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So manche Urlaubsreise kann mit einer bösen Überraschung enden. Durch das lange Sitzen im Flieger, im Auto oder im Bus können sich in den Beinen Blutpfropfen bilden. Das Krankheitsbild der Reisethrombose wurde jetzt untersucht. Elf Ärzte der Universitätsklinik Innsbruck haben vergangenen Juni in Kooperation mit der AUA den Zustand von 20 Personen auf zwei Langstreckenflügen zwischen Innsbruck und Washington und retour getestet.
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Die Untersuchung habe bewiesen, dass auf diesen Flügen die Gefahr einer Thrombose erhöht sei, erklärte Wolfgang Schobersberger von der Innsbrucker Universitätsklinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin. "Zehn der Probanden gehörten zur Thrombose-Risikogruppe, die anderen nicht," so der Arzt. "Doch bei beiden Gruppen wurde eine Aktivierung im Gerinnungssystem festgestellt." Auffällig sei gewesen, dass sich während des Fluges pro Bein durchschnittlich 250 Milliliter Flüssigkeit angesammelt hatte, sagte Schobersberger. "Die Beinvenen haben sich prall gefüllt, die Veränderungen waren noch Tage nach der Reise festzustellen."
Obwohl die Probanden während der Tests viel getrunken haben, hatte sich die Gerinnungsaktivierung eingestellt. "Jetzt kann man sich vorstellen, dass das Risiko bei Leuten, die bereits einen Wassermangel haben, noch höher ist," meinte Schobersberger. Ausreichende Flüssigkeitsaufnahme und Bewegung seien entscheidend, um einer Reisethrombose entgegenzutreten. "Auslöser für die Krankheit ist der Sauerstoffdruck und die trockene Luft in den Kabinen, besonders bei Langstreckenflügen," meint Schobersberger.
Für die Studie wurden 18 medizinische Geräte mit an Bord genommen, mit den Tests wurde nach fünf Flugstunden begonnen, alle proben wurden an Bord analysiert. Untersucht wurden u.a. die Blutgerinnung und die Flüssigkeitsveränderungen bei den Probanden sowie die Luftzusammensetzung im Flieger.
Lungenfachärzte schlagen Alarm
Laut einer britischen Untersuchung wurden bei jedem zehnten Passagier nach einem Langstreckenflug in der Economy Class mittels Ultraschall eine beginnende Thrombosenbildung im Bereich der Unterschenkel nachgewiesen. "Damit ist jetzt gesichert, dass die auf Langstreckenflügen herrschenden Bedingungen und das oft stundenlange Sitzen die Entstehung eines Blutgerinnsels, das in den Lungenkreislauf gelangen und die gefährliche Lungenembolie auslösen kann, begünstigen", erklärt dazu Otto Chris Burghuber, Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Lungenerkrankungen und Tuberkulose (ÖGLUT) und Vorstand der 1. Internen Lungenabteilung am Otto Wagner Spital in Wien.
Risiko Langstreckenflug und höheres Alter
Die Passagiere in der britischen Untersuchung waren alle älter als 50 Jahre. "Ältere Menschen sowie jene, die schon einmal eine tiefe Beinvenenthrombose hatten bzw. erbliche Anlagen dazu haben, zählen genauso wie Übergewichtige und Bluthochdruck-Patienten zu den vorrangigen Risikogruppen", warnt Burghuber. Gezielte Vorsichtsmaßnahmen sollten vor allem für Flüge - aber auch Busreisen - getroffen werden, die länger als vier Stunden dauern, empfiehlt der Experte.
Gerade Langstreckenflüge stellen eine nicht zu unterschätzende körperliche Belastung dar: Der Luftdruck in der Kabine entspricht jenem in 2.500 Meter Höhe, die Luftfeuchtigkeit beträgt statt der normalen 20 bis 30 Prozent in der Regel nur drei Prozent - so wenig wie in der Wüste. Die Folge: Der Körper verliert verstärkt Flüssigkeit.
Für das Kreislauf- und Venensystem heißt das: Auf Grund des niedrigen Luftdrucks dehnen sich die Venen aus, das Blut wird wegen des Flüssigkeitsverlustes dickflüssiger und der Blutfluss langsamer. Darüber hinaus werden die Venen in Leisten und Kniekehlen durch das lange Sitzen in den oft knapp bemessenen Platzverhältnissen der Economy Class abgedrückt und die Blutzirkulation dadurch zusätzlich beeinträchtigt.
Vorsicht, aber keine Panik
Zu zum Teil widersprüchlichen Ergebnissen kamen Venen- und Blutgefäßspezialisten (Fachgesellschaften für Phlebologie und Angiologie) aus Österreich, Deutschland und der Schweiz in einem neuen Richtlinienpapier, das vor allem Ärzten gesicherte Informationen bieten soll. Darin heißt es, dass im Vergleich zur Häufigkeit langer Reisen Thrombosen mit potenziell lebensgefährlichen Lungenembolien selten sind. Betroffen seien vor allem Menschen mit Risikofaktoren. Die Fachleute unter Leitung des Wiener Venenspezialisten Hugo Partsch: "Die in letzter Zeit sich häufenden Medienberichte führen zu einer zunehmenden Verunsicherung der Reisenden und damit - bedingt durch den Anstieg des Ferntourismus - zu einer verstärkten Inanspruchnahme ärztlicher Beratung."
Viele Fragen die Reisethrombosen betreffend sind nach Ansicht der Experten rund um Partsch weiterhin ungeklärt: "Aus den bisherigen Studiendaten ist z.B. nicht klar erkennbar, welche Faktoren zu einer Reisethrombose führen. Aus der allgemeinen Erfahrung bezüglich der Thromboseentstehung ist jedoch ableitbar, dass die Immobilisierung durch mehrstündiges Sitzen sowie zusätzliche patientenspezifische Risikofaktoren als Auslöser zu betrachten sind. Ob weitere Reisebedingungen - wie erniedrigter Luftdruck und geringere Luftfeuchtigkeit sowie enge Sitze in Flugzeugen - thrombosefördernd sind, muss erst durch weitere, teilweise bereits initiierte Studien untersucht werden."
Das sieht die Weltgesundheitsorganisation WHO ganz ähnlich: "Es gibt Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang zwischen langer Reisedauer und venöser Thrombose. Das Ereignis ist im Vergleich zur enormen Frequenz von Langstreckenreisen selten und betrifft vor allem Reisende mit zusätzlichen Risikofaktoren für venöse Thromboembolien. Die verfügbare Beweislage erlaubt keine Abschätzung des tatsächlichen Risikos".
Keinesfalls handelt es sich bei der Reisethrombose um ein Phänomen, das ausschließlich Flugzeugpassagiere auf Interkontinentalflügen auf den "billigen Plätzen" betreffen kann. Die Fachleute: "Der Ausdruck der 'Economy Class Thrombosis' sollte besser nicht verwendet werden. Die Reisethrombose ist der Sonderfall einer Sitzthrombose, wie sie auch nach Bus- und Autoreisen, aber auch nach langem Sitzen bei anderen Gelegenheiten beobachtet wird."
"Dicke Beine" nach langem Sitzen bedeuten aber noch kein Gerinnsel: "Das Anschwellen der Beine nach langem Sitzen ist ein sehr häufiges Problem und darf nicht mit einer Thrombose verwechselt werden," geben Fachleute Entwarnung. Vorbeugend kann man auch bestimmte Medikamente (Venentherapeutika) sowie Stützstrümpfe (Kompressionsstrümpfe) verwenden.