Fehlendes Krisenmanagement bei Online-Protesten.
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Wien. "Burger gegen Wurstsemmel", so lautete das PR-Match, das der Fastfood-Konzern McDonald’s im Frühjahr 2013 anpfiff. Die Werbekampagne, in der die Wurstsemmel als teuer und mickrig diffamiert wurde, ging jedoch gründlich schief, und der US-Konzern fand sich im Auge eines rot-weiß-roten Shitstorms wieder. Beraten von der Agentur Ketchum Publico machte sich die heimische Fleischerinnung daran, via Facebook die Ehre der Wurstsemmel zu retten. Zwei Tage später stoppte McDonald’s die Kampagne.
"Unser Projekt ist die David-gegen-Goliath-Geschichte im Web-2.0-Zeitalter - und Social Media sind die Steinschleuder", bringt Reinhard Kainz, Geschäftsführer der Bundesinnung der Lebensmittelgewerbe, das Phänomen auf den Punkt. Bei einem Shitstorm verlinkt, twittert und postet die Internetgemeinde ihren Unmut so lange, bis dieser zu einer digitalen Empörungswelle anwächst, die jeden, der nicht adäquat reagiert, gnadenlos überrollt. Und das sind gar nicht wenige.
Krisenmanagement neu
"Unternehmen müssen in Zeiten immer schnellerer Nachrichtenverbreitung über Soziale Medien ihre Strukturen für ein wirksames Krisenmanagement verbessern." Zu diesem Ergebnis kommt eine weltweite Umfrage der Anwaltssozietät Freshfields Bruckhaus Deringer, für die mehr als hundert Experten für Krisenkommunikation interviewt wurden. Alarmierend: Die Hälfte der PR-Berater glaubt, dass die Unternehmen nicht ausreichend auf derartige Krisen vorbereitet sind. Vor allem die Geschwindigkeit digitaler Proteste überfordert viele. So gaben die Befragten an, dass sich mehr als 28 Prozent der von ihnen erlebten Unternehmenskrisen dank Sozialer Medien innerhalb einer Stunde grenzüberschreitend ausgebreitet hatten. 69 Prozent taten das innerhalb von 24 Stunden.
Zugleich dauert es nach Ausbruch einer Krise im Durchschnitt 21 Stunden, bis Unternehmen sich zu einer externen Kommunikation aufraffen konnten. In 18 Prozent der Fälle sogar mehr als 48 Stunden.
Schuld daran ist ein veraltetes Krisenmanagement: "Bisher hat man häufig interne Untersuchungen ankündigte, um Zeit zu gewinnen und eine umfassende Reaktion vorzubereiten. Bedingt durch Social Media, gibt es diesen Puffer heute kaum mehr", warnt Norbert Nolte, Leiter der Fachgruppe Krisenmanagement von Freshfields.
Teure Sturmschäden
Doch wer nicht richtig, sprich rasch reagiert, kann sein Unternehmen in große Gefahr bringen - das reicht vom Absturz der Aktien bis zu langfristigen Imageschäden. Und die können teuer werden, wie das Beispiel des PC-Händlers Dell belegt. Als im Jahr 2005 ein US-Blogger seinem Ärger über die Service-Wüste des Großkonzerns Luft machte, bescherte das dem Computerriesen den ersten Shitstorm der Geschichte. Dell reagierte auf die digitalen Massen-Proteste erst, als die Umsätze einbrachen, und musste 150 Millionen Dollar in eine Imagereparatur investieren.
Dabei könnten laut Freshfields-Studie rund zwei Drittel der Unternehmen eine derartige Krise voraussehen, wären sie nur besser vorbereitet. Präzise interne Richtlinien und die Schulung der Mitarbeiter im Umgang mit negativen Meldungen in Sozialen Medien sollten in keinem Unternehmen fehlen. Ebenso die professionelle Beobachtung und Analyse der Internetgemeinde durch Social-Media-Experten. "Gründliche Vorbereitung ist mehr denn je der Schlüssel für eine erfolgreiche Krisenbewältigung, wobei Unternehmensleitung, PR-Profis und Anwälte künftig noch enger zusammenarbeiten müssen", ist Andreas Fabritius, Corporate Governance-Experte von Freshfields, überzeugt.
Was den Shitstorm anheizt
Wer glaubt, Kritiker ignorieren oder gar mundtot machen zu können, sei gewarnt. Als die Umweltschutzorganisation Greenpeace 2010 ein Video ins Netz stellte, das dem Lebensmittelkonzern Nestlé vorwarf, zur Gewinnung von Palmöl die Zerstörung des Lebensraums der Orang-Utans in Kauf zu nehmen, war die Empörung groß. Als Nestlé das Video gerichtlich verbieten ließ, kam der Shitstorm erst so richtig in Fahrt. Die Proteste flauten erst ab, als das Unternehmen die Verträge mit dem angeprangerten Palmöl-Produzenten kündigte.
Übrigens: Die Wurstsemmel-Rettungsaktion wurde kürzlich mit dem Staatspreis für PR 2013 des Public Relations Verbands Austria ausgezeichnet. Begründung der Jury: Sie ist ein Lehrbeispiel für "eine rasche, witzige aber auch überlegte Guerilla-Aktion mit durchschlagendem Erfolg, für den Geschwindigkeit entscheidend war".