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Mit der Samenbank zur Familie nach Wunsch und Plan.| Bub oder Mädchen: Erstes Mädchen auf Bestellung in Belgien.
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Am 26. Februar dieses Jahres kommt in einem Pariser Vorort ein kleiner Bub zur Welt. Er ist als Zellspender geboren, um seine unheilbar kranke Schwester zu retten. Aus 27 Achtzellern wählten die Genetiker jene aus, bei denen keine Gefahr der Erbkrankheit bestand. Zwei Embryonen wurden in die Gebärmutter der Mutter eingesetzt. Die Eltern hatten Glück: Der "Kompatible" entwickelt sich bis zur Geburt, bei der die an Stammzellen reiche Nabelschnur abgeschnitten und konserviert wurde. Das frische Blut aus der Nabelschnur des Neugeborenen dient der Stammzellentherapie, die der Schwester das Leben retten könnte. Der Säugling ist das erste "Designerbaby" in Europa, dessen Embryo wegen seines passenden Gen-Materials ausgewählt wurde. Sein Vorname, Umut-Talha, bedeutet zu Deutsch "Unsere Hoffnung".
Die Möglichkeiten der Medizin stellen den Menschen vor zunehmend schwierigeren Herausforderungen. Ist das Vorgehen des behandelten Arztes René Frydman im Fall Umut-Talha ein medizinisches Wunder oder öffnet es die Büchse der Pandora? "Mit unserer Methode sind wir ziemlich nah an der Natur dran. Wir haben lediglich nachgeholfen und verhindert, dass das Schicksal zuschlägt", sagte Frydman nach der Geburt. Frankreichs Forschungsministerin Valérie Pécresse feierte die "medizinische Leistung". Die katholische Kirche warf Frydman hingegen eine "Instrumentalisierung" menschlichen Lebens vor.
Wenn "mögliches Leben" als Leben anzusehen ist, ist das Argument der Kirche nicht leicht von der Hand zu weisen. Wenn jedoch das als ethisch vertretbar gilt, was der Mensch mit seinem Gewissen vereinbaren kann, gäbe es wohl einige Theologen, die Umut-Talhas Existenz nachvollziehen könnten. Schließlich wird Leben gerettet, indem Leben gegeben wird. Und im übertragenen Sinn war das schon immer so: Großeltern fühlen sich verjüngt, wenn ein Enkelkind auf die Welt kommt, und Kinder geben ihren Eltern Sinn im Leben. Die Geburt eines Kindes ist im besten Fall heilbringend für die gesamte Familie.
Doch wie weit darf man aufgrund eines Kinderwunsches gehen? "Der Begriff Designerbaby ist falsch, weil man nichts aktiv designen kann. Ein Eingriff in das Genom des Menschen ist aus heutiger Sicht nicht möglich, da die Konsequenzen nicht vorhersagbar sind und sicher nicht den Erwartungen entsprechen würden. Wir können lediglich diagnostizieren", sagt der Wiener Fachhumangenetiker Markus Hengstschläger. Für Eltern mit unheilbar kranken Kindern kann das ein Segen sein. Es ist aber auch die Entscheidung für eine Verantwortung, die bisher wenige Vorbilder kennt.
Sehnlicher Kinderwunsch
Ähnlich geht es wohl allen unfruchtbaren Paaren, die sich einer künstlichen Befruchtung unterziehen. Auch sie wissen nicht, was auf sie zukommt. Denn nicht immer funktioniert die High-Tech-Methode auf Anhieb wie bei Umut-Talhas Mutter.
"Für die Dauer des Behandlungszyklus lebt man wie ein Uhrwerk: Eine Woche Medikamente nehmen, jeden Tag sich selbst Spritzen geben, damit die Eizellen sich gut entwickeln, dann werden sie entnommen, vier Tage warten. Am fünften Tag Transfer der befruchteten Eizellen in die Gebärmutter - zwei Wochen warten, ob ich schwanger bin", berichtet Elisabeth B.: "Wenn nicht, dann bin ich am Boden zerstört."
Statistisch gesehen führt regelmäßiger Sex bei 15 Prozent der Paare weltweit oder 90 Millionen Menschen innerhalb eines Jahres nicht zur Schwangerschaft. In Österreich sind an die 30.000 Paare betroffen - 6000 von ihnen entscheiden sich für In-Vitro-Fertilisation (IVF). Wer will, kann sich damit gegen den Zufall entscheiden, wenn dieser nicht für ihn entscheiden will. Wer Kinder bekommen möchte, kann es künstlich versuchen. Der Preis ist ein bewusst erlebtes, offengelegtes Gefühl bangen Wartens - es könnte klappen oder auch nicht. Die Belohnung ist aber möglicherweise die Erfüllung des sehnlichsten Wunsches.
Ein Kind dient meist einem Wunsch. Auf dem einen Ende des Spektrums sind tiefe Sehnsüchte danach, mit seinem geliebten Partner Nachkommen zu haben, nach biologischer Verwirklichung und danach, für jemanden zu sorgen, jemanden zu haben, der einen braucht. Man sehnt sich danach, seine Gene, sein Wissen und seine Liebe weiterzugeben. Noch nie war dieser Wunsch größer in der westlichen Welt als heute, wo wenige Kinder zur Welt kommen und die reine hedonistische Selbstverwirklichung sich abgenützt hat.
Auf dem anderen Ende des Kinderwunsches stehen seit je her materielle Wünsche: der Wunsch nach einem Erben oder nach einem Sohn, der den Hof übernimmt. Im 19. Jahrhundert ging das sogar bis zur Körperverletzung: Bauern in Oberösterreich gaben ihrem letztgeborenen Kind einen "Rumzutzler", also einen mit Rum getränkten Schnuller, damit er sich weniger schnell entwickle und auf dem Hof bleibe. Nichtsdestotrotz wurde Instrumentalisierung noch nie so intensiv diskutiert wie heute, wo die Auswahl, welcher Achtzeller zum Zug kommt, schon vor der Geburt getroffen werden kann.
Zudem war die Kluft zwischen dem Möglichen und dem Machbaren noch nie so groß wie jetzt. So könnte etwa Elisabeth B. im Zuge ihrer künstlichen Befruchtung ihre Eizellen auf monogenetische Erkrankungen screenen lassen, bevor diese befruchtet und in den Mutterleib eingesetzt werden. Mittels (hierzulande erlaubter) Diagnostik am Polkörper (PKD, Untersuchung an einem Abfallprodukt der Eizelle) können die Mediziner Erbkrankheiten aufspüren, die an einem einzigen Gen hängen - etwa Chorea Huntington oder Down Syndrom. "Im Prinzip eine super Idee, weil nur die gesündesten Eizellen eingesetzt werden, das erspart mir vielleicht einiges. Aber die Untersuchung kostet um die 1500 Euro", berichtet B. Eine schwer zu treffende Entscheidung für die Lehrerin und ihren Mann.
Geschlecht auf Bestellung
Für Millionäre sieht die Sache anders aus, könnte man meinen. Sie können sich alle Tests leisten, selbst einen, um Bub oder Mädchen auszuwählen. Doch Geld ist nicht alles. In Österreich ist die Geschlechterselektion verboten. Der Zustand der Chromosomen darf nur am Polkörper diagnostiziert werden. Das Geschlecht des Kindes entscheidet jedoch der Samen des Mannes bei der Befruchtung. Und der befruchtete Achtzeller muss ausschließlich zum Zwecke der Fortpflanzung verwendet werden. Wer also bereits vier Buben hat und nun ein Mädchen will, blitzt ab.
In Belgien sieht das anders aus. Dort wurde das erste Mädchen auf Bestellung 2003 geboren. Der behandelnde Arzt, Frank Comhaire, verteidigte die Methode damals mit dem Argument, dass nicht dem Zufall, mit Gott gleichgesetzt, "ein höherer ethischer Wert beigemessen werden soll als der Entscheidung". In Israel ist die Geschlechterbestimmung eingeschränkt erlaubt: Nur wenn das Paar schon vier Kinder des gleichen Geschlechts hat, darf es IVF in Anspruch nehmen.
Was wäre, wenn Wunschbuben und -mädchen allerorts möglich wären? Die Nachfrage wäre noch überschaubar. Denn den meisten Menschen ist es laut Studien nicht besonders wichtig, ob Bub oder Mädchen. "Würden wir fragen, ob wir den Buben oder das Mädchen einsetzen sollen, würden sich die Geschlechter genau so verteilen wie jetzt", sagt der Wiener Reproduktionsmediziner Wilfried Feichtinger. Mit dem Unterschied, dass gewählt wurde. Der Mediziner sieht kein Problem darin, dass sich Eltern im Zuge einer künstlichen Befruchtung das Geschlecht auswählen. Er hält aber nichts davon, allein deswegen künstlich zu befruchten.
Das Aussehen bestimmen
In der Büchse der Pandora befand sich also die Wahlfreiheit. "Alwin ist ein junger, attraktiver, südeuropäisch aussehender Mann. Er ist athletisch und sportlich-stilsicher gekleidet. Soweit wir erkennen können, ist er ein humorvoller, ambitionierter junger Student": Weltweit können sich alleinstehende Frauen auf der Internet-Seite der in Dänemark gegründeten Samenbank "Cryos" einen Spendersamen bestellen. Die Männer werden mit Babyfotos präsentiert. Damit können sich die Mütter schon mal den eigenen Sprössling gut vorstellen. Ob blond oder braunhaarig, grüne oder blaue Augen - der Möglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt. Allerdings müssten sie nach Dänemark fahren, denn in Österreich dürfen Alleinstehende noch keine künstliche Befruchtung vornehmen lassen.
Erfahrungswerte, was es für ein Kind bedeutet, wenn seine genetischen Eltern Spender sind, gibt es kaum. Bestenfalls können sie aus der Adoption abgeleitet werden. Und hier gilt im Allgemeinen, dass es besser ist, wenn das Kind seine leiblichen Eltern kennt. Schlussendlich müssen die Eltern die Fragen ihrer heranwachsenden Kinder beantworten: Woher komme ich? Wie wurde ich gezeugt? Eine Antwort haben sie zumindest schnell zur Hand: "Ja, du warst gewollt!".