Wird 53 Jahre nach Hitler die größte Eigentumsverschiebung in der österreichischen Geschichte endlich und gründlich aufgearbeitet? Und ist das heute, nach einer so langen Zeitspanne, | überhaupt noch möglich? Die "Wiener Zeitung" ging diesen Fragen anhand konkreter Fälle in Grundbüchern und dazugehörenden Urkundenbänden in Bezirksgerichten der Bundeshauptstadt nach.
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Die von den Nazis mit brutalsten Mitteln erzwungenen Enteignungen werden meist "Arisierungen" genannt · ein zweifach problematischer Begriff: Lebt doch auf diese Weise die vom NS-Rassenwahn
propagierte perfide Erfindung der angeblich "rassereinen" Übermenschen, der "Arier", weiter; andererseits können unter "Arisierung" strenggenommen nicht alle Raubzüge des NS-Regimes subsumiert werden
(es wurden ja neben zahllosen jüdischen Mitbürgern auch politisch Mißliebige oder kirchliche Institutionen enteignet).
Da aber praktisch keine andere Bezeichnung existiert, kommt man um die Verwendung des Worts nicht herum.
Dieser Widerspruch gehört mit zur schizophrenen Situation unseres Landes, das sich Jahrzehnte hindurch offiziell ausschließlich als erstes Opfer des Faschismus sehen wollte. Über die österreichischen
Täter sprach man kaum.
Opfer Paula F. und ein
Haus auf der Wieden
Wer in diesen Tagen in den Grundbuchsabteilungen Wiener Bezirksgerichte recherchiert und nolens volens die Gespräche anderer in den Urkundenbänden suchender Parteien mithört, bekommt auch einen
Teil dieser Geschichte mit: Durch Medienberichte verunsicherte Nachkommen von "Arisierern" lassen sich vom begleitenden Rechtsanwalt beruhigen, daß aufgrund der Aktenlage "überhaupt nichts passieren"
kann.
Doch gleich einmal zu einem Akt, der im Jahre 1948 für ein Opfer gut endete · oder was man in Österreich darunter versteht.
Unter Zahl 1925/48 ist im Bezirksgericht Innere Stadt im Teilerkenntnis 59 RK 119/47 der Rückstellungskommission beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien nachzulesen, daß die Antragstellerin
Paula F. "Jüdin ist und somit einem Personenkreis angehörte, welcher politischer Verfolgung durch den Nat.Soz. unterworfen war."
Frau F., die bis 1938 "die Liegenschaft EZ 646 der Kat.Gem. Wieden, Wien 4., Pressgasse 28" besaß, hatte seinerzeit mit ihrem Gatten, der bald nach dem Einmarsch der Hitlerwehrmacht seine Praxis als
praktischer Arzt verloren hatte, nach Schanghai flüchten können und entging so dem industriellen Massenmord des Naziregimes. Nach ihrer Rückkehr verlangte sie gemäß Rückstellungsgesetz ihren Besitz.
Die "Arisiererin", eine gewisse Anna Maria G. aus Mühlbach am Mannhartsberg in Niederösterreich, wollte davon nichts wissen und behauptete, Paula F. habe schon vor dem 13. März 1938 ein
Realitätenbüro mit dem Hausverkauf beauftragt.
Die Rückstellungskommission ließ diesen fadenscheinigen Einwand nicht gelten und meldete zusätzlich fürs erste Bedenken an, der damals "vereinbarte Kaufschilling von 128.000 RM" könnte zu niedrig
gewesen sein. Überdies hatte Paula F. wie all die anderen "Arisierten" nur einen kleinen Teil der Summe wirklich erhalten · u. a. waren 30.795 Reichsmark für "Reichsfluchtsteuer" und 25.169
Reichsmark "Juva" ("Judenvermögensabgabe") zu entrichten, wobei nota bene die Nazis solche vorgeschriebenen Summen in der Regel noch aufrundeten.
Der Kern des erfolgten kommissionellen Teilerkenntnisses: Die Liegenschaft ist an Paula F. zurückzustellen, allerdings darf sie nicht voll über ihr Eigentum verfügen, weil noch einiges ungeklärt ist.
So der Stand vom 10. Februar 1948.
Auf vergilbtem Durchschlagpapier ist ein wenige Wochen später abgeschlossener Vergleich (Datum: 16. März 1948) zwischen dem Opfer, das offensichtlich der juristischen Prozedur skeptisch
gegenüberstand, und der Täterin archiviert. Fazit: Die Beraubte zahlt an die "Arisiererin", die plötzlich "Gräfin" genannt wird, die für die erste Nachkriegszeit beträchtliche Summe von 20.000 S und
erhält endgültig das Haus. Das Opfer · das auch die anteiligen Verfahrenskosten zu tragen hat (!) · muß eine Hypothek aufnehmen, da es über einen so hohen Betrag nicht verfügt.
Von 20.000 Reichsmark
blieben offiziell 1.875
In den Urkundenbänden der Grundbuchsabteilungen ist oft detailliert dokumentiert, wie die von den Nazis zum Verkauf einer Liegenschaft gezwungenen Menschen ausgeraubt wurden.
So findet sich im Bezirksgericht Innere Stadt unter Zahl 0521/39 ein Papier der Devisenstelle Wien vom 6. Juli 1939 "Betr.: Verkauf der Liegenschaft Wien VIII., Lerchenfelderstrasse 141, E. Z. 567
Grb. der Steuergemeinde Neubau", in dem zwar in der "Arisierungs"-Eile statt des 7. der 8. Wiener Gemeindebezirk angegeben wird, aber die anderen Daten präzise angeführt sein dürften.
Demnach hatte der jüdische Mitbürger Hans K. den ihm gehörenden Drittelanteil des Hauses an Paul und Elisabeth M. in Wien-Ottakring für 20.000 Reichsmark · das entsprach sicher nicht dem wahren Wert
· verkauft. Davon wurden K. 12.525 RM als "Reichsfluchtsteuer" und 5.600 RM als "Judenvermögensabgabe" gleich abgezogen. "Bis zu" 1.875 RM (also der Rest) sollten Hans K., der sich glücklicherweise
bereits im Ausland befand, auf ein "zu eröffnendes Auswanderersperrkonto" überweisen werden.
Es ist zu bezweifeln, daß der vor seiner Flucht in der Leopoldstädter Lichtenauergasse 7 wohnende Hans K. davon jemals auch nur eine Reichsmark sah.
Vermögensraub durch
"Sicherheitsbescheide"
In den Grundbuchsunterlagen aus der NS-Zeit sind auch immer wieder "Sicherheitsbescheide" der "Reichsfluchtsteuerstelle" zu finden. Nur ein Beispiel: Unter E 502/39 (Grundbuchsurkunde 10 440/39 im
Bezirksgericht Innere Stadt Wien) wurde Ing. Otto H. in der Böcklinstraße 8 in Wien 2., als "Sicherheit" sogenannte Reichsfluchtsteuer in der Höhe von 15.503 RM · aufgerundet auf 15.600 RM ·
vorgeschrieben; das war ein Viertel seines angenommenen Vermögens.
Angegebener Grund für diese Maßnahme nach § 7 des Reichsfluchtsteuergesetzes, die laut amtlichem Vordruck allenfalls auch die steuerlich mitveranlagte Ehefrau und Kinder betraf: "Feststellungen
lassen darauf schließen, daß Sie den Wohnsitz · gewöhnlichen Aufenthalt im Land Österreich oder im übrigen Reichsgebiet · aufgeben werden."
Rückstellungsverfahren
nach Jahren eingestellt
Die Fülle des Materials aus der NS-Zeit in den Grundbüchern hat freilich auch Tücken. In nicht wenigen Fällen ist die Klärung eines Immobilienraubs schwierig bis vielleicht unmöglich, jedenfalls
wären dazu umfangreiche Untersuchungen notwendig.
Eine dieser rätselhaften Causen dreht sich um das Haus Lerchenfelderstraße 60 in Wien-Josefstadt (10 434/39, aufliegend im Bezirksgericht Innere Stadt Wien).
Das erst 1937 erbaute Zinshaus mit zwei Trakten wurde mit Kaufvertrag vom 24. Mai 1939 von dem zu dieser Zeit schon in Paris wohnhaften Fritz H. für 313.400 Reichsmark an die Fachärztin Christine P.
verkauft. Warum Fritz H. diesen Schritt unternahm, ist nicht bekannt.
Wurde er von den Nazis verfolgt, hatte er Drangsalierungen zu befürchten? Punkt XII. des Kaufvertrages enthält jedenfalls eidesstattliche Erklärungen, wonach sowohl dem Verkäufer als auch der
Käuferin "keine Umstände bekannt sind, nach denen sie Juden im Sinne des § 5 der ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetze vom 14. November 1935, RGBl. I, S 1333, wären."
1948 beginnt die Rückstellungskommission mit Nachforschungen und schränkt die Rechte der Hausbesitzerin ein (Grundbuch Josefstadt, EZ 528, 1884 aus 1948). Zehn Jahre später, am 28. Mai 1958, werden
diese Maßnahmen aufgehoben (4118 aus 1958). Die Entscheidung der Rückstellungskommission des LGR für ZRS Wien (60 RK 1008/47-13) wurde allerdings aus formalen Gründen nicht im Grundbuch archiviert...