Zum Hauptinhalt springen

Wenn der Staatsanwalt alle Macht hat - und die Folgen

Von Andreas Unterberger

Analysen

Der nun zum nationalen Thema gewordene Streit um das Ausmaß der Erhebungen im Fall Natascha Kampusch macht auch die neue Strafprozessordnung zum Thema. Dahinter verbirgt sich überdies ein Konflikt zwischen Justiz- und Innenministerium - obwohl sich beide Ressorts in Händen der Volkspartei befinden. | Die neue Strafprozessordnung (StPO) gibt dem Staatsanwalt in der Strafverfolgung eine dominierende Rolle. Früher gab es hingegen eine Art Machtdreieck zwischen Untersuchungsrichter, Staatsanwalt und Polizei. Das hat sich oft als sehr sinnvoll erwiesen: So sind jahrelang die Erhebungen im Fall Lucona auf staatlicher Seite nur noch von einem einsam vor sich hin werkenden U-Richter in Gang gehalten worden.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Lucona war die spektakuläre Causa einer mit Betrug und Mord verbundenen Schiffsversenkung, bei der sich auch prominente SPÖ-Politiker schuldig machten. Staatsanwaltschaft und Polizei waren auf Grund politischer Weisungen lange untätig. Nur jener Richter konnte ob seiner Unabhängigkeit nicht gebremst werden. Seiner Karriere hat das übrigens nicht genutzt.

Schon in den 1990er Jahren hat das Justizministerium um eine neue StPO gekämpft - und damit um deutlich mehr Macht. Gesetz wurde sie aber erst unter den beiden Ministern Dieter Böhmdorfer und Ernst Strasser. Strasser als Innenminister hatte damals andere, hausinterne Fronten im Auge - oder er verstand die Bedeutung der Entmachtung der Exekutive nicht. Die schwarz-blaue Regierung feierte jedenfalls einen Erfolg - der sich im Rückblick jedoch als sehr problematisch herausstellt.

Allmacht macht blind

Denn die Dominanz einer einzigen, recht straff geführten Behörde hat schon bisher zu merkwürdigen Einstellungen kleinerer Verfahren geführt. Nun aber steht die StPO auch durch den Fall Kampusch, der zusammen mit der Amstettner Causa F. zweifellos der spektakulärste Kriminalfall der letzten Jahrzehnte ist, im Zwielicht.

Wahrscheinlich wären die vielen Indizien, die alle auf einen zweiten Täter in der Causa hindeuten, nie bemerkt worden, wäre nicht - aus ursprünglich ganz anderen Gründen - im Innenministerium eine Untersuchungskommission mit höchstrangigen und moralisch unangreifbaren Juristen eingesetzt worden.

Diese Kommission hatte den Auftrag, die Pannen der Exekutive im Fall Kampusch zu untersuchen. Und die waren tatsächlich sehr blamabel. Jedoch: Je länger die Kommission arbeitete, umso intensiver stieß sie auch auf die Spuren eines anderen Skandals, nämlich der unbegründeten Einstellung der Nachforschungen nach weiteren Tätern.

Über die Gründe der Untätigkeit der Staatsanwaltschaft wird in Juristenkreisen viel spekuliert. Da war sicher der Druck der anfangs im Boulevard sehr populären Frau Kampusch und ihrer politisch gut vernetzten Helfer mit im Spiel, um von anderen viel schlimmeren, aber unbeweisbaren Vermutungen nicht zu reden. Jedenfalls wurden ganz essentielle Vernehmungen, Kontenöffnungen und Recherchen unterlassen.

Die notwendigen Schritte wurden von der Kommission und den ihr zuarbeitenden Kriminalbeamten penibel aufgelistet und vor mehr als einem Jahr der Staatsanwaltschaft ans Herz gelegt. Die Staatsanwaltschaft, die nach StPO neu als einzige Erhebungsschritte beauftragen kann, stellte sich aber trotz etlicher Vorsprachen und Briefe taub, antwortete oft nicht einmal.

Das Kabinett der Justizministerin Claudia Bandion-Ortner könnte nun mit Weisung die Kompetenz in Sachen Kampusch an eine andere Staatsanwaltschaft übertragen. Dort beginnt man auch zunehmend die politische Verantwortung für die Untätigkeit der Justiz zu fürchten, eine Verantwortung, die ja nicht die beamteten Staatsanwälte, sondern die Ministerin trägt. Freilich kommen sowohl die Ministerin als auch ihr Kabinettschef beruflich selbst aus genau dem Kreis der Wiener Strafjuristen, also einem relativ kleinen Biotop. Daher ist es absolut offen, ob die beiden den massiven Konflikt mit ihren Kollegen und Freunden aus der Wiener Staatsanwaltschaft wagen werden, der im Fall einer Kompetenzwegnahme der Causa Kampusch zweifellos droht.

Eine Prestigefrage

Nach ihrem Verhalten im letzten Jahr steht für die Wiener Staats- und Oberstaatsanwaltschaft ja enormes persönliches und berufliches Prestige auf dem Spiel. Daher hat man auch dem sonst durchaus medienfreundlichen Bundeskriminalamt einen absoluten Maulkorb in Sachen Kampusch verpasst.

Was die Sache noch komplizierter macht: Werner Pleischl, der Chef der Wiener Oberstaatsanwaltschaft, ist der juristische Vater der StPO, für die er im Ministerium jahrelang gearbeitet hat. Sollte sich nun herausstellen, dass die Entmachtung von U-Richtern und Kriminalpolizei durch die StPO indirekt zu einem massiven Fehler geführt hat, steht damit wohl auch die gesamte StPO, also Pleischls zentrales Lebenswerk, zur Debatte.

Die von der StPO geschaffene Übermacht des Staatsanwalts ist übrigens dem US-Justizsystem ähnlich, wie man jedem zweiten Kriminalfilm entnehmen kann. Dort ist der Polizist, der trotz Verbots durch einen desinteressierten Staatsanwalt einen Mordfall klärt, eines der häufigsten Sujets.

Dass die Wiener Staatsanwälte oft Desinteresse zeigen, konnte man ja auch in etlichen anderen Fällen sehen. Etwa als sie die Anzeige gegen einen engen Freund der früheren Justizministerin zurücklegten; die hatte eine Richterin von Amts wegen erstattet, als sie in einem Zivilprozess auf eine auch von Sachverständigen bestätigte Urkundenmanipulation gestoßen war. Rund um den strafrechtlich eskalierten Rosenkrieg eines politisch bekannten Rechtsanwalts musste ein bremsender Staatsanwalt schon den Hut nehmen.

Österreich steht also mit großer Wahrscheinlichkeit vor einer heftigen Justizdebatte.