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Kindern muss die reale Welt nahe gebracht werden. | Schule braucht Rückhalt der Eltern. | Gmunden. Es herrscht kaum Zweifel darüber, dass Verhaltensauffälligkeiten und Verhaltensstörungen bei Kindern im Schulalter massiv zugenommen haben. Ursachen dafür liegen sicher zu einem wesentlichen Teil im Erziehungsverhalten der Eltern, zum Teil aber auch in gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Städtebaus, der Raumqualität des Wohnens und der Schule, wahrscheinlich aber auch in einem überbordenden Angebot der Medienwirklichkeit.
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Die wichtigsten Verhaltensauffälligkeiten sind:
Mangelnde Beziehungsfähigkeit und Sozialkompetenz: Viele Kinder lernen nicht, ihr Verhalten auf andere Menschen, seien es Gleichaltrige oder Erwachsene einzustellen. Die Beziehung zu den Eltern ist brüchig: manchmal voll überbordender Liebesbezeugung, dann wieder ablehnend oder negativ strafend. Wenn sich ein Kind nicht auf seine Bezugsperson(en) verlassen kann wird es keine intakte Beziehungsfähigkeit aufbauen können. Erst wenn dieses "Urvertrauen" aufgebaut ist kann soziale Kompetenz für den Umgang mit anderen Menschen entwickelt werden. Beziehungsaufbau erfordert Zeit und Geduld, Einfühlungsvermögen und nicht bloß Funktionalität.
Interesse an der realen Welt: Nicht nur das Vertrauen in die Menschen sondern auch das Interesse an der Welt entwickelt sich im frühen Kindesalter. Wo Eltern dem Kind die Welt zeigen, die Gegenstände begreifbar, benennbar, und nutzbar machen entsteht die Faszination des Kindes an der Wirklichkeit, in die es hineinwächst. Wenn Eltern sich um dieses Nahebringen der Welt nicht kümmern sondern das Kind der Medienunterhaltung überlassen, bleibt dieses Interesse und der Spaß an der Welt unentwickelt. Ein Mangel an realen Erfahrungen führt in der Praxis zu Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsdefiziten. Die Flucht in virtuelle Realitäten ist vorprogrammiert.
Handlungskompetenz: Ebenso schaden Eltern ihrem Kind, wenn sie keine stabilen Verhaltensnormen anbieten, sondern je nach Stimmung einmal etwas erlauben und nächstes Mal verbieten. Schon im frühen Kindesalter entwickeln Kinder ihren Willen, sie erproben das Warum und das Nein und brauchen Eltern, die ihnen zeigen, warum und wie das Leben und das Zusammenleben funktioniert. In der Schule rasten dann Kinder oft völlig aus, wenn sie sich in den schulischen Rahmen einfügen und auf Schulkollegen Rücksicht nehmen sollen.
Konzentrationsfähigkeit und Selbstdisziplin: Zielgerichtetes Spielen und Arbeiten setzt Konzentration und Selbstdisziplin voraus. Ein Kind muss in der Lage sein, eine begonnene Tätigkeit fortzusetzen und zu einem Ende zu bringen. Viele Kinder haben es aber nicht gelernt, bei einer Sache zu bleiben und sich auf die Realisierung einer bestimmten Aufgabe zu konzentrieren. Solche Kinder sind massiv überfordert wenn sie ruhig sitzen oder sich einer konkreten Aufgaben widmen sollen. Sie wollen von einer Aktivität in die andere springen. Wenn ihnen das nicht möglich ist oder erlaubt wird, reagieren sie mit aller Aggressivität. Wir kennen Fälle, in denen Kinder durchaus auch noch im Hauptschulalter sich schreiend am Boden wälzen, wenn Konzentration und Arbeitsdisziplin eingefordert werden.
Belastbarkeit: Wenn Menschen für ihr Leben vorsorgen, müssen sie Kräfte bündeln, sich anstrengen und auf manche Bequemlichkeiten verzichten. Manche Kinder erlernen das zuhause nicht. Sie sind wenig belastbar. Verhältnismäßig kleine Anforderungen überfordern sie, und sie reagieren unterschiedlich auf diese Überforderung: durch Schreien, durch Aggressivität, durch passiven Rückzug, Desinteresse und Träumen. Belastbarkeit ist die Voraussetzung für Erfolg und muss vom Kind erlernt und trainiert werden.
Mangel an elterlicher Abstützung: Manche Kinder werden von ihren Eltern darin unterstützt, sich Anforderungen zu widersetzen. Oft erlebt man in der Schule, dass Kinder keine Aufgaben machen oder gar nicht zur Schule gehen, und dass Eltern ihnen dabei Rückendeckung geben. Viele Schüler können dann wegen zu vieler Fehlstunden ihr Klassenziel nicht erreichen und erhalten auch keinen Schulabschluss. Das ist vielfach nicht primär in einer Unfähigkeit des Kindes begründet, sondern oft in der Disziplinlosigkeit der Eltern. Die Schule kann dem Kind die nötige Bildung nicht vermitteln, wenn die Eltern den nötigen Rückhalt nicht geben.
Es steht außer Frage, dass die Schule alle ihre fachliche Professionalität einsetzen muss, um Kindern mit schwierigem sozialen Background zu helfen. Es ist aber wohl auch die Leistung und Verantwortung der Eltern einzufordern. Häufig warten wir so lange zu, bis ein Scheitern nicht mehr zu vermeiden ist. In vielen Fällen könnten wir viel früher zielgerichtet tätig werden, wenn wir stärker in der Lage wären, schulische Professionalität und elterliche Erziehung einzufordern.
Dr. Erich Brunmayr arbeitet als Sozialforscher in St. Pölten und Gmunden.
Mathilde Stockinger ist Betreuungslehrerin in Gmunden.