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Wenn die Karawane weg ist

Von Christa Karas

Wissen

Wäre unsereins früher einmal gefragt worden, was er von Lokalführern hält, wäre die Antwort eher unfreundlich ausgefallen. Dass alles im Fluss ist, hat aber auch gute Seiten: Neue Lokale und Küchenstile, junge Köche und Köchinnen, ein sich permanent steigerndes Weinangebot - da kann es sich heute auch niemand mehr bei der Beschreibung so leicht machen, muss die Kritik viel professioneller als früher ausfallen. Die Guides tragen diesem Umstand Rechnung. Und sind daher nicht nur im Hinblick auf Adressen, Telefonnummern und Öffnungszeiten, sondern auch "kulturkulinarisch" interessant.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Das Ambiente spiegelt italienische Lebensart wider, die Karawane der In-People zog weiter. Im Sommer sitzt es sich besonders angenehm in einem der schönsten Schanigärten der Innenstadt..." - Gratulation dem aktuellen GaultMillau Österreich 2004: Mit wenigen Worten wird hier nicht nur auf das sympathische "Novelli" verwiesen, sondern auch gleich auf die Wiener Zustände: Kaum eröffnet ein sehr guter Platz zum Essen, schon ist er auf Wochen ausgebucht. Dann freilich ändert sich das Bild, ein paar Monate später sind alle im "Indochine 21", und wer zuvor hochzufrieden mit dem "Green Cottage" war, stellt sich nun bei "Kim kocht" an.

Guides wie der GaultMillau reflektieren die fließenden Veränderungen sowohl in den Küchen als auch im Publikumsverhalten und sind deshalb fast schon unentbehrlich geworden. Sie fördern und unterstützen nämlich die Trends, geben hernach aber auch Auskunft darüber, wohin man (wieder) gehen kann, wenn die Karawane weiter gezogen ist. Weil: Bescheidene und wichtige Menschen kommen erst, nachdem die "Promis" abgezogen sind. Sie wollen nicht von den "Seitenblicken" belästigt werden.

Für viele Gastronomen ist diese (Un-)Sitte freilich fatal. Der Trend zwingt sie etwa dazu, exorbitant teure Weinkeller einzurichten. Die Verkäufe stehen dann in der Regel in keinem Verhältnis dazu. Mithin lagert totes Kapital auf Jahre, das anderweitig fehlt. Auf die Preise lässt sich das nur solange umwälzen, bis auch beim zahlungskräftigen und -willigen Gast die Schmerzgrenze erreicht ist und er einem günstigeren Lokal den Vorzug gibt.

Rudi K., seinerzeit einer der angesehensten Gastronomen der Stadt, gilt als bekanntestes Opfer dieses Circulus vitiosus. Er tat sein Bestes, aus dem enorm gut gehenden Beisl seiner Eltern einen Gourmettempel zu machen, der ihn schließlich ruinierte. Befragt, warum er mit seinen enormen Fähigkeiten nicht einfach nur die Küche ein wenig modifiziert hatte, meinte er verweifelt: "Weil´s mir die Journalisten damals so eingegeben haben."

Journalisten sind indessen auch nur Menschen und stehen mehrheitlich unter dem Druck, ihre Klientel mit Neuigkeiten versorgen zu müssen. Skrupel können da nicht stets Berücksichtigung finden. Also wird schon gelegentlich ein neues Lokal begeistert abgefeiert, auch wenn´s die Spatzen vom Dach pfeifen, dass das nötige Kapital dafür aus einer Art "doppelter Buchhaltung" des Eigentümers in seiner vormaligen Funktion als langjähriger Geschäftsführer anderer Betriebe stammte. - Aber wir sind in Wien und die Gastronomie hier ist bekanntlich diskreter als eine Schweizer Bank.

Doch genug der pikanten Histörchen. Lieber sei erwähnt, was wirklich Freude macht, wie etwa das sehr verdiente Lob des GaultMillau für Harald Brunner und sein Team am Wienerberg! - Denn: Gourmetguides liest man ja nicht unbedingt nur, um zu wissen, wohin man essen gehen kann, sondern auch oder primär, um den eigenen Geschmack bestätigt zu bekommen. Was hier mit zwei Hauben und 15 Punkten geschehen ist.

Empfehlung: "Tancredi"

Bleibt schließlich eine persönliche Empfehlung: Das auch von den Guides hoch gelobte "Tancredi" auf der Wieden, aus dem die Karawane auch wieder abgezogen ist. Dort zeigt Peter Neurath, Chef und Koch, unglaublich locker, wie deliziös die moderne österreichische Küche sein kann. Sein Entenbraten steht dem von Harald Brunner in nichts nach, und was ihm alles zum Thema Reh einfällt (gekocht wird saisonal) ist einfach großartig (inklusive der Maronignocchi). Perfektioniert wird Neuraths Schaffen von einer exzellenten Weinselektion und einem Serviceteam, wie es aufmerksamer nicht sein könnte. (1040, Große Neugasse 5, Eingang Rubensgasse 2. Tel. 941 00 48. Dienstag bis Freitag von 11.30 bis 14.30 und 18 bis 24 Uhr, Samstag von 18 bis 24 Uhr. http://www.tancredi.at )