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Wenn die Uhren stillstehen

Von Eva Stanzl

Wissen
Diese Taschenuhr steht still. Atomuhren tun es nur metaphorisch, sie fügen eine Sekunde ein.
© © © First Light/CORBIS

25. Schaltsekunde seit der Einführung der Koordinierten Weltzeit 1972.


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Frankfurt/Wien. Alle Uhren stehen still, wenn der Internationale Dienst für Erdrotation es will. In der Nacht zum 1. Juli folgt auf 01.59 Uhr MESZ zuerst 01.59.60 Uhr und erst dann 02.00 Uhr. Besitzer mechanischer Armbanduhren finden den Beweis für die Schaltsekunde, wenn ihr persönlicher Zeitmesser am Sonntagmorgen gegenüber dem Funkwecker um eine Sekunde vorgeht.

"Die Schaltsekunde passt die Zeitmessung an den tatsächlichen Sonnenauf- und Sonnenuntergang an", sagt Wolfgang Dick vom Internationalen Dienst für Erdrotation und Referenzsysteme (IERS) in Frankfurt. Unsere offizielle Zeit wird mit hochgenauen Atomuhren bestimmt. Selbst wenn der Mensch es nicht spürt, macht solche Präzision für GPS-Navigationssysteme, die Seefahrt, den Flugverkehr oder den Start von Weltraumraketen schon mal einen Unterschied. Die Atomsekunde wurde allerdings schon 1967 festgelegt " und da drehte sich unser Heimatplanet noch ein bisschen schneller als heute.

Der Mond als Bremser

"Die Erde dreht sich immer langsamer. Vor Jahrmilliarden dauerte ein Tag nur zwölf Stunden", erklärt Wolfgang Dick. Langsam kühlte die Erde ab, ein Planet von der Größe des Mars rammte sie und schlug einen Brocken aus ihr heraus, aus dem unser Mond entstand. Der Trabant zerrt an der Welt, verursacht Gezeiten zu Wasser und Land (auch ihre feste Oberfläche mit Häusern und Bäumen hebt sich täglich um ein paar Zentimeter) und bremst sie durch seine Anziehungskraft.

Das hat zur Folge, dass die Erde gegenüber unserer Uhrzeit "nachgeht". "Man kann es mit zwei unterschiedlichen Weckern vergleichen", erklärt Dick. Der eine wäre ein hochpräziser Funkwecker, der mit den rund 250 Atomuhren zu vergleichen sei, die unsere Zeitmessung vorgeben und immun sind gegen das Schwanken der Erdrotationsdauer. Der andere wäre ein alter, mechanischer Wecker, der pro Einheit von 24 Stunden um eine Millisekunde nachgeht und der mit der Erde zu vergleichen sei. Nach einiger Zeit des täglichen Nachgehens würde sich zwangsläufig die Uhrzeit auf dem Ziffernblatt verändern. Weil sich die Tageslänge also binnen 24 Stunden um bis zu eine Millisekunde ändern kann, muss die vom Menschen gemachte Atomzeit hin und wieder auf die Erde "warten", damit die beiden Einheiten nicht auseinanderdriften.

Weltweites Netzwerk

Es ist nun die 25. Schaltsekunde seit 1972. "Gäbe es sie nicht, würden unsere Uhren mittlerweile um eine halbe Minute gegenüber der Erdzeit vorgehen", so Dick. Die Schaltsekunden werden nach einem international vereinbarten System in die von Atomuhren koordinierte Weltzeit eingefügt. Ein weltweites Netzwerk von Radioteleskopen misst regelmäßig die Geschwindigkeit der Erddrehung. Kritiker, die Gefahren für Computersysteme durch die Umstellung befürchten, wollen die Schaltsekunde in eine Schaltstunde umwandeln: Sobald die Abweichung auf mehr als eine halbe Stunde wachse, solle man die Uhren um eine ganze Stunde nach hinten stellen, finden sie. Schätzungen zufolge wäre das allerdings erst um das Jahr 2600 der Fall.

Die Entwicklung der Zeitmessung hat mehrere Stadien und Urheber. Das System, den Tag in 24 Stunden zu je 60 Minuten zu je 60 Sekunden einzuteilen, wird unter anderen den Babyloniern zugeschrieben. Das Jonglieren mit Zeit ist also nicht neu. Noch im Mittelalter gab es unterschiedlich lange Stunden. Die Menschen teilten den hellen Tag in 12 Stunden ein, die im Sommer daher jeweils länger waren als im Winter. Dass das 60er-System nur eine Annäherung an die Erdrotation ist, verdeutlicht auch die Notwendigkeit für ein Schaltjahr alle vier Jahre, da ein Jahr nicht 365 Tage, sondern 365,25 Tage hat.