ÖVP und Grüne entsorgen Impfpflicht und wollen Gräben in Bevölkerung zuschütten. Experten geben Rückendeckung.
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Außer Spesen nichts gewesen. Abgesehen von einem massiven politischen Schaden, den sich die türkis-grüne Bundesregierung mit dem Hin und Her eingehandelt hat. Nur ein gutes halbes Jahr nach der Einigung zwischen Bund und Ländern über die Einführung einer Corona-Impfpflicht in Österreich und ohne jemals wirksam zu werden, ist sie auch schon wieder Geschichte. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und ÖVP-Klubobmann August Wöginger gaben diese Entscheidung am frühen Donnerstagnachmittag bekannt.
"Die Impfpflicht wurde eingeführt unter anderen Voraussetzungen, als wir sie heute haben", sagte Gesundheitsminister Rauch. Die Omikron-Corona-Variante mit den milderen Verläufen "hat die Regeln verändert". Im November 2021 sei ein Lockdown bevorgestanden, die Spitäler seien stark belastet gewesen.
Der Gesundheitsminister führte aber auch die Spaltung der Bevölkerung als Grund für die Abschaffung der Impfpflicht an: "Die Impfpflicht und die Debatte um die Impfpflicht haben Gräben aufgerissen." Es gehe nun um einen Weg aus der "Eskalation der Worte". Denn: "Die Impfpflicht bringt niemanden zum Impfen", sagte Rauch: "Wir haben die Zustimmung zur Impfung per se verloren."
ÖVP-Klubchef Wöginger schlug in die gleiche Kerbe. Die Abschaffung der Impfpflicht erfolge, "weil wir die Gräben zuschütten wollen" und ein Miteinander in der Gesellschaft erreichen wollen. Er verwies ebenfalls darauf, dass die Situation im Herbst und Winter noch anderes gewesen sei, vor allem mit einer stärkeren Belastung der Spitäler.
Landtagswahlen sind Rauch dabei "herzlich wurscht"
"Der Effekt war, dass wir durch die Impfpflicht eigentlich keine Menschen zusätzlich zum Impfen gebracht haben", argumentierte Wöginger. Deshalb wolle man nun "den Dialog in den Vordergrund stellen". Das Impfen bleibe aber weiterhin notwendig. Die Menschen sollten sich aus Eigenverantwortung impfen lassen. "Wir sind in einer Krisensituation, da brauchen wir das Miteinander, nicht das Gegeneinander", sagte der ÖVP-Fraktionschef.
Ob die jetzige Abschaffung der Impfpflicht auch in Zusammenhang stehe mit den Landtagswahlen am 25. September in Tirol und dann 2023 in Niederösterreich, Kärnten und Salzburg? Der Gesundheitsminister wischte dieses Argument entschieden vom Tisch. Ihm seien ein paar Landtagswahlen "herzlich wurscht", betonte er.
Tatsächlich haben aber die zunächst wochenlangen Debatten um eine Impfpflicht dazu geführt, dass die Impfgegnerpartei MfG im September des Vorjahres aus dem Stand den Sprung in den Landtag in Oberösterreich geschafft hat und auch bei der Gemeinderatswahl in Waidhofen an der Ybbs heuer im Jänner reüssieren konnte. Mit dem Ende der Impfpflicht wird dieser neuen Partei eine wesentliche Grundlage entzogen.
Die Impfpflicht ist aktuell noch via Gesetz verankert, aber per Verordnung ausgesetzt - und zwar bis zum 31. August. Dann müsste eigentlich die installierte Kommission neuerlich die Lage beurteilen. Nun wurde am Donnerstag von ÖVP und Grünen ein Initiativantrag ohne Begutachtung bei der Sondersitzung des Nationalrats zu Maßnahmen gegen die Teuerung eingebracht. Die Aufhebung der Impfpflicht wird dann Anfang Juli zunächst im Nationalrat und bis Mitte Juli auch vom Bundesrat beschlossen.
Klärung um vierten Stichsteht demnächst bevor
Vorerst bleibt es bei der Beibehaltung des Grünen Passes. Diesbezüglich geht es laut Rauch nun um eine europäische Regelung. Was die vierte Impfung betrifft, so soll es spätestens in zwei Wochen eine Empfehlung geben, wie bei den über 65-Jährigen vorgegangen wird. Für Menschen über 80 Jahren wird der vierte Stich in Österreich bereits empfohlen.
Impfexperte Herwig Kollaritsch, Mitglied der vierköpfigen Expertenkommission, sagte auf APA-Anfrage, dass eine Abschaffung aus seiner Sicht allerdings nicht problematisch sei. Aufgabe der Kommission sei es gewesen, zu bewerten, ob aus medizinischer und verfassungsrechtlicher Sicht eine allgemeine Impfpflicht notwendig ist. In ihrem letzten Bericht Ende Mai war die Kommission zum Schluss gekommen, dass diese derzeit nicht angemessen sei. Die Entscheidung liege dann bei der Politik.
Auch Hacker hält das Ende für "wahrscheinlich gescheiter"
Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) hatte bereits zuvor am Rande einer Pressekonferenz gesagt, dass er kein Problem mit einem Aus für die Impfpflicht hätte. "Ich werde mich nicht dagegen wehren. Das war nicht unsere Idee in Wien, wir haben es mitgetragen", sagte er bei der Präsentation des neuen Patientenanwalts. Die geplante Verpflichtung habe nämlich zu Missverständnissen und Missinterpretationen geführt: "Der große Heuler war es nicht."
"Wenn sie zu negativer Emotion zum Impfen führt, und das scheint mir tatsächlich der Fall zu sein, dann ist es wahrscheinlich gescheiter, die Impfpflicht abzuschaffen", meinte Hacker weiter. Das heiße aber nicht, dass man die Impfung abschaffen solle. Hier brauche es vor allem Motivation. Denn die Omikron-Welle sei für die Spitäler nur deswegen weniger belastend gewesen, weil die Durchimpfungsrate hoch gewesen sei, gab er zu bedenken.
Von Expertenseite gab es nicht nur von Kollaritsch Rückendeckung. Verständnis für die Abschaffung der Impfpflicht signalisierte etwa auch der klinische Pharmakologe Markus Zeitlinger. Die Impfung sei aber weiter hocheffektiv. Zeitlinger ortet gegenüber jener Zeit, zu der die Impfpflicht in Österreich erstmals diskutiert wurde, derzeit eine "insgesamt entspanntere Situation". Für ihn bleibt die Impfpflicht außerdem weiter das "unangenehmste Mittel", um Menschen zur Impfung zu bewegen, erklärte er der APA.
Wenn man davon ausgehe, dass die aktuell kursierenden Omikron-Untervarianten weiter dominant bleiben und keine "wilde Mutante" auftaucht, sei auch nicht davon auszugehen, dass der Druck wieder erheblich ansteigt. "Von daher verstehe ich, dass die nicht sehr populäre Impfpflicht jetzt abgeschafft wird", so der Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der MedUni/
AKH Wien.