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Wenn der Bürger forscht

Von Eva Stanzl

Wissen
Hobby-Astronomen tragen zur besseren Kenntnis von Sonne, Mond und Sternen bei: In Zukunft will die Forschung das Wissen interessierter Laien stärker und öfter nützen.
© imago/imagebroker/Schauhuber

Der Wissenschaftsbetrieb will Laien stärker mit einbeziehen und Forschungsergebnisse frei zugänglich machen.


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Wissen zu teilen ist neuerdings erwünscht: Forscher stoßen die Türen zu ihrem Elfenbeinturm weit auf. Immer mehr Studien sind im Internet für jeden frei zugänglich. Weiters steuern tausende Bürger ihre Kenntnisse bei. Im Wissenschaftsbetrieb ist vieles anders als noch bis vor wenigen Jahren, als Forscher tunlichst darauf bedacht waren, ihr geistiges Eigentum zu schützen. Woher kommt diese neue Großzügigkeit?

Im Forschungs- und Bibliotheksbetrieb wurde es in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend zum Problem, dass vor allem große Wissenschaftsverlage ihre Zugangsgebühren zu wichtigen Publikationen und Datenbanken immer weiter erhöhten. Das Geschäftsmodell hatte zur paradoxen Folge, dass die Forscher selbst nur eingeschränkten Zugang zu Veröffentlichungen ihrer Fachkollegen hatten. Somit konnten sie Fortschritte auf ihrem Gebiet nicht immer mitverfolgen, wodurch viele Studien doppelt gemacht wurden. Was mit großem Aufwand und oftmals mit Steuergeldern produziert wurde, wurde nur für Abonnenten veröffentlicht. Das ist in etwa so, als würde ein staatlich gefördertes Museum von jedem Besucher nicht zwei, drei oder fünf, sondern 50 Euro pro Besuch verlangen und als dürften nur Stammgäste die Exponate anschauen.

Unter dem Begriff "Open Access" wuchs eine Gegenströmung zu dieser Praxis zu beträchtlicher Größe an. Mittlerweile sei ein Viertel aller 30.000 wissenschaftlichen Fachzeitschriften gratis zugänglich, berichtet der Wissenschaftsfonds FWF. "Ich sehe es als Grundvoraussetzung für die weitere Öffnung von Wissenschaft, dass auch ihre Resultate zur Verfügung stehen", sagte Falk Reckling, FWF-Experte für "Open Access", jüngst zur Austria Presse Agentur. Nicht zuletzt sei zu bedenken, dass ein erheblicher Anteil an Forschungsergebnissen ohne öffentliche Mittel nicht erzielt werden könnte. Die Allgemeinheit habe ein Recht auf diese Informationen.

Gratis-Erkenntnisse

Doch nicht nur die Frage des freien Zugangs zum Endergebnis von Forschung beschäftigt die Szene, sondern es wird auch über andere Formen der Öffnung nachgedacht. Zu einem wichtigen Vehikel könnte die Beteiligung von Laien an Forschungsprojekten werden. So, wie von "Open Science" über "Citizen Science" bis zu "Science 2.0" verschiedene Begriffe für ein und dieselbe Sache kursieren, hat sich noch keine allein gültige Definition für diese Art der Bürgerwissenschaft durchgesetzt. "Das spiegelt die Dynamik dieses Forschungsansatzes wider. Ganz allgemein versteht man darunter die Einbindung von Nicht-Wissenschaftern in wissenschaftliche Prozesse", erklärt Teresa Holocher-Ertl vom Zentrum für Soziale Innovation in Wien.

Schon 1714 setzte die englische Regierung auf die "Weisheit der Masse", indem sie einen Preis von 20.000 Pfund für die Entwicklung einer Methode auslobte, wie man den Längengrad auf See bestimmen könne: Das Problem löste der Uhrmacher John Harrison. Ein anderes Beispiel ist der "Christmas Bird Count" - eine jährliche Zählung von Vögeln im nordamerikanischen Raum seit 114 Jahren. Machten 1900 noch 27 Hobby-Ornithologen mit, sind es heute Zehntausende.

Wo kein Spezialwissen nötig ist, kann die Zahl der Teilnehmer sogar in die Hunderttausende gehen. Die wissenschaftliche Crowdsourcing-Plattform "Zooniverse" konnte per November auf 1,24 Millionen Teilnehmer in den Kategorien Weltall, Klima, Humanwissenschaften, Natur und Biologie zurückgreifen. Das Teilprojekt "Galaxy Zoo", das im Juli 2007 online ging, verzeichnete schon im ersten Jahr seines Bestehens 150.000 Freiwillige. Das so erlangte Wissen kostet null.

Über mangelndes Interesse der Bevölkerung können sich auch österreichische Archäologen nicht beschweren. Knapp zwei Drittel der Österreicher wollen bei archäologischen Forschungsprojekten mitmachen, zeigt eine Studie der Universität Wien und der Prifysgol Bangor University in Wales. Die Mitarbeit ist zwar durchaus willkommen, wie die Stadtarchäologie Wien mit Verweis auf die seit 1995 "unverzichtbar" gewordenen freiwilligen Helfer auf ihrer Webseite schreibt: "Das archäologische Erbe Wiens hat die Unterstützung eines breiten Publikums dringend nötig." Die Reaktionen der Fachwelt auf diese Entwicklung sind aber insgesamt höchst unterschiedlich.

Hoher Betreuungsbedarf

In einem Gastkommentar für "APA Science" konstatiert Jutta Leskovar vom Oberösterreichischen Landesmuseum in Linz, dass in der Archäologie vor allem die "Sondengängerszene" Konflikte auslöse, die an Fundstellen häufig Schaden anrichten würde bis hin zum Verlust des Objekts. Allerdings gebe es auch zahlreiche interessierte Laien außerhalb dieser Szene, die sich mit ihrem "enormen Detailwissen" um die Archäologie bemühen würden. Um den Betreuungsbedarf und das Potenzial dieser Art von Bürgerbeteiligung zu koordinieren, "bemühen sich Bundesdenkmalamt", Universitäten und regionalarchäologische Institutionen.

Die Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) startet 2015 eine Modellinitiative zur Bürgerbeteiligung in den Gesundheitswissenschaften. Im Rahmen des Projekts sollen Forschungsfragen zu psychischen Erkrankungen formuliert werden. Diese sei die erste Initiative zur gezielten Öffnung von Forschungsprozessen in den Gesundheitswissenschaften, erklärte LBG-Präsident Josef Pröll in einer Aussendung: "Traditionell werden Forschungsthemen von der Wissenschaftscommunity im Sinne der akademischen Freiheit selbst bestimmt, aber auch Politik und Wirtschaft reden mit. Was bisher fehlt, ist ein direkter Einfluss der Bürger auf Forschungsfragen", so Pröll.

Doch können, sollen Fachfremde ein Sagen über Experten-Themen haben? Oder ist das, als würde die Anzeigenabteilung einer Tageszeitung den Journalisten vorgeben, welche Zugänge sie im Blatt sehen möchte, damit die Kassen klingeln? In Österreich wurden bisher kaum die Bürger befragt, welche Forschungsthemen ihnen unter den Nägeln brennen. Die LBG will nun austesten, wie gut ein Crowdsourcing-Ansatz zur wissenschaftlichen Themenfindung geeignet ist. Weiters plant sie ab 2016 ein Ausbildungsprogramm, das Forschern die "Open-Innovation"-Methoden nahebringen soll. Sie will erforschen, ob dies tatsächlich den Nerv von Forschern in mittleren Karrierestufen trifft.

Einen radikalen Aufruf zur Bürgerbeteiligung haben die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny und der Leiter des Zentrums für Molekulare Medizin (CeMM) in Wien, Guilio Superti-Furga, gestartet. Sie sind die ersten Österreicher, die ihr Genom ins Internet stellen lassen. Das Projekt "Genom Austria" sucht insgesamt 20 Freiwillige, die bereit sind, es ihnen gleichzutun. Die Initiative soll zu Diskussionen über Chancen und Risiken der Technik in allen Lebensbereichen führen. Superti-Furga, "Zuwanderer" norditalienischer Abstammung, der ständig mit dem Sequenzieren von Genen und der Analyse von Gendaten beschäftigt ist, betonte vor Journalisten: "Wer wir sind, geht uns alle etwas an."

Neue Geschäftsmodelle

Eine auf den ersten Blick ähnliche Ansicht scheint jene heimische Versicherung zu vertreten, die ihre Kunden dazu einlädt, gegen Vertragsvergünstigungen ihre Gesundheitsdaten ins Internet zu stellen. Was ist der Unterschied in der Art der Offenheit? Für Superti-Furga liegt er im kommerziellen Interesse: Besonders bei der Verwendung von Genomdaten "geht es darum, darüber zu reden". Die Technik sei zu wichtig, um sich "Ready Made"-Programme überstülpen zu lassen. Eine demokratische Gesellschaft habe die Möglichkeit, "selbstbestimmt mit dem Wissen über die Erbanlagen umzugehen". Auf die Daten aufsetzen sollen Diskussionen zum Thema Genomforschung mit den biologischen, medizinischen, philosophischen, juristischen und sozialen Aspekten der Technik.

Ein weiterer "Open Science"-Ansatz ist "Open Notebook Science". Bei dem Konzept soll der Forschungsprozess öffentlich einsehbar sein. Wer glaubt, dass niemand sich gerne bei der Arbeit über die Schultern schauen lässt, denkt nicht an die Vorteile. "Eines ist klar: Man käme viel schneller voran", sagt Wilfried Feichtinger, Wiener Pionier der künstlichen Befruchtung. Er erklärt: "Die britischen Pioniere der In-vitro-Fertilisation, Robert Edwards und Patrick Steptoe, hielten 1977 ihre Methode unter Verschluss, sodass wir hier in Österreich lange die falschen Sachen machten. Erst ein australisches Team um Alexander Lopata ging offen mit ihren Methoden um. Das haben wir dann auch so gemacht."

So offen wie der Umgang mitForschungsresultaten werden soll, ist auch die Frage der Bezahlung. "Open Access meint den entgeltfreien Zugang zu wissenschaftlicher Information. Dies führt zwangsläufig zu einer Umverteilung der Kostenlast", klärt die deutsche Informationsplattform "Open Access" auf. Der Betrieb der Website, die Administration, das Auswahlverfahren, die Qualitätssicherung und nicht zuletzt die Peers "werden nun nicht mehr von Nutzern und Bibliotheken getragen, sondern von den Autoren und Forschungseinrichtungen". Dass Forscher und Unis dann eher Themen zur Publikation einreichen, die langfristig gewinnbringend sein könnten, ist zumindest denkbar.