Zum Hauptinhalt springen

Wenn die Krise die einzige Konstante ist

Von Christian Ortner

Kommentare
Christian Ortner.

Die EU wird entweder ausgebaut oder rückgebaut werden müssen. | Warum sollen nicht alle Europäer darüber abstimmen, was sie wollen?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

So geht das nicht mehr weiter, so wird das nichts mehr. Die Vorstellung ist geradezu bizarr, dass dramatische EU-Krisengipfel am Sonntag zu wöchentlichen Fixpunkten des politischen Kalenders werden, bei denen die Eröffnung der Börse Tokio um 2Uhr morgens den Takt vorgibt und die Union dabei regelmäßig "am Abgrund" steht; dass dabei jedes Mal scheinbar endgültige Lösungen gefunden werden, die dann bestenfalls drei Tage lang funktionieren; dass die Sorgen der Menschen um ihre Ersparnisse ein ganz normales alltägliches Gefühl wird wie die Zahnarzt-Angst; dass Banken regelmäßig vor dem Kollaps gerettet werden müssen und der Steuerzahler dafür aufkommt; dass also die Krise die einzige Konstante wird, auf die Verlass ist.

Was in den vergangenen Monaten eine Art absurder Normalität war, kann aber kein Dauerzustand sein; denn früher oder später werden sowohl die Wähler als auch die Märkte da nicht mehr mitmachen. Wenn sich das politische System Europas nicht selbst in die Luft sprengen will, wird es ziemlich bald wieder Stabilität generieren müssen.

Immer klarer wird dabei allerdings: So, wie die Europäische Union heute verfasst ist, wird diese Stabilität nicht herzustellen sein. Ein hoher Grad wirtschaftlicher Verflechtung bis hin zur gemeinsamen Währung ist mit dem Grundsatz der nationalstaatlichen Budgethoheit und damit letztlich Souveränität schlicht unvereinbar - das ist die glasklare Lehre aus der akuten Krise. Das weiter zu bestreiten, wäre töricht. Der Status quo ist die gefährlichste aller Optionen.

Es gibt daher im Grunde nur zwei denkbare Auswege, und beide bergen Risken: Europa kann nur entweder einen großen Schritt nach vorn oder einen großen Schritt zurück machen. Macht die EU schnell eine Metamorphose zum Bundesstaat nach US-Muster durch, könnte vermutlich wieder Stabilität gewonnen werden. Wenn auch um den Preis, dass vermutlich die halbe Bevölkerung der EU dies als eine Art Völkerkerker wie weiland die k.u.k. Monarchie empfinden würde, ob zu Recht oder zu Unrecht.

Die Alternative ist ein Rückbau der EU in eine Art "EWG plus", also in einen gemeinsamen Markt kooperierender, aber souveräner Nationalstaaten. Dass damit Stabilität möglich wird, belegt die Geschichte. Wenn auch um den Preis, dass damit der Traum von der Staatswerdung Europas endgültig ausgeträumt wäre.

Europas politische Eliten haben in den vergangenen Monaten eindrucksvoll ihre außerordentliche Unfähigkeit bewiesen, dieses Dilemma des Alten Kontinents einer - irgendeiner - Lösung zuzuführen. Die einzige Leitplanke ihres Handelns ist eine angebliche "Alternativenlosigkeit", was man getrost als Mangel an einer Idee oder auch der Angst vor einer allfälligen Idee übersetzen kann.

Vielleicht wäre es daher zu überlegen, den Völkern Europa die Entscheidung, welches Europa sie wollen, in einem unionsweiten Plebiszit - nach angemessener Instruktion über die Vor- und Nachteile beider Varianten - selbst zu überlassen. Die Risken einer derartigen Abstimmung über die zukünftige Gestalt der Union wären zugegebenermaßen erheblich. Aber die Risken, die darin liegen, diese alles entscheidende Frage weiter unbeantwortet zu lassen, sind deutlich größer. So kann das nicht weitergehen.