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Wenn die Wirtschaft im Teufelskreis feststeckt: Ein Jahr Finanzkrise - und kein Ende in Sicht

Von Stefan Melichar

Analysen

Was haben Wirtschaft und Spitzensport gemeinsam? Um es in den Worten des früheren Schirennläufers Rudi Nierlich auszudrücken: "Waunns laaft, daunn laafts!" Und genauso gilt: Wenn es nicht läuft, läuft es eben nicht. Schuld daran sind da wie dort Teufelskreise, aus denen es oft kaum ein Entrinnen gibt. | Prominente Beispiele dafür, wie sich in schlechten Zeiten die Katze in den eigenen Schwanz beißt, liefert derzeit die internationale Finanzkrise. Das Spektakel aus Milliardenabschreibungen und Notverkäufen im Bankensektor dauert schon über ein Jahr und nach wie vor scheint kein Ende in Sicht. Schätzungen zufolge ist bis dato gerade einmal die Hälfte der vom Internationalen Währungsfonds prognostizierten Gesamtverluste in Höhe von 1000 Milliarden Dollar auf dem Tisch. Weiterhin jagt eine Hiobsbotschaft die andere.


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Fatalerweise ist es gerade die Unsicherheit, was noch alles auf den Finanzsektor zukommen könnte, die die Krise antreibt: Da Banken einander nicht mehr vertrauen (können), verrechnen sie einander höhere Kreditzinsen. Damit steigen die Refinanzierungskosten, und Institute geraten in Liquiditätsprobleme. Dringen die schlechten Nachrichten dann nach außen, sinkt wiederum das Vertrauen innerhalb der Branche - und schon ist der Teufelskreis perfekt.

Selbiges gilt für das Prinzip der Zeitwertbilanzierung. Dieses verpflichtet Unternehmen dazu, Wertpapiere an einem bestimmten Stichtag zum Marktwert in die Bilanz aufzunehmen. So können auf dem Papier Gewinne oder Verluste entstehen, obwohl diese noch gar nicht realisiert sind. Mit dem Einbruch auf dem Markt für Hypothekenanleihen im Rahmen der Kreditkrise mussten Banken in ihren Bilanzen Abwertungen auf derartige Produkte vornehmen. Die daraus resultierenden Ergebniseinbußen beeinflussten das Marktumfeld negativ, was wiederum Abwertungen hervorrief - und so weiter.

Schließlich findet sich auch noch am eigentlichen Ausgangsort der Finanzkrise - dem US-Immobilienmarkt - ein Beispiel für einen ökonomischen Teufelskreis: Von Kreditausfällen gebeutelte Banken treiben Schulden ein und verschärfen ihre Konditionen. Dadurch steigt wiederum die Zahl der Kreditausfälle. Darüber hinaus kommt es zu Zwangsversteigerungen, was die Immobilienpreise weiter drückt. Das schmälert den Wert sonstiger Sicherheiten der Bank und schwächt die Schuldner. Die Bank braucht wieder mehr Geld, treibt Schulden ein, verschärft ihre Konditionen - und so weiter.

Wie entkommt man nun derartigen Teufelskreisen? Einerseits wird hier immer wieder der Staat ins Spiel gebracht. Dieser kann - wie in den USA teilweise geschehen - faule Kredite übernehmen und vorübergehend auf das Eintreiben verzichten oder durch eine Garantie Umschuldungen erleichtern. Was die Zeitwertbilanzierung angeht, diskutiert die Finanzbranche gerade über eine Aufweichung der Regeln. Änderungen bei den Bilanzierungsvorschriften hat etwa auch der Chef der heimischen Uniqa-Versicherung, Konstantin Klien, vor wenigen Tagen in der "Wiener Zeitung" gefordert.

Mäßig betroffene Institute könnten theoretisch einfach zuwarten: Sobald sich der Markt dreht, werden aus Verlusten am Papier rasch wieder Gewinne.Damit es dazu kommt, muss die Branche aber wieder gegenseitiges Vertrauen aufbauen - und das geht nur, wenn endlich alle Belastungen aus der Krise offengelegt werden. Auch dem Sportler reicht es nicht, die Hände in den Schoß zu legen und auf die nächste Saison zu hoffen.