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Wenn der Rausch der Tiefe lebensgefährlich wird . . .

Von Horst Lassnig

Wissen

Seit mehr als einem Jahrhundert wird an den Ursachen des Tiefenrausches geforscht. Zwei Grazer Wissenschafter sind diesen kürzlich auf die Spur gekommen.


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"Gerade jetzt im Frühjahr kommen wieder die ersten Malediven-Opfer!" - Dr. Heiko Renner und Mag. Alexej Pokorny haben im Kellergeschoss des höchsten Gebäudes im Grazer Landeskrankenhaus, auf dessen Dach Rettungshubschrauber landen können, alle Vorbereitungen für eine Rettungsaktion getroffen. Bei einem Tauchgang im indischen Ozean ist ein Taucher verunglückt und in Tiefenrausch geraten. "Da geht es um Leben und Tod," erläutert der an der Universitätsklinik für Chirurgie, Abteilung für Thorax- und Hyperbare Chirurgie, tätige Renner beim Besuch der "Wiener Zeitung". In seiner vom Tageslicht abgekehrten Arbeitsstätte befindet sich die größte operative Druckkammer Europas. Sie ist ein elf Meter langer, einem U-Boot ähnlicher Stahlbehälter mit Bullaugen, Schleusen, einer 18 mm dicken Stahlwand, mit einem Durchmesser von vier Metern und 60 t Gesamtgewicht.

Sauerstoff statt Blut

Wenn am Dach des Hochhauses ein Helikopter landet, heißt es für die Druckkammer-Mannschaft: Arbeiten in einer simulierten Tiefe von bis zu 50 Metern. Alexej Pokorny, der in seinem Zweitberuf Rettungssanitäter beim Wiener Roten Kreuz ist, skizziert das dramatische Szenario: "Das wichtigste bei einem verunglückten Taucher ist, dass man ihn so viel und rasch wie möglich mit Sauerstoff aufsättigt", nur mit einem massiven Sauerstoffstoß könne man die im Körper des Unfallopfers millionenfach angesammelten Stickstoffbläschen aus dem Körper pusten. Diese verursachen an den befallenen Stellen in der Regel Lähmungserscheinungen. "Wir verteilen den Sauerstoff direkt im ganzen Körper, unabhängig von der Durchblutung", sagt Pokorny. Theoretisch könnte ein Mensch sogar ohne Blut, nur mit Sauerstoff im Körper, existieren.

Ca. 30-mal pro Jahr kommt die Druckkammer zur Lebensrettung verunglückter Taucher zum Einsatz. Sie wird aber auch im Rahmen der Therapie krebskranker Menschen oder für die Behandlung von Patienten nach einem Schlaganfall verwendet. Deren gelähmte Körperteile würden sehr bald wieder mit Leben erfüllt, verweisen die beiden Mediziner auf viele Beispiele. Auch in Sonderfällen sei das U-Boot letzter Rettungsanker, erzählt Renner: "Kürzlich hat sich ein Jäger selbst in die Brust geschossen, die Notoperation hier bei uns in der Druckkammer hat ihm schließlich das Leben erhalten."

Auf den Spuren des Tiefenrausches

In den vergangenen Monaten hatten die beiden Wissenschafter nicht nur in der Druckkammer alle Hände zu tun, sondern auch vor dem PC. Die sensationellen Forschungsergebnisse mussten zwecks Veröffentlichung in Fachliteratur niedergeschrieben werden. Immerhin konnten sie nach jahrelanger Forschungsarbeit mit Testpersonen, die den Tiefenrausch in der Grazer Druckkammer experimentell erfahren haben, der Ursache des Tiefenrausches nach rund 100-jähriger Forschung auf diesem Gebiet auf die Schliche kommen. Theorien, die den ab einer bestimmten Tauchtiefe auftretenden Tiefenrausch mit der Entstehung von Lachgas oder speziellen Vorgängen in Nerven erklärten, stellten sich längst als unrichtig heraus.

Prognose möglich

Die beiden erkannten erstmals, dass in Nervengewebe eingelagerter Stickstoff zu neurologisch nachweisbaren Veränderungen führt und bestimmte Kreislaufwerte verändert werden. Je intensiver dieser in einem Taucher eingelagert wird, desto anfälliger wird er für den Tiefenrausch. Renner: "Wir können in Zukunft feststellen und jedem Taucher vor einem Tauchgang in eine Tiefe von mehr als 20 Metern sagen, ob er vom Tiefenrausch gefährdet ist oder nicht!"

Das ist eine Weltneuheit. Und die Forschungsarbeit geht weiter, die Testpersonen finden sich leicht. Es ist nämlich seit kurzem - auch dem modernen Trend. "sich einen Kick zu geben" entsprechend - möglich, in der Grazer Druckkammer gegen ein geringes Entgelt ein Tiefenrausch-Seminar zu besuchen. Jeden Samstagvormittag kann man sich unter Aufsicht der beiden Ärzte derart in einen Rauschzustand begeben. Auch zum Mitmachen bei Versuchstauchgängen werden freiwillige Testpersonen gesucht.

Die anschließende Befragung und die gemessenen Daten der "verkabelten" Probanden dienen den Forschern für die Fortsetzung ihrer Arbeit, die aufgrund der knappen Budgetmittel immer wieder zum Stillstand zu kommen droht. Es gibt seit kurzem sogar eine eigene Info-Email-Adresse: tiefenrausch_2004@gmx.at