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Wenn der Wert des Passes wieder steigt

Von Martyna Czarnowska

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Ihre Eltern konnten ohne Visum ins Ausland; nun dürfen auch die jungen Serben und Mazedonier reisen.


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Bis vor kurzem war er nichts wert, der mazedonische Pass. Das fand zumindest Nikola. Der 38-Jährige lebt mit seiner Familie in Skopje, wohin er vor fünf Jahren aus Deutschland zurückgekehrt ist. In Berlin hatte er studiert, dort sind auch seine Söhne auf die Welt gekommen. Doch er habe keinen vernünftigen Job gefunden und sei deswegen wieder nach Mazedonien gekommen, erzählt Nikola. Damals war in Berlin jeder fünfte Mensch ohne Arbeit.

In Skopje andererseits kann Nikola zwar als Grafik- und Webdesigner tätig sein. Doch die rund 400 Euro Gehalt reichen zum Leben knapp aus. Mit Dolmetscherarbeiten verdient Nikola etwas dazu.

Urlaub? Ins Ausland fahren? Das ist für die Familie nicht drin. Mit seinem mazedonischen Pass könnte Nikola sowieso nur nach Montenegro, Serbien oder Kroatien reisen. Für die Länder der Europäischen Union - und an zwei davon grenzt Mazedonien, an Griechenland und Bulgarien - bräuchte er ein Visum. Eine vierköpfige Familie würde dies 140 Euro kosten. "Wir leben wie in einem Reservat", sagte Nikola.

Deswegen war ihm sein Pass nichts wert. Bis vor kurzem. Denn ab dem morgigen Samstag dürfen Mazedonier, Serben und Montenegriner für 90 Tage ohne Visum in die EU reisen. Bosnier und Kosovaren - die muslimischen Bosnier, wie einige muslimische Länder prompt unterstrichen - haben diese Möglichkeit nicht.

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Die Busse aus Serbien, Kroatien, Mazedonien kamen in Wien auf dem Südbahnhof an. Ein Fahrschein von Belgrad nach Wien kostet 45 Euro, manchmal ist er auch billiger zu haben. Für ein Flugticket ist an manchen Tagen nicht mehr als 39 Euro zu bezahlen. Ein Visum kostete 35 Euro.

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Im Vorjahr hat die österreichische Botschaft in Belgrad mehr als 35.000 Schengen-Visa erteilt; 2007 waren es knapp 41.000. Doch nicht einmal jeder dritte junge Serbe hat sein Land jemals verlassen.

Es ist gerade die junge Generation, die Reisefreiheit nur als einen Begriff kennt. Denn anders als in Osteuropa hatten Ältere die Möglichkeit rauszufahren. Während nämlich die Menschen in den anderen sozialistischen Ländern den Westen vielleicht nur via Radio Freies Europa aus krachenden Empfangsgeräten oder aus im Untergrund verkaufter Literatur kennen lernen konnten, sind ihre Kinder in der Lage zu reisen, im Ausland zu studieren oder zu arbeiten.

Auf dem Balkan ist es umgekehrt: Die Elterngeneration durfte reisen, die Jungen konnten es nicht. Jugoslawen brauchten kein Visum, um ihre Verwandten in Wien, Berlin oder Zürich zu besuchen oder einfach auf Urlaub zu fahren.

Die Visapflicht wurde 1991 eingeführt. Und die Kinder haben all die westeuropäischen Städte vielleicht noch nie mit eigenen Augen gesehen.

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Schon hat die serbische Regierung eine Reise für jene organisiert, die noch nie im Ausland waren. Eine Gruppe von 50 Personen im Alter zwischen 20 und 70 Jahren wird am Samstag nach Brüssel fliegen, später nach Rom, Berlin und Paris. Die Montenegriner wiederum lassen am Montag hundert Studenten und Landwirte nach Rom fliegen, auf Staatskosten.

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In manchen westeuropäischen Ländern hingegen macht sich schon Sorge breit. "Werden nun mehr bettelnde Kinder auf die Straßen geschickt? Kommen Horden neuer Ausländer? Gefährden die unsere Arbeitsplätze?" Vergessen ist die Tatsache, dass die meisten hier lebenden Serben, Kroaten oder Mazedonier von den Österreichern und Deutschen geholt, mit Bussen nach Wien oder Berlin gekarrt wurden.

Zwar überlegt auch Nikola aus Skopje manchmal, ob er sein Land wieder verlassen soll. Allerdings denkt er dabei gar nicht an Europa. Neuseeland - das wäre etwas für ihn.