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Im Fluge rücken Kontinente zusammen, wie sich zeigt, wenn man einmal um die Welt fliegt. Doch zeigt sich ebenso, dass heute die Kulturen in überall gleicher Beliebigkeit verschwinden.
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Seicht schlagen die Wellen an die Ufer des Holmenkollen. Im Schoß des Oslofjordes überragt die Akershus-Festung den Hafen der norwegischen Hauptstadt. Seit den legendären Ausfahrten von Polarforschern ist neuer skandinavischer Pioniergeist gekeimt. Auch wenn inzwischen die Nordwestpassage gefunden und die Erde bis in alle Winkel vermessen ist. Kontinente rückten mit dem Düsenjet erst enger aneinander - und werden sich nun befremdlich ähnlich. Jetzt sollen in der Luft abermals neue Maßstäbe gesetzt werden. Und die Billigfluglinie Norwegian will auf der Langstrecke Vorreiter sein.
Thailand am Polarkreis
Nach New York ab 220 Euro - dieses Versprechen lösen die Norweger für den einfachen Flug über den Atlantik ein. Schnell kommen bei der Online-Buchung aber noch Kosten für aufgegebenes Gepäck und die Bordverpflegung zusammen - ein zäher Happen in einer Kunststoffschachtel, kaum größer als ein Joghurtbecher. Eben Low Cost, wie es schon auf europäischen Kurzstrecken bekannt ist. Möglich sind Schleuderpreise im Interkontinentalverkehr nur durch besonders enge Sitzreihen - und die nagelneue Boeing 787. Sie bietet zum Beispiel 20 Prozent Spritersparnis gegenüber herkömmlichen Fliegern, was angeblich die günstigen Tickets erlaubt.
Kostensenkung kennt indes noch andere Wege, als den neuen Jet. Die Besatzung an Bord des Dreamliners mit der rot lackierten Cockpitpartie besteht fast ausschließlich aus Thailändern. Wie in der Seeschifffahrt schon lange üblich, wird nun auch am Himmel auf auswärtige Crews gesetzt. Dazu haben die Norweger eigens eine Tochtergesellschaft für den Langstreckenbetrieb gegründet. Ein Geschäftsmodell, das in Ansätzen auch von der AUA (Austrian Airlines) umgesetzt wurde. Die größte österreichische Fluglinie lässt ihre Maschinen durch den Partner Tyrolean betreiben - mit gedeckelten Gehältern.
Die Airlines sparen mit solchen buchhalterischen Wendungen Kosten und können sich in einem Markt mit zunehmend dünneren Margen behaupten. In einem Umfeld, in dem jeder Cent zählt, wird der moderne Fluggast in Oslo somit von Asiaten begrüßt; mit vor der Brust gefalteten Händen. Mit der Billiglinie ist binnen sieben Stunden die Neue Welt erreicht, ohne dass eine Ansage auf Norwegisch gefallen wäre.
Die Wolkenkratzer
Sprachliche Flexibilität wie diese passt zu einer Weltmetropole wie New York. Der "Schmelztiegel der Kulturen" zwischen Hudson und East River setzt schon seit seiner Gründung Maßstäbe in puncto Mode und Architektur. Unaufhörlich feilen die Bauherren weiter an seiner Skyline. Denn "Wolkenkratzer bleiben so lange erfolgreich, wie sie effiziente, gute Arbeitsbedingungen bieten", sagte der hier einflussreiche Architekt César Pelli einst.
Neue Materialien, aber auch die Erfindung des Aufzuges revolutionierten die Büro- und damit die Arbeitswelt seit Ende des 19. Jahrhunderts. Doch oft sind es heute stereotype Glasbunker, die in den Städten in die Höhe wachsen. Sie führen zu einer frappierenden Monotonie in der Textur ganzer Ballungsräume. Klammern Besucher einmal Unikate wie das Empire State Building in Manhattan, den Hancock Tower in Chicago oder die Transamerica Pyramide in San Francisco aus, so haben viele Fassaden ein beliebiges Gesicht - wie der Weiterflug bis nach Los Angeles zeigt.
Die Millionenmetropole ist in der Fläche bebaut und hauptsächlich in Down Town stehen die Hochhäuser. Die ausufernde Platzverschwendung und die vielen Autobahnen verleihen der Stadt etwas Unerreichbares. So leben - anders als im "Big Apple" an der Ostküste - die Zuwanderer hier meistens in ihren Vierteln wie auf Inseln und weit voneinander getrennt. Latinos, Afro-Amerikaner da, Little Italy, Korea Town dort. Erstklassige chinesische Küche findet sich in China Town. Oder der interessierte Feinschmecker besteigt in LAX das Flugzeug und sucht vor Ort nach den Ursprüngen von 1000-jährigen Eiern.
Universelle Kultur
Die Reise über den Pazifik nach Hongkong überspannt eine Distanz von 11.684 Kilometern. Auf der Rennstrecke zwischen den beiden Handelszentren sind keine Billigfluglinien unterwegs. Rechnet man die Ticketpreise auf die Entfernungen um, sind die Flüge zwischen LA und Asien sogar billiger, als beim angeblichen Low Cost-Anbieter aus Oslo. Auf dem Weg von Kalifornien nach Hongkong entfallen die separaten Gepäckkosten, die Sitzabstände sind erfrischend. Zudem werden wie in den Hochzeiten des Jetsets der 1960er-Jahre Menükarten dargeboten - gefolgt von einer Cocktailstunde und ausgesuchten Speisen. Das Geld wird hier in den vorderen Reihen des Fliegers verdient. Fast die Hälfte des Flugzeuges ist mit Premium- und Business-Sitzen bestückt. Klasse statt Masse, chinesische Gastfreundschaft und Durchsagen auf Kantonesisch inklusive.
Unterwegs passiert das Flugzeug die Datumsgrenze - eine Art Puffer zwischen den Zeitzonen, bei deren Überschreiten eine Differenz von einem Tag auftritt. Wer am Sonntag im äußersten Westen der Erde abhebt, landet erst am Dienstag im Fernen Osten des Planeten - und findet sich bald in einer aufregenden Metropole am Mündungsdelta des Perlflusses wieder. Im Schatten einheitlicher Bürotürme, die mit ihren schillernden Glasfassaden genauso gut in Dallas, Dubai oder Singapur stehen könnten, wird unter freiem Himmel frisches Essen zubereitet.
Ländliche Relikte

Während in der Anonymität des Dutzend-Hochhauses über Millionen-Deals entschieden wird, brutzeln Lauchzwiebeln, Ingwer und Garnelen im würzigen Sud eines Woks. Obwohl am Flughafen Chek Lap Kok vor der Vogelgrippe gewarnt und den Passagieren bei Fiebersymptomen eine ärztliche Konsultation empfohlen wird, gackern in den Gassen des Stadtteils Wan Chai fett gemästete Hühner in ihren Volieren. Für eine Metropole dieser Größe haben sich die Einwohner Hongkongs einen überraschend ländlichen Lebensstil bewahrt - inmitten gigantischer Einkaufspaläste, in denen Gäste spielend die Orientierung und mehrere Stunden verlieren können.
Die Shoppingmalls verkörpern genau jenen Teil der Globalisierung, der zur wachsenden Flüchtigkeit von Kulturgut beiträgt. Es ist noch nicht lange her, da sah man es Leuten an, wo sie waren. Die neueste Turnschuhmode aus den USA zum Beispiel, der Zuschnitt von Sportgarderobe - Produkte, die es außerhalb Amerikas nirgends zu kaufen gab. Die Verbreitung kleidsamer Unikate ist vorbei, seit sich Internet-Händler ausbreiteten.
Das Besondere schwindet, wie auch der Reiz des Schaufensterbummels. Von Oslo über New York und LA bis nach Hongkong verfolgen den Passanten die immer selben Modelabels mit der immer selben Auslage. So finden sich selbst im tropischen Singapur, das die nächste Etappe der Reise ist, die aktuell angesagten Wildlederstiefel mit Fellfutter in den Vitrinen.
Wer dies und die uniforme Langeweile von Hamburger-Bratereien oder weltweit agierenden Kaffeehausketten satt hat, muss sich in Asien auf Abwege begeben. In Laos haben beispielsweise die Einwohner die Errungenschaften der globalisierten Einkaufswelt noch nicht zur Gänze kennengelernt. Stattdessen entdecken die Menschen dort gerade ihre Liebe zur französischen Kolonialzeit. Jugendstil-Villen aus jenen Tagen sind landauf landab saniert und zu Hotels oder Restaurants umgestaltet worden, in denen eine aromatische Melange aus heimischem Hochlandkaffee serviert wird.
Betonierte Hässlichkeit
Zwischen den Resten einst weitläufiger Urwaldgebiete und dem behäbigen Fluss Mekong hat sich eine in dieser Weise einzigartige kulturelle Mischung bewahrt. Doch selbst hier, in dem von ethnischen Minoritäten bevölkerten südostasiatischen Land, ist die neue Architektur angekommen. Hochhäuser verheißen Modernität, sie werden im Idealfall zu Wahrzeichen und scheinen überall Sinnbilder für wirtschaftliche Potenz zu sein.
Dem eifern die Investoren auch in der Hauptstadt Vientiane nach. Ein erstes steht einsam am Ufer des Mekong. Der Turm beherbergt ein Hotel und dokumentiert in seiner betonierten Hässlichkeit, dass viele Etagen allein noch keinen kulturellen Höhepunkt stiften.
Dabei gibt es von der Dachterrasse einen freien Blick über den mächtigen Fluss - und auf das benachbarte Thailand, in dem Stadtplaner schon längst unbefangener agieren, was die Ästhetik ihrer Gebäude betrifft. In Bangkok tauchen nur noch Spuren des alten Siam in Form kleiner Holzhäuser auf, eingeklemmt zwischen Autobahnbrücken, die doppel- oder dreistöckig in die Straßenschluchten gelegt wurden.

Hinter all dem Glitzern und bunten Schein ringsum sind nun auch wieder die gefütterten Wildlederstiefel zu haben. Es riecht nach Pommes frites und frittierten Hühnerschenkeln. Die Verkäuferinnen falten nach thailändischer Tradition die Hände vor der Brust und lächeln, wenn die Speisen in Plastikschachteln übergeben werden - was plötzlich an die Bewirtung an Bord der norwegischen Billigfluglinie zu Beginn der Weltreise erinnert.
Sparsame Umwege
Von Bangkok aus wäre Wien mit der AUA in rund 11 Stunden nonstop erreichbar. Ein Umweg über Sri Lanka und Frankfurt kostet etwa neun Stunden mehr - und spart bis zu 700 Euro. Gut versorgt an Bord der singhalesichen Heimatfluglinie schwebt deren Airbus im ersten Morgengrauen in Frankfurt ein. In der Tiefe erscheint die Silhouette der Bankenmetropole, die den gewagten Spitznamen Mainhattan trägt - in Anlehnung an die markante Skyline New Yorks.
Entlang des Flusses Main hat sich tatsächlich einiges getan. Moderne Wohn- und Büroviertel werben mit dem Prädikat der Urbanisierung im Gewerbegebiet. Dabei ist die Idee, heruntergewirtschaftete Grundstücke in Wassernähe zu exklusiven Lebensräumen umzunutzen, nicht neu. Sie ist so verbreitet, dass auf Fotos die neuen Quartiere Frankfurts kaum von den Docklands in London, dem Stadtteil Kartendrecht von Rotterdam oder dem Bürohausprojekt "Barcode" in Oslo zu unterscheiden wären. Denn am Rande des Holmenkollen entstehen derzeit wenig eindrückliche Bauten mit viel Glas und Stahl. Kompositionen, die es in dieser Form schon anderswo gibt - und die in Norwegen doch als Attraktionen gefeiert werden.
Marc Tornow, geboren 1972, lebt als Journalist in Hamburg und arbeitet für verschiedene Zeitungen und für die deutsche auswärtige Kulturarbeit.