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Wenn der Mindeststandard zur Norm wird

Von Stefan Brocza

Gastkommentare
Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.

Österreichs "Gold Plating"-Prinzip in Bezug auf EU-Recht birgt Gefahren.


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Mit dem Inkrafttreten des Deregulierungsgrundsätzegesetzes am 1. Juli hat das österreichische Parlament das "Gold Plating"-Prinzip festgelegt: Das Übererfüllen von EU-rechtlichen Verpflichtungen soll vermieden werden. Und zwar nicht nur bei der Umsetzung von EU-Richtlinien, sondern generell bei der Umsetzung von Unionsrecht, also auch bei den Begleitregeln zu EU-Verordnungen.

Was auf den ersten Blick unter dem Gesichtspunkt des Bürokratieabbaus sinnvoll erscheinen mag, birgt bei näherer Betrachtung Gefahren. Es steht außer Frage, dass der österreichische Amtsschimmel manchmal weit über das Ziel hinausschießt (Stichwort: Allergenverordnung). Diese Art von Überregulierung ist jedoch hausgemacht und könnte mit ein bisschen Nachdenken und weniger Realitätsferne jederzeit vermieden werden. Regulierungsexzesse sind auf eine überbordende Berücksichtigung von Partikularinteressen zurückzuführen. Oder auf die Entscheidungsschwäche der politischen Verantwortlichen. Dieser Missstand lässt sich jedoch nicht durch ein Bundesgesetz beheben, mit dem man quasi festschreibt, dass die jeweilige Mindestanforderung einer EU-Vorschrift ausreicht und man lieber vorab gleich einmal auf jeden nationalstaatlichen Gestaltungswillen verzichtet.

Denn eines darf man nicht vergessen: EU-Richtlinien spiegeln in den meisten Fällen den Minimalkonsens wider, auf den sich die EU-Staaten in ihren Verhandlungen eben einigen konnten. Darüber hinaus gehende Regeln sind erlaubt, ja sogar erwünscht. Jeder Staat kann und soll seine Besonderheiten auch weiterhin leben. Das jeweilige EU-Recht legt nur die Basis: den Mindeststandard, hinter den man nicht zurückfallen soll. Warum Österreich nun auf diesen Bereich der Eigenständigkeit von sich aus freiwillig verzichten will, bleibt rätselhaft.

Vordergründig wird wohl damit argumentiert, dass durch mehr Vorschriften die Wettbewerbsfähigkeit eingeschränkt wird und damit der Standort Österreich an Attraktivität verlieren könnte. Nur stimmt diese Annahme auch? Bisher war Österreich auf seine höheren und besseren Standards stolz. Keiner der Parlamentarier, die voller Stolz das "Gold Plating"-Prinzip beschlossen haben, hat bisher erklärt, was denn in Österreich besser wird, wenn etwa hohe Umweltstandards oder Anforderungen im Bereich der Lebensmittelqualität nun mutwillig herabgesetzt werden.

Die EU verhandelt aktuell eine neue EU-Ökoverordnung. Darin wird es - wie bisher - keinen eigenen strikten Grenzwert für die Pestizidbelastung von Ökoprodukten geben. In Österreich dagegen sieht der geltende Lebensmittelkodex selbstverständlich einen strikten Höchstwert vor. Wird Österreich beim nationalen Begleitgesetz für die neue Ökoverordnung nun auf diesen nationalen Grenzwert verzichten? Denn natürlich würde er eine finanzielle Mehrbelastung und somit einen Wettbewerbsnachteil bedeuten.

Auch Österreichs Tierschutzgesetz ist strenger als die einschlägigen EU-Gesetze, und in Österreich gibt es mehr Mindesturlaub (5 statt 4 Wochen) und Mutterschutz (16 statt 14 Wochen) als in den EU-Richtlinien. Auf all das will man offenbar freiwillig verzichten - und ist auch noch stolz darauf. Warum eigentlich?