Auslandsadoptionen können für Kinder und Eltern eine große Bereicherung sein. Leichtfertig sollte man diese Entscheidung aber nicht treffen, warnt die Sozialwissenschafterin und Sozialarbeiterin Elisabeth Baum-Breuer im Gespräch mit dem "Wiener Journal".
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"Ausgesetzt worden zu sein, beeinträchtigt mein ganzes Leben und meine Beziehungen. Ich habe mich niemals wirklich geliebt gefühlt. Erst kurz bevor meine Eltern gestorben sind, waren sie dazu fähig, mir zu sagen, dass sie mich lieben. Davor haben sie immer nur mit mir angegeben, etwa wenn ich gute Noten heimgebracht habe." Die junge Frau, nennen wir sie Lina, spricht nicht von ihren biologischen Eltern. Lina ist adoptiert. Sie wurde in Südkorea geboren - ihre leibliche Mutter hat sie in einem Strandrestaurant ausgesetzt. Per Foto haben sie ihre neuen Eltern ausgesucht, fast wie ein Ding wurde sie nach Schweden, in ihr neues Zuhause, verschickt. Lina ist bis heute schwer traumatisiert. "Die Leute haben immer gesagt, dass sich meine Eltern so gut um mich gekümmert haben, aber ich hatte nicht das Gefühl, in eine liebende Familie aufgenommen worden zu sein - vielleicht wollte ich auch einfach nur mehr, als eine Art Kompensation dafür, dass ich adoptiert war", sagt sie.
Die 24-Jährige ist kein Einzelfall. Viele transnational Adoptierte leiden jahrelang unter den Folgen ihrer Adoption. Für ihre Dissertation unter dem Titel "Transnational Adoptions and Life-Trajectories" hat Elisabeth Baum-Breuer, Leiterin eines Kinderheimes in Niederösterreich, Interviews mit 19 jungen Menschen aus aller Herren Länder, die jetzt in Schweden, England und Österreich leben, geführt und dabei vor allem eines festgestellt: "Eine Auslandsadoption kann eine große Chance sein, aber sie birgt auch ein großes Risiko". Allein schon die Trennung von der biologischen Mutter gilt als Risikofaktor. Demgegenüber stehen aber Schutzfaktoren, die bei adoptierten Kindern zum Tragen kommen, so lange sich die Eltern der Risiken bewusst sind. Doch Adoptiveltern könnten auch viel tun, um eine Retraumatisierung zu verhindern, vor allem "sehr viel zuhören und sehr viel da sein". So meinte etwa ein junger Mann, der aus Sri Lanka nach Schweden adoptiert wurde und dort Bauer in der fünften Generation geworden ist: "Die Beziehung zwischen Kind und Eltern ist, was zählt. Wenn deine Familie dich unterstützt, dann schaffst du es."
Aber eben diese Unterstützung sei so wichtig: "Es gibt keine Abkürzung zu einer heilen Familie, man muss immer daran arbeiten", sagt Baum-Breuer. So könne man bei der Namensgebung ein Stück Identität vermitteln, indem man zwei Namen eintragen lässt: Einen hiesigen und einen in der Sprache seines Heimatlandes. So haben Linas Eltern gleich mehrere Dinge falsch gemacht: Sie haben das Adoptivkind als Prestigeobjekt benutzt und ihm offenbar nicht die Liebe und Zuwendung gegeben, die es gebraucht hätte. Und sie haben das kleine Mädchen nicht in seinem Heimatland abgeholt - dabei sei dies für die Bindung zu den neuen Eltern enorm
wichtig. In manchen Ländern, wie etwa in Russland, sei es oft sogar Bedingung, einige Monate in dem jeweiligen Kinderheim zu wohnen. So berichtet Baum-Breuer von einem weiteren Fall, wo es sogar zu einem sogenannten Adop-
tionszusammenbruch gekommen ist: Ein Ehepaar zog sein Adoptionsansuchen nicht zurück, obwohl die Frau doch schwanger geworden war. Nur der Vater holte das Kind aus Indien ab - die Mutter entwickelte eine enorme Präferenz für ihr leibliches Kind und misshandelte das indische Mädchen, bis es schließlich in ein Kinderdorf kam. In einem anderen Fall hätten die Adoptiveltern demgegenüber besonders auf die Verhütung geachtet, "damit sie das Adoptivkind ja nicht der Gefahr aussetzen, mit einem biologischen Geschwisterkind konfrontiert zu sein. Das zeigt sehr viel Verantwortung."
Generell seien transnational adoptierte Kinder "Risikokinder", sagt Baum-Breuer. In der Literatur spricht man von einem Adoptionssyndrom. Deswegen komme es bei vielen Auslandsadoptionen in der Pubertät zu einer Identitätskrise: "Man weiß nicht, woher man kommt und wird es wahrscheinlich auch nie herausfinden können." Gerade in dieser ohnehin schwierigen Phase des Erwachsenwerdens würden die Kinder dann von Trauer und Fragen gequält wie "Warum wollten mich meine leiblichen Eltern nicht?", "Wurde ich nicht geliebt?", oder auch "Bin ich durch Gewalt entstanden?". Dazu komme oft ein schlechtes Gewissen, weil die Jugendlichen in einem reichen Land aufwachsen dürfen, während ihre biologischen Eltern und vielleicht auch die Geschwister in Armut leben müssen. "Als ich zwölf oder dreizehn war, weinte ich einen ganzen Weihnachtsabend lang, weil ich Geschenke bekam, aber niemand meiner biologischen Mutter etwas schenkte", erzählte etwa ein von Baum-Breuer befragtes Kind.
Transnational Adoptierte wüssten oft auch nicht, wo sie hingehören: "Ich habe einen österreichischen Pass und indisches Blut. Es macht keinen Unterschied, wo ich bin, ich werde immer ein Fremder sein", meinte etwa eines der interviewten Kinder. Daher sei es enorm wichtig, die Herkunftskultur in den Alltag einzubauen, sagt die Expertin - sei es über die Sprache, Gerichte oder Fotos, auch von der leiblichen Familie. Auch die Möglichkeit, andere Kinder aus demselben Land kennenzulernen, könne helfen. Für viele der von Baum-Breuer Befragten waren Besuche in ihrem Geburtsland Schlüsselszenen für die Identitätsfindung - selbst wenn das oft mit Angst, Unsicherheit und einem schlechten Gewissen verbunden sein könne. Und sie mahnt schließlich auch einen offenen und kindgerechten Umgang mit dem Faktum der Adoption ein: In Großbritannien spreche man von "Tummy Mummy" ("Bauchmami") und "Heart Mummy" ("Herzmami"). Andererseits müssten Kinder auch rechtzeitig den Umgang mit möglichen Vorurteilen, etwa im Zusammenhang mit ihrer Hautfarbe, erlernen. Problematisch sei vor allem, dass es in Österreich - anders als etwa in Großbritannien - kaum postadoptive Unterstützung gebe. Denn spätestens in der Pubertät sei Hilfe von außen nötig.
Wie steinig der Weg zu einer geglückten transnationalen Adoption auch sein mag: Sie sei eine große Chance, betont Baum-Breuer immer wieder. Denn diese Kinder könnten eine Brückenfunktion einnehmen, weil sie zwei Kulturen in sich tragen. So gingen denn auch drei Viertel der Auslandsadoptionen gut. "Etliche der jungen Leute sind froh, dass sie hier sind", meint die Expertin. Oder, in den Worten eines Adoptivkindes: "Wenn im Fernsehen ein Fußballspiel zwischen Sri Lanka und Schweden läuft, bin ich für Schweden."
Wissen: Auslandsadoptionen.
Die Zahl der Auslandsadoptionen ist - auch abseits von Madonna, Angelina Jolie und Co. - in den vergangenen zehn Jahren stetig angestiegen. Weltweit werden pro Jahr rund 45.000 Kinder aus 100 verschiedenen Ländern in einen anderen Staat vermittelt, in Österreich wurden 2007 rund 300 Kinder aus dem Ausland adoptiert. Die Entscheidung für eine Auslandsadoption sollte aber nicht leichtfertig getroffen werden. So sollte man sein Gewissen durchforsten und etwa der Frage auf den Grund gehen, was passiert, wenn man nicht adoptiert. Denn wenn eine Adoption als einziger Sinn im Leben begriffen wird, "dann ist das zu heikel", betont die Sozialwissenschafterin Elizabeth Baum-Breuer. Außerdem "ist eine Adoption immer im Interesse des Kindes, nicht im Interesse der Adoptiveltern". Sprich: Wer nur adoptieren möchte, um ein Prestigeobjekt oder einen Spielgefährten für ein leibliches Kind zu haben, der sollte es besser bleiben lassen. Daneben gibt es bürokratische Hürden - etwa müssen ein psychologisches Gutachten und ein Leumundszeugnis vorgelegt werden. Auch Hausbesuche durch Sozialarbeiter und ein mindestens 30-stündiger Vorbereitungskurs sind nötig.
Da es - vor allem im Zusammenhang mit großen Katastrophen wie dem Tsunami 2004 oder dem Erdbeben in Haiti 2010 - in diesem Bereich immer wieder zu kriminellen Machenschaften kommt, ist es sinnvoll, als Herkunftsland einen der 83 Unterzeichnerstaaten der Haager Konvention aus 1993 zu wählen. Damit sollte sichergestellt sein, dass ein Kind nur dann zur transnationalen Adoption freigegeben wird, wenn es wirklich in seinem Interesse ist.