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Wenn der Moses einen Bader braucht

Von Edwin Baumgartner

Reflexionen
Der Bader hatte ein weites Betätigungsfeld von der Medizin bis zu Kuppelei und Bordellbetrieb.
© wikipedia

Untergegangene Berufe und Berufsbezeichnungen können sich zu Stolpersteinen in älteren Texten entwickeln.


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"Da musst aufpassen wie ein Haftelmacher", sagte meine Großmutter, als ich mir, da war ich so etwa 14 Jahre alt, in den Kopf setzte, das kaputte Schloss ihres Kleiderkastens zu reparieren. Sagt man das heute einem Vierzehnjährigen (der ohnedies eher weiß, wie man den abgestürzten PC wieder zum Laufen bringt und die darauf eingefangenen Viren entfernt), würde er das filigrane Ding möglicherweise mit dem Vorschlaghammer behandeln. Denn was, bitte, ist ein Haftelmacher?

Das Haftel ist eine Schließe auf Gewändern. Die kleinsten haben etwa die Größe des Ringfinger-Nagels. Beim Zurechtbiegen des Drahtes in die richtige Form musste der Hersteller, eben jener Haftelmacher, sehr konzentriert sein, eine ruhige Hand haben und genau schauen.

Der Haftelmacher war im Mittelalter und in der frühen Neuzeit ein angesehener Beruf. Hans Sachs bedichtete ihn: "Ich mach Steckheft aus Messingdraht, / Fein ausgebutzt, rund, sauber, glatt, / Mit runden Köpflein gut und scharf / Aller Art, wie man der bedarf, / Geschwerzt und geziert, darmit man thut / Sich einbrüsten Weib und auch Mann, / Daß die Kleider glatt liegen an."

Beruf im Sprachmuseum

Haftelmacher gibt es heute nicht mehr. Hafteln, die heute, etwa für Büstenhalter und Trachten, noch gebraucht werden, stellt man in der Regel maschinell her. Mit dem Beruf des Haftelmachers starb auch ein Begriff. Denn selbst, wenn sich die Redewendung noch hält und aus dem Zusammenhang hervorgeht, dass man offenbar sehr genau aufpassen muss, verbindet man mit dem Haftelmacher selbst nichts mehr. Damit wandert "Aufpassen wie ein Haftelmacher" ins Sprachmuseum, bleibt dort noch einige Weile intakt, setzt irgendwann Staub an und wird dann irgendwann einmal in die Kammer der ausgesonderten Wörter und Redewendungen abgeschoben.

Mitunter sind auch Straßennamen schwer verständlich: Die Armbrustergasse und die Bognergasse gehen noch - dieses Kriegsgerät früherer Tage ist in Sport und Film eingegangen und steht bildlich vor Augen. Was aber machte eigentlich ein Wipplinger? Und der Hinweis, dass die Straße im ersten Wiener Gemeindebezirk zuvor Wildwercherstraße geheißen hat, verwirrt eher, als er Aufklärung brächte. Dabei ist es in diesem Fall nicht einmal ein untergegangener Beruf - nur ein untergegangenes Wort. Wildwercher, Wipplinger oder Wiplinger nannte man die Kürschner.

Untergegangene Berufe und untergegangene Wörter stehen oft in engem Zusammenhang. Mitunter weiß man zwar noch, was gemeint ist, etwa bei Ferdinand Raimunds "Barometermacher auf der Zauberinsel", da ist lediglich ("lediglich" sagt sich da leichter, als es sollte) verloren, dass dem Beruf, nun, nichts wirklich Geheim-nisvolles anhaftete, aber etwas von jener Aura von Erfinderei und taschenspielerischer Technikzauberei, die oft auch aus den Romanen eines Jules Verne herausleuchtet.

Aber beim "Aschenmann" ("Wie lang stehts denn noch an, / Bist auch ein Aschenmann!") aus dem Bühnenzaubermärchen "Das Mädchen aus der Feenwelt oder Der Bauer als Millionär" desselben Autors wird‘s schon komplizierter: Fortunatus Wurzel ist zwar hoch gestiegen und tief gefallen, das ist klar, aber wie tief? Und überhaupt: Wozu die Asche einsammeln? Nun - die Aschenmänner kamen aus der untersten Schicht der Unterschicht. Wenn Wurzel vom Millionär zum Aschenmann wird, dann durchmisst er die größtmögliche Fallhöhe. Die Asche sammelten die Aschenmänner, um sie an Seifensieder und Leinwandbleicher zu verkaufen.

Völlig nichtssagend geworden ist der Titel der Franz-Lehár-Operette "Der Rastelbinder". Dieser Handwerker konnte mit Draht umgehen, baute Mausefallen und besserte Schadstellen an metallenem Geschirr aus. Der Begriff starb mit dem Beruf - und mit ihm Lehárs Operette. Mit einem Rastelbinder fängt man heute einfach nichts mehr an.

Dabei hat die deutsche Sprache, und ganz speziell in ihrer süddeutschen Ausprägung, noch den Vorteil, die Bezeichnung in der Regel sehr nahe an der Tätigkeit zu prägen: Während man beim "Metzger" lateinisch um die Ecke denken, und den römischen "macellarius" braucht, um zu wissen, was der Kerl beruflich treibt, ist beim bayerischen und österreichischen Fleischhauer alles klar.

Mehr Verwirrung stiftet der Bader - nicht unwichtig, da einer dieses Standes durch seine Tochter Agnes in die Geschichte und diese durch Friedrich Hebbel in die Literatur und durch Carl Orff in die Musik eingegangen ist. Da lernte einst also Albrecht, Sohn von Ernst, Herzog von Bayern, seine Geliebte, die Bernauerin, in einer Badstube kennen? Ja, hat denn das adelige Bürschlein keine Wanne bei sich zu Haus auf Schloss Pfersee in Augsburg gehabt? Oder ging es gar nicht ums Baden? Was machte der alte Caspar Bernauer genau?

Ein Bader betrieb nicht nur ein Bad zur Säuberung, er war auch eine Art Hilfsarzt für untergeordnete medizinische Tätigkeiten: Hier zog er einen Zahn oder richtete einen gebrochenen Knochen ein, dort verabreichte er einen Aderlass oder setzte die Schröpfköpfe an. In der Badstube wiederum ging es nicht unbedingt moralisch zu, bis zum Bordellbetrieb reichte die Bandbreite der schier unchristlichen Nebentätigkeiten. Da beginnt man zu ahnen, dass der Herzogssohn in Bernauers Badstube nicht Wasser und Seife gesucht haben wird. Gehen wir aber sicherheitshalber davon aus, dass der nachmalige Albrecht III. schlicht Zahnschmerzen hatte.

Moses fährt zur See

Doch nicht nur das Aussterben von Berufen verringert den Wortschatz und damit im Ernstfall die Verständlichkeit eines Textes, weil man nicht mehr nachvollziehen kann, welches Ansehen dieser Beruf hatte - mitunter ist auch das Bestreben, einen Beruf sprachlich aufzuwerten, kontraproduktiv. Im seefahrenden deutschsprachigen Raum beispielsweise, und damit in dessen gesamter Literatur, war der "Moses" über lange Zeit ein gut verständlicher Begriff - und zwar als jüngster Mann des Deckpersonals, auf Hochdeutsch: Schiffsjunge. (Aber wer einen Schiffsjungen als Schiffsjungen bezeichnete und nicht als Moses, zeigte, dass er keine Ahnung von der Seefahrt hatte. Schließlich ist da ein Koch auch kein Koch, der wird Smutje genannt, der "Schmutzige", denn in der geschützten Schiffsküche, pardon: Kombüse wird man von Wellen und Gischt nicht gewaschen.)

"Moses" wurde der Moses genannt, weil der biblische Prophet als kleines Kind in einem Weidenkorb auf dem Nil ausgesetzt wurde, also sozusagen als Baby Schifffahrt betrieb. Doch den "Moses" gibt es heute nicht mehr, vielleicht ist ja selbst die Seefahrt in unseren profanen Tagen unchristlich geworden. "Azubi" heißt das jetzt, abgekürzt von "Auszubildender", ganz so wie das Hilfspersonal im Selbstbedienungsladen. Vom Überbringer der Zehn Gebote zum Kistenstapler - welch Abstieg, rein sprachbildlich gesehen.

Für das Schloss von Großmutters Kleiderkasten ging mein Reparaturversuch übrigens übel aus. Einen Schlosser zu holen, wäre die bessere Idee gewesen - solange es noch Schlosser gibt und man weiß, was die Berufsbezeichnung bedeutet.