Immer mehr alte Menschen benötigen die Hilfe von Geriatern.
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Wien. Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislaufschwächen, Rheuma oder Krebs können nicht primär als Krankheiten des Alters abgestempelt werden. Schon viele junge Menschen werden davon heimgesucht. Was macht allerdings den Unterschied zwischen einem 30-Jährigen und einem 75-Jährigen aus?
Während der junge Mensch noch vor Kraft strotzt und sich einzelne Erkrankungen recht gut behandeln lassen, sind alte Menschen meistens von Mehrfacherkrankungen (Multimorbidität) betroffen, die das ganze System ins Wanken bringen. Gesellt sich neben Rheuma, Diabetes, Bluthochdruck und Arteriosklerose noch eine schwere Grippe hinzu, dann ist Feuer am Dach.
"Da die physiologische Reserve bei alten Menschen wesentlich geringer ist, gibt es auch weniger Kraft, um gegenzusteuern", betont Regina Roller-Wirnsberger, Altersmedizinerin an der Med-uni Graz, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Erst Anfang Dezember hat sie als erste Professorin für Geriatrie an einer öffentlichen österreichischen Universität ihre Antrittsvorlesung gehalten. Seit 2006 hat sie in Graz Geriatrie als Wahlfach angeboten. Jetzt soll das Fachgebiet permanent in die Ausbildung einfließen.
Katastrophe verhindern
Die Geriatrie verfolgt das Ziel, Risikokonstellationen auszuloten, "um bei jedem einzelnen Betroffenen verhindern zu können, dass es zur Katastrophe kommt". Sie ist ein immer wichtiger werdendes Fachgebiet und spannt sich über viele Disziplinen - vor allem die Innere Medizin, Orthopädie, Neurologie und Psychiatrie.
Aufgrund der epidemiologischen Entwicklung in Europa ist in den nächsten zehn Jahren mit einem enormen Anstieg der Über-65-Jährigen zu rechnen. Die Gruppe der Über-65-Jährigen wird von derzeit 1,35 auf 2,47 Millionen Menschen anwachsen - ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung wird demgemäß in Österreich von noch 16,3 Prozent im Jahr 2005 auf 27,5 Prozent im Jahr 2020 steigen, wie Prognosen zeigen. Schon heute stellt die Betreuung geriatrischer Patienten eine wirtschafts- und sozialpolitische Herausforderung dar. Diese Zahlen zeigen aber auch, welche Wichtigkeit der Aus- und Weiterbildung im Bereich der Betreuung und Behandlung multimorbider Menschen zukommt.
Jedoch, betont Roller-Wirnsberger, setzt die Geriatrie nicht erst dann an, wenn das System zu entgleisen droht. Großes Augenmerk gilt hier auch der Prävention schon im mittleren Alter - etwa um die 50 Jahre, was die Primärebene darstellt. Eine wichtige Funktion nimmt hier naturgemäß der Allgemeinmediziner ein, der für gewöhnlich erster Ansprechpartner für jedes Leiden ist und die Lebensläufe und Krankheitsgeschichten seiner Patienten dokumentiert hat.
Ein guter Hausarzt, am besten noch mit einer Zusatzausbildung in Geriatrie, kann in der Prävention gute Dienste leisten und mit seinen Patienten individuelle Programme gestalten. So geht es da-rum, schon früh zu beginnen, Selbstverantwortung zu übernehmen. Bewegung, Muskelstärkung, Ernährung, aber auch Bildung sind wichtige Faktoren, die die Lebenserwartung beeinflussen können.
Für alte Menschen gilt es, auch an die einfachsten Dinge zu denken: "Etwa an den richtigen Sehbehelf, um nicht über die nächste Türschwelle zu stolpern", so Roller-Wirnsberger. Für eine osteoporosegeplagte Frau kann ein Sturz in Folge das Lebensende bedeuten. Häufig schaffen es die Menschen nicht mehr, sich zu regenerieren, erkranken an einer Lungenentzündung und die physiologische Reserve ist aufgebraucht.
Mehr Lebensqualität
Die Aufgabe der Geriatrie verschiebt sich immer mehr von der reinen Lebensverlängerung hin zur Verbesserung der Lebensqualität, um die Langzeitpflegebedürftigkeit so weit wie möglich hinauszuzögern. Was für die Betroffenen angenehmer ist, bedeutet auch für den Staat eine Kostenersparnis.
In den letzten Jahren hat sich die Medizin hin zu hochspezifischen Spezialdisziplinen entwickelt. Vielfach wurde es verabsäumt, eine Generation von Ärzten auszubilden, die den Bedürfnissen alter Menschen gerecht werden.
Der Österreichische Strukturplan Gesundheit, eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern, gibt klare Regelungen vor, wie der Akutpflegebereich auszusehen hat. Allerdings gibt es weder Regelungen für den ambulanten Bereich noch Vorgaben für Pflegeprozesse, erklärt Roller-Wirnsberger. Hier gäbe es noch viel Aufholbedarf. Nach und nach werden Schritte in diese Richtung eingeleitet. Die große Herausforderung für die Universitäten liegt in der interdisziplinären und raschen Umsetzung der bestehenden Ausbildungsbedürfnisse.