen. So wird etwa davon ausgegangen, dass auch die erwachsenen Kämpfer der LRA in vielen Fällen ehemalige Kindersoldaten sind, die sich an kaum etwas anderes erinnern können als an das Leben und Töten im Dschungel. Auch in der Armee des Südsudans dürften noch immer mehrere hundert Minderjährige dienen, die bereits im 2005 zu Ende gegangenen Bürgerkrieg kämpften.

Doch selbst wer dem Busch und den Kämpfen entkommt, leidet laut einer 2007 veröffentlichten Studie meist ein Leben lang unter schwerster Traumatisierung. Alpträume, Depression und Selbsthass sind ein stetiger Begleiter, die Tage und vor allem die Nächte sind oft nur mit Medikamenten oder Drogen zu überstehen. Hilfe von der Gesellschaft gibt es meist keine. Aus den Dörfern, die sie womöglich sogar selbst geplündert und niedergebrannt haben, werden die ehemaligen Kindersoldaten häufig verjagt. Sollten sie dennoch bleiben dürfen, haben selbst die eigenen Eltern und Verwandten oft Angst vor den in vielen Fällen totgeglaubten Kindern - zu schwer wiegt die Sorge, die gewalttätige Vergangenheit könnte wieder aufbrechen. "Alle fürchten sich vor mir, niemand will mir Arbeit geben, kein Mädchen will mit mir zusammen sein, obwohl ich nie eine Frau vergewaltigt habe", schilderte der 22-jährige Sylvere, der als 15-Jähriger im burundischen Bürgerkrieg kämpfte, vor einigen Monaten der "Wiener Zeitung".

Letzter Ausweg Prostitution

Doch nicht nur die Kindersoldaten, die Sylveres Schicksal als aktiver Kämpfer teilen, leiden unter der Ausgrenzung ihrer Dorfgemeinschaften. Auch die jungen Frauen, die als Sexsklavinnen der Kriegsherren und Rebellenoffiziere herhalten mussten, werden häufig zur Zielscheibe von Verachtung und Hass. Mit ihnen und ihren als "Rebellen-Bastarden" verunglimpften Kindern will niemand etwas zu tun haben. Für die Zurückgewiesenen bleibt oft nur noch Prostitution oder Kriminalität als letzter Ausweg. Doch auch wenn manche ehemalige Kindersoldaten für jede Reintegration verloren sind, gibt es auch Hoffnung. Im Kongo wurden seit 2004 mehr als 30.000 entlassene Kindersoldaten mit Hilfe von Unicef wieder in ein halbwegs normales Leben zurückgeführt.