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Wenn die Waffen sprechen

Von Gerhard Lechner

Politik
Prorussische Einheiten versorgen sich mit weiterer Munition im Kampf um Mariupol.
© reuters / Alexander Ermochenko

In der Ukraine ist die Hoffnung auf eine Verhandlungslösung verpufft. Die Entscheidung soll auf dem Schlachtfeld fallen.


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Vor ein paar Wochen noch keimten in der Ukraine kurz Hoffnungen auf, Moskau und Kiew könnten sich auf einen baldigen Waffenstillstand oder gar Frieden einigen. Die Istanbuler Gespräche zwischen den beiden Ländern schienen erste Früchte zu tragen, man sprach von einer möglichen Neutralität der Ukraine und von Sicherheitsgarantien für Kiew. 

Davon ist derzeit keine Rede mehr. Die Stimmung hat sich wieder gedreht, die Zeichen stehen mehr denn je auf Krieg. Alles wartet auf die groß angekündigte russische Offensive im Donbass, die stellenweise schon begonnen hat. Immer mehr russische Militär-Konvois rollen laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Richtung Südosten der Ukraine, wo sich die Angriffe bereits intensivierten. Beide Seiten suchen die Entscheidung im Donbass, hoffen darauf, dass ein militärischer Erfolg die eigene Verhandlungsposition erheblich stärkt.

Die Ukraine traut sich zu, den russischen Angriff erneut abzuwehren und Russland damit die nächste Niederlage zuzufügen. Ganz leicht wird das nicht, da die russische Armee ihre Kräfte nunmehr fast ausschließlich auf den noch unbesetzten Teil des Donbass konzentriert, den man unbedingt "befreien" will. Das Ziel ist ein Prestigeerfolg bis 9. Mai, zu jenem in Russland mythenumwobenen Tag des Sieges über Hitlerdeutschland, an dem jedes Jahr die Parade der russischen Armee über den Roten Platz in Moskau stattfindet.

Zivilisten in Mariupol suchen Schutz im Eingangsbereich eines Hauses.
© reuters, Alexander Ermochenko

Dieses Jahr will Russlands Präsident Wladimir Putin den Sieg gewissermaßen als doppelten Triumph über den Faschismus feiern: über den deutschen anno 1945 ebenso wie über den "ukro-faschistischen", wie es in russischen Medien seit Jahren heißt, im Jahr 2022. Nachdem es nicht gelungen ist, Kiew in einem raschen Enthauptungsschlag einzunehmen, will Putin seinem Volk wenigstens eine gelungene Befreiung des Donbass präsentieren können - wird doch der Krieg Russlands in der Ukraine im russischen Fernsehen konsequent als "Spezialoperation zum Schutz des Donbass" bezeichnet.

Ein solcher Erfolg könnte Putin einen gesichtswahrenden Ausstieg aus dem Krieg ermöglichen - er könnte ihn aber auch zum Weitermachen motivieren. Die Ukraine will auch deshalb einen russischen Erfolg im Donbass unbedingt verhindern. Erreicht Putin seine Ziele auch im Donbass nicht, verfügt Kiew über eine wesentlich komfortablere Verhandlungsposition.

Das Zaudern des Westens

Die Frage ist freilich, ob überhaupt eine tragbare Verhandlungslösung in Sicht ist. Die Kurzzeit-Friedenseuphorie, die bei Beobachtern vor einigen Wochen aufgekeimt war, ist nämlich längst einer breiten Ernüchterung gewichen - vor allem in der Ukraine. Dort hatte man gehofft, für die Zusage eines neutralen Status gegenüber Russland und die Absage an einen Nato-Beitritt tragfähige westliche Sicherheitsgarantien zu bekommen. Selenskyj war - ohne sich länger mit dem Westen abzustimmen - davon ausgegangen, dass Kiew solche Garantien erhalten würde. Namhafte westliche Staaten, an der Spitze die USA, hätten in der Vorstellung des ukrainischen Staatschefs der Ukraine im Falle eines russischen Angriffes beistehen sollen.

Der Krieg hat Folgen. Russland verschwindet von der mentalen Landkarte der Ukrainer. Hier wird im ukrainischen Odessa ein Wegweiser in Richtung  Rostow am Don abgebaut.
© reuters, Igor Tkachenko

Als es aber diesbezüglich zum Schwur kam, setzte im Westen, auch in den USA, das große Zaudern ein. Kein Wunder: Eine Beistandsverpflichtung gegenüber einem russischen Angriff - das entspräche exakt dem Artikel 5 des Nato-Vertrags, nur dass die Ukraine umgekehrt keinen Beistand leisten müsste. Westliche Nato-Staaten wären dann im Kriegszustand mit Russland - ein Szenario, das man im Westen unbedingt vermeiden will. Denn auch wenn sich Russlands bewaffnete Macht derzeit als nicht so furchterregend entpuppt wie befürchtet - Russland ist immer noch die Großmacht mit den meisten Atomsprengköpfen der Erde.

Und Moskau lässt seine Muskeln diesbezüglich auch spielen: Ex-Präsident Dmitri Medwedew, der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates, warnte Schweden und Finnland vor einem Nato-Beitritt und meinte, von einem "nuklearfreien Status des Baltikums" könne dann keine Rede mehr sein. Russland müsste dann seine Verteidigung aufstocken.

Neue russische Taktik

Wenn die Ukraine also westliche Garantien bekommt, werden diese wohl viel weicher und weniger eindeutig formuliert sein als Artikel 5 des Nato-Vertrages. Das würde der Ukraine aber nicht jene Sicherheit geben, die sie braucht. Dass Moskau in Garantien für Kiew, die dem Nato-Beistandspakt ähneln, einwilligt, ist zudem auch schwer vorstellbar.

In den Istanbuler Gesprächen ist man übereingekommen, das leidige Thema Krim für 15 Jahre auszuklammern. Auch in der Donbass-Frage hatte man sich angenähert. Die Frage, welche Garantien die Ukraine erhält, ist aber nach wie vor völlig offen. In die "Entmilitarisierung" des Landes, die Moskau fordert, kann Kiew nach dem jetzigen Krieg nicht einwilligen. Eine tragfähige politische Lösung ist damit nicht in Sicht - wohl auch nicht nach der zu erwartenden Schlacht um den Donbass.

Russland dürfte hier militärisch eine andere Taktik verfolgen: Anders als bisher werden die ukrainischen Stellungen laut dem österreichischen Oberst Markus Reisner erst nach massivem Einsatz von Artillerie und Raketenwerfern angegriffen, das Vorrücken geschieht langsam. Den Ukrainern sei es bisher gelungen, eine stabile Abwehrlinie zu bilden.

Im umkämpften Mariupol, das bis auf zwei Stadtbezirke von russischen Truppen erobert ist, meldete Russland die Einnahme des Hafens.